"Historischer Fehlstart für neue Regierung – Friedrich Merz wird im zweiten Wahlgang Bundeskanzler", titelt das GrenzEcho. "Historische Blamage", schreibt Het Belang van Limburg. "Ein geschwächter Friedrich Merz wird schlussendlich zum deutschen Kanzler gewählt", so L'Echo. "Ein bereits wankender Kanzler", liest man bei Le Soir. "Abstimmungsdebakel legt schon jetzt Zerbrechlichkeit der deutschen Regierung bloß", ist der Aufmacher von De Tijd.
Merz ist ein vom ersten Tag an beschädigter Kanzler, unterstreicht das GrenzEcho in seinem Leitartikel. Der Autoritätsverlust könnte größer nicht sein. Wenn es der CDU-Chef schon nicht schafft, im ersten Wahlgang zum Kanzler gewählt zu werden, wie will er es denn hinbekommen, Europas größte Volkswirtschaft durch die Irrungen und Wirrungen dieser Zeit zu führen? Deutschland kommt vom Regen in die Traufe: Die zarten Hoffnungen auf einen Neuanfang nach verlorenen Jahren des Ampel-Chaos sind perdu. Und die Bedeutung einer stabilen deutschen Bundesregierung geht (leider) weit über die Grenzen des Nachbarlandes hinaus. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Eine größere Hypothek hätten die nicht wenigen Abweichler – immerhin 18 Abgeordnete – dem neuen Kanzler nicht mit auf den Weg geben können. Es ist zu befürchten, dass die großen Gewinner des Tages die faschistischen Kräfte innerhalb der AfD sein werden. Es ist ein Trauerspiel, ein Armutszeugnis – nicht weniger als ein Totalausfall, wettert das GrenzEcho.
Eine deutliche Warnung für Merz
So etwas hat es im Nachkriegsdeutschland noch nie gegeben, schreibt Gazet van Antwerpen. Manche meinen, dass Merz nun schon schwer havariert in See stechen muss, für andere ist die Notwendigkeit einer zweiten Abstimmungsrunde hingegen nur eine Kleinigkeit. In jedem Fall muss man hoffen, dass das Ganze nicht zu viel Einfluss haben wird auf die Schlagkraft der neuen Regierung. Denn Merz steht vor riesigen Herausforderungen – in Deutschland und darüber hinaus. In Europa wird erwartet, dass Merz eine führende Rolle übernehmen wird. Aber dafür braucht es eine starke, einige deutsche Regierung. Und ob Merz darüber verfügt, wird sich nun erst noch zeigen müssen, so Gazet van Antwerpen.
Nein, das ist keine Kleinigkeit gewesen, scheint Het Belang van Limburg einzuhaken: Das war ein politisches Erdbeben, das die tiefe Spaltung im eigenen Lager bloßgelegt hat. Das war auch eine Warnung für Merz von den Koalitionspartnern: Einige signalisieren damit deutlich, dass sie nicht bereit sind, den konservativen Kurs von Merz und seine Absicht, Deutschland nach rechts zu rücken, einfach mittragen werden. Der Stil des neuen deutschen Kanzlers ist polarisierend und schroff, er scheut auch keine Konflikte. Das ist gefährlich. Angesichts eines aggressiven Russlands, eines immer stärker werdenden Chinas und eines unberechenbaren Amerikas muss Europa Stärke und Einigkeit demonstrieren. Merz kann dazu beitragen – aber dazu muss er seinen harten Kurs mit politischer Finesse und Kompromissbereitschaft paaren. Sonst droht er, die Spaltung nur noch weiter zu verschärfen. Und darauf können wir wirklich verzichten, stellt Het Belang van Limburg klar.
Eine schmerzhafte Lektion
Was in Berlin passiert, betrifft nicht nur die Deutschen, betont De Tijd. Das Land ist und bleibt die Lokomotive der europäischen Wirtschaft, auch wenn in letzter Zeit längst nicht alles rund gelaufen ist. In dieser Zeit des geopolitischen Chaos brauchen wir Deutschland auch als verlässlichen Pfeiler für ein starkes Europa, für ein Europa, das einen Platz auf der Weltbühne einfordert und verteidigt. Es ist also essenziell, dass Merz nach seinem Fehlstart schnell auf Reisegeschwindigkeit kommt, appelliert De Tijd.
Das Auftaktdebakel wird unauslöschliche Spuren hinterlassen, ist sich L'Echo sicher – in Deutschland und in Europa. Die neue deutsche Regierung hat die schmerzhafte Lektion bekommen, dass die größte Gefahr in den eigenen Reihen lauern kann. Das ist eine äußerst unangenehme Lage angesichts der immer stärker werdenden rechtsextremen AfD. Und eine Lehre für alle: Im Kampf der traditionellen Parteien gegen den Rechtsextremismus ist zunächst einmal ein starkes, kohärentes und aufrichtiges gemeinsames Projekt notwendig, mahnt L'Echo.
Eine immer unhaltbarere Position
Verschiedene flämische Zeitungen befassen sich mit der Frage, ob Belgien Palästina als Staat anerkennen sollte. Viele warten gespannt darauf, was Premierminister Bart De Wever morgen über Gaza sagen wird, kommentiert De Standaard. Denn da findet in Antwerpen ein Holocaust-Gedenken statt anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz. De Wever hat sich in puncto Israel, Gaza und Netanjahu selbst in eine Ecke manövriert. Eine Ecke, in der kein Heil mehr zu finden ist. Und eine Ecke, aus der De Wever selbst nun anscheinend auch wieder raus will, siehe seine Äußerungen gestern über das nicht hinnehmbare Leiden der Palästinenser. Die belgische Politik insgesamt nähert sich mit großen Schritten dem Punkt, an dem ohne Wenn und Aber weiter zu Israel zu stehen elektoral und moralisch immer unhaltbarer wird, meint De Standaard.
Wer heute noch einseitige Solidaritätsbekundungen für Israel abgibt, macht sich mitschuldig, nimmt De Morgen kein Blatt vor den Mund. Mitschuldig am Massenmord, an der Kolonisierung der palästinensischen Gebiete, an ethnischen Säuberungen und der zynischen Blockade einer ausgehungerten Bevölkerung. Die israelische Regierung hat mit ihrem Vorgehen schon lange jeden Anspruch verspielt, für das Gute einzutreten. Der einzige Platz, der noch angemessen ist für Premier Netanjahu, ist die Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Initiative von Frankreichs Präsident Macron, Palästina als Staat anzuerkennen, bietet der Föderalregierung nun die Gelegenheit, endlich das Richtige zu tun. Auch wenn es bereits fürchterlich spät ist. Und Premier De Wever lässt zumindest erste Anzeichen erkennen, dass er diesen Schritt nicht mehr ausschließt, hält De Morgen fest.
Boris Schmidt