"Justiz probt den Aufstand gegen Pensionspläne: 4.000 Haftantritte auf einmal", titelt das GrenzEcho. "'Strafen ausführen zu lassen, das ist keine Erpressung'", zitiert Le Soir dazu auf seiner Titelseite den Prokurator des Königs von Lüttich. "Haben die sauren Staatsanwälte Recht? 'Sie bekommen Pensionen, von denen andere nur träumen können'", bringt De Morgen auf Seite eins ein Zitat eines bekannten Arbeitsökonoms.
Medial betrachtet war die Aktion der Magistrate der Staatsanwaltschaft ein Volltreffer, räumt De Standaard in seinem Leitartikel ein: Wirklich niemandem ist entgangen, dass die Staatsanwälte 4.000 bereits Verurteilte unmittelbar ihre Haftstrafe antreten lassen wollten. Bei bereits gnadenlos überfüllten Gefängnissen war das ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung der zuständigen Minister wegen der geplanten Einschnitte in die Renten der Magistrate. Aber auch wenn natürlich niemand gerne etwas abgibt, klingen die Argumente der Staatsanwälte nach Jammern auf sehr hohem Niveau. An den Bettelstab werden sie dadurch ganz sicher nicht gebracht werden.
Hinzu kommt, dass Übergangsregelungen bis 2062 geplant sind. Der Rechnungshof hat schon vor zwei Jahren die äußerst großzügigen Rentenregelungen für die Magistrate angeprangert. Laut Prognosen könnte Belgien 2070 den höchsten Anteil aller EU-Länder für Renten ausgeben müssen. Hier nicht einzugreifen würde bedeuten, die Last auf künftige Generationen abzuwälzen. Warum sollten also ausgerechnet Magistrate bei diesen Anstrengungen außen vor bleiben?, giftet De Standaard.
Ein verheerender Eindruck
So eine Mobilisierung der Justiz wie jetzt gegen die geplante Rentenreform hat es noch nie gegeben, hält Le Soir fest. Dabei nimmt die Regierung noch nicht mal spezifisch die Magistrate ins Visier, es geht um eine allgemeine Vereinheitlichung der verschiedenen Rentenregelungen beziehungsweise um eine Anpassung des öffentlichen an den privaten Sektor. Das größte Problem an der ganzen Affäre ist aber weniger die Frage, wie gerechtfertigt oder nicht die geplanten Einschnitte sind. Sondern vielmehr die Art und Weise, mit der die Justizvertreter diesen Kampf führen. Sie haben nicht gezögert, die Überbevölkerung der Gefängnisse als Waffe einzusetzen für die Verteidigung absolut persönlicher finanzieller Interessen. Damit vermischen die Magistrate Dinge, die man nicht vermischen sollte, und hinterlassen einen verheerenden Eindruck, kritisiert Le Soir.
Es ist das gute Recht der Magistrate, sich gegen die Rentenreformpläne der Föderalregierung zu wehren, hebt De Tijd hervor. Aber ihre Vorgehensweise wirft ernste Fragen auf. Denn in erster Linie treffen sie mit ihrer Aktion das Gefängnispersonal, nicht die Politik. Und dieses Gefängnispersonal geht ohnehin schon auf dem Zahnfleisch wegen der Überfüllung der Haftanstalten. Das kann doch nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein, es gibt deutlich elegantere und sinnvollere Wege, zum Beispiel den Dialog zu suchen mit der Politik, findet De Tijd.
Rentenansprüche über Menschenrechte
Es sind weder die Politiker noch die Magistrate, die den Preis für diese Eskalation bezahlen werden, stellt L'Avenir klar: Um die Regierung unter Druck zu setzen, sind die Staatsanwälte bereit, die Schwächsten auf dem Altar ihrer Forderungen zu opfern. Dabei vergessen sie offenbar, dass Gefängnisinsassen nicht einfach nur eine Stellschraube sind – hier geht es auch um die Würde von Menschen und um die öffentliche Sicherheit. Unsere Gefängnisse sind zu Zeitbomben geworden. Jeder Streik, jede zusätzliche Spannung könnte zu ihrer Explosion führen. Die Justiz ist bereit, mit dem Feuer zu spielen, um sich Gehör zu verschaffen. Und dabei könnte sie sich am Ende selbst die Finger verbrennen, warnt L'Avenir.
Es ist nachvollziehbar, dass die Magistrate sauer sind über die geplanten Eingriffe in ihre Altersversorgung, schreibt Het Laatste Nieuws. Schließlich geht es diversen anderen Beamten auch nicht anders. Aber mit ihrer Aktion stellen die Magistrate ihre Rentenansprüche über die Menschenrechte. Sie setzen die Sicherheit des Gefängnispersonals und der Häftlinge als Pokerchips ein im Spiel um die eigenen Rechte. Die Gefängnisse haben keine andere Wahl, als ihre Pforten geschlossen zu halten, die Folge ist noch mehr Chaos in unserem Rechtsstaat. Auch die Justiz trägt eine Verantwortung in unserem demokratischen System. Wer Menschen als Streikwaffen einsetzt, ist dieser Verantwortung unwürdig, wettert Het Laatste Nieuws.
Purer Machtmissbrauch
Die wichtigste Qualifikation eines Magistraten ist sein Urteilsvermögen, erinnert De Morgen. Unser Rechtsstaat beruht auch auf unserem Vertrauen in seine Protagonisten und in ihr unabhängiges Urteilsvermögen. Das ist das große Problem der übertriebenen und extremen Reaktion der Staatsanwälte. Ihre Aktion legt nahe, dass etwas nicht in Ordnung ist mit ihrem Urteilsvermögen. Für sie wiegen ihre Rentenansprüche offenbar schwerer als die Risiken ihrer Entscheidungen für die Gesellschaft. Damit rücken die Magistrate dem Vertrauen in den Rechtsstaat selbst mit der Axt zu Leibe. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, das ist nichts anderes als Machtmissbrauch und der Einsatz von Unmenschlichkeit als Verhandlungstaktik, so das scharfe Urteil von De Morgen.
Der Unmut über die Spar- und Reformpläne der Regierung De Wever nimmt viele Formen an, kommentiert Gazet van Antwerpen. Aber es gibt eine Konstante: Die unzufriedenen Protestierenden behindern vor allem ihre Mitbürger. Die Magistrate setzen dem Ganzen aber noch die Krone auf. Sie werden mit ihrer Aktion auch nicht viel erreichen – außer ihrem eigenen Image massiven Schaden zuzufügen. Auf uns alle kommen schwierige Zeiten zu. Protestieren ist da durchaus legitim. Aber hoffentlich nehmen sich alle, die noch Aktionen planen, ein Beispiel an den Magistraten, wie man es nicht macht, appelliert Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt