"Auf einen Schlag 4.000 Menschen ins Gefängnis", meldet De Morgen auf Seite eins. "Die Magistrate der Staatsanwaltschaft wollen die Gefängnisse überspülen aus Protest gegen die Pensionsregeln", schreibt Het Nieuwsblad. "Magistrate der Staatsanwaltschaft protestieren gegen Rentenreform: 4.000 Verurteilte in einem Rutsch in die überfüllten Gefängnisse geschickt", so auch Gazet van Antwerpen.
4.000 Verurteilte müssen sich jetzt also schnellstmöglich an den Gefängnispforten melden, um ihre Strafe anzutreten, resümiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Diese Entscheidung der Magistrate der Staatsanwaltschaft hat große Folgen. Menschen als Druckmittel für die eigenen Interessen einzusetzen, wird immer mehr zur Norm. Die Magistrate demonstrieren nicht, sie streiken nicht. Sie machen das, was auch der Zoll am Flughafen Zaventem manchmal aus Protest macht: Sie befolgen exakt die geltenden Gesetze. Und das bedeutet: Sie schicken Menschen, die von Richtern zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind, in die Gefängnisse, um ihre Strafe abzusitzen. Dabei hatte Justizministerin Annelies Verlinden verfügt, dass Gefängnisstrafen unter fünf Jahren nicht mehr unmittelbar angetreten werden müssen wegen der Überfüllung der Haftanstalten. Der Frust der Justiz ist nachvollziehbar: Die Gefängnisse sind übervoll, der Personalmangel schreiend, die Magistrate immer der Sündenbock, wenn etwas schiefläuft in einem Dossier. Aber eine Rechtfertigung, um Menschen als Druckmittel einzusetzen, ist das trotzdem nicht, stellt Het Nieuwsblad klar.
Das komplexe Problem der übervollen Gefängnisse
Die Justizministerin hat den Kampf gegen die Überbevölkerung in den Gefängnissen zu Recht zu einer Priorität gemacht, kommentiert De Standaard. Denn die Überfüllung hat nicht nur inakzeptable Folgen für die Häftlinge selbst, sie erhöht auch die Risiken für das Gefängnispersonal. Und auch die Gesellschaft trägt die Folgen der hohen Rückfallwahrscheinlichkeit infolge der Situation in den Gefängnissen. Unter anderem will Justizministerin Verlinden die Situation dadurch entschärfen, dass nun auch Menschen früher aus der Haft entlassen werden können, die keine Papiere haben, sich also illegal im Land aufhalten. Sie sollen stattdessen in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. In vielen Fällen bedeutet eine frühere Freilassung vermutlich nur eine frühere Rückkehr in die Illegalität. Und es fühlt sich auch falsch an: Wieso sollte man jemandem, der sich weigert das Land trotz Aufforderung zu verlassen, noch entgegenkommen? Das beißt sich auch mit dem Vorsatz der Regierung, hart gegen illegale Einwanderung vorzugehen. Das Ganze zeigt einmal mehr, wie komplex das Problem der überfüllten Gefängnisse ist, so De Standaard.
Regierungsbilanz nach neun Monaten
Le Soir greift die gestrige Rede des wallonischen Ministerpräsidenten Adrien Dolimont zur Lage der Wallonie auf: Neun Monate ist die neue Regierung aus MR und Les Engagés mittlerweile an der Macht. Und längst nicht alles ist seit ihrem Amtsantritt rosig geworden, im Gegenteil. Deswegen hat Dolimont auch mehr Zeit gefordert, um das Ruder herumzureißen. Seine ganze Rede glich eher einer Rede zum Amtsantritt als einer Bilanz nach neun Monaten. Besonders, weil die neue Regierung ja alles sehr schnell umkrempeln wollte. Der Eindruck war, dass die Taten nicht den Worten folgen, zumindest nicht, was Wirtschaft und Beschäftigung betrifft. Und auch nicht, was die Art und Weise angeht, Politik zu machen. Statt dem versprochenen Aufräumen mit dem "PS-Staat" greift auch diese Regierung gerne auf die alten Rezepte zurück, beklagt Le Soir.
Ungefähr 20 mal hat Dolimont die Aufforderung "wagen wir" benutzt, zählt L'Avenir vor. Es hatte schon fast etwas Beschwörendes an sich, wie der Ministerpräsident wieder und wieder forderte, den Wandel zu wagen, anstatt sich ihm zu unterwerfen. Das und die Bilanz des bisher Erreichten werfen Fragen auf über die Fähigkeit der Regionalregierung, ihre Ambitionen zu konkretisieren. Vor allem, wenn die Bevölkerung beginnen wird zu murren angesichts notwendigerweise schmerzhafter Maßnahmen. Beschwörungen werden nicht reichen, um die Wallonie zu verwandeln, unterstreicht L'Avenir.
"Escape Game" ohne Ausgang
La Libre Belgique blickt einmal mehr auf die Brüsseler Regierungsverhandlungen: Die politische Krise in der Region Brüssel-Hauptstadt ist mittlerweile schlicht unerhört. Noch immer wird nicht über die Substanz verhandelt, über konkrete Projekte. Stattdessen geht es immer noch darum, mit wem man eigentlich verhandeln will. Das ist einfach unmoralisch und unverantwortlich. Uns gehen die Worte aus, um diesen Zustand anzuprangern, es ist ein verheerendes Spektakel, das immer mehr einem "Escape Game" ohne Ausgang ähnelt. Und das wird schwere Folgen haben: Im Juni droht die Herabstufung der Kreditwürdigkeit – und damit eine gesalzene Rechnung für Region und Bürger. Die Menschen fragen sich zu Recht: Womit haben wir das verdient? Und was treiben die Politiker eigentlich?, ätzt La Libre Belgique.
312 Tage, wettert La Dernière Heure. 312 Tage rennen die Brüsseler Politiker gegen Mauern an, die sie selbst Stein für Stein aufgebaut haben. Brüssel ist zur Hauptstadt der Vetos verkommen, der Pseudo-Öffnungen und der parteiinternen Dramen. Seit 312 Tagen geht es kein bisschen voran, man kann noch nicht mal von Verhandlungen sprechen. Es ist eine Tragödie für die Brüsseler. Vielleicht ist es an der Zeit einzugestehen, dass die Region sich nicht mehr selbst regieren kann, und dass es keine Bestrafung wäre, sondern ein Rettungsring, sie unter föderale Aufsicht zu stellen, meint La Dernière Heure.
Das GrenzEcho befasst sich mit dem internationalen Pandemievertrag: Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich zahlreiche Länder auf einen Text geeinigt, der das Chaos künftiger Gesundheitskrisen vermeiden soll. Ein mutiger Versuch, Ordnung in das bringen zu wollen, was per Definition kaum planbar ist: eine Pandemie. Der Pandemievertrag ist ein wichtiges Symbol – und eine brauchbare Grundlage. Aber er ersetzt nicht den politischen Willen, die nötigen Mittel in die Hand zu nehmen, um nationale Strukturen krisenfest zu machen. Und ohne den wird auch der nächste Ausnahmezustand wieder ein Desaster, warnt das GrenzEcho.
Boris Schmidt