"Die 500 Euro, die man den Arbeitern versprochen hatte, sind verschwunden", konstatiert La Dernière Heure auf Seite eins. "Reform des Arbeitslosengeldes: Die Öffentlichen Sozialhilfezentren wollen angehört werden", titelt L'Avenir. "Eine Hotline, um Ärzte zu verpfeifen, die zu viele Krankschreibungen ausstellen", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Viele Zeitungen dröseln heute weiter das Osterabkommen der Regierung De Wever auf. Das umfasst ja zunächst ein großes sozialwirtschaftliches Kapitel. Die zeitliche Befristung des Arbeitslosengeldes etwa ist beschlossene Sache. Jetzt fürchten allerdings die Sozialämter, dass viele Betroffene bei ihnen anklopfen werden. Außerdem ergreift die Koalition Maßnahmen, um Langzeitkranke wieder ins Arbeitsleben zurückzubringen.
Vorsicht vor Kollateralschäden!
"All das geht schon ein bisschen weit", findet Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Hier muss man wirklich aufpassen, dass Menschen nicht zweimal bestraft werden. Zum Beispiel gibt es Leute, die zwar eine Arbeitslosenunterstützung beziehen, aber zugleich teilweise arbeitsunfähig sind. Geht es nach der Regierung De Wever, dann müssen auch diese Menschen ab jetzt einen Job annehmen, denn sonst droht ihnen die Streichung des Arbeitslosengeldes. Und das ist nur ein Beispiel von doch etlichen.
Hier drängt sich der Verdacht auf, dass einfach nur blind gespart werden soll. Und das nicht nur auf dem Rücken von Menschen, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben, sondern letztlich auch der Öffentlichen Sozialhilfezentren, bei denen die Probleme quasi abgeladen werden. Ums mal so auszudrücken: Säßen die flämischen Sozialisten Vooruit in der Opposition, sie würden gegen diese Maßnahmen lautstark auf die Barrikaden gehen. CD&V und Les Engagés würden sich wahrscheinlich auch nicht lange bitten lassen.
Eins muss man der Arizona-Koalition aber lassen, meint L'Echo: Sie hat eine Schocktherapie versprochen, und zieht die jetzt auch konsequent durch. Rund 100.000 Arbeitslosen wird am 1. Januar das Arbeitslosengeld gestrichen. Erklärtes Ziel ist es, dass sich diese Menschen dann einen Job suchen. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn wirklich alle Rädchen ineinandergreifen. Beispiel: Die Arbeitsämter, für die ja die Regionen zuständig sind, müssen auch in der Lage sein, die Betroffenen adäquat und zielgerichtet zu begleiten. Hier ist bestimmt noch Luft nach oben, um es mal diplomatisch auszudrücken. Und dann sind da noch die Sozialämter, die ja am Ende viele dieser Menschen auffangen müssen. Das Alles nur um zu sagen: Hier gibt es noch sehr viele Unwägbarkeiten.
"Regierung muss sich an Resultaten messen lassen"
Am Ende wird sich diese Regierung aber nur an ihren Resultaten messen lassen müssen, warnt La Dernière Heure. Zugegeben: Diese Equipe packt heiße Eisen an, die bislang mitunter als tabu galten. Rechtfertigen lässt sich das aber nur, wenn man das erklärte Ziel auch erreicht. Und das kann man mit einer Zahl zusammenfassen: Am Ende der Legislaturperiode soll die Beschäftigungsrate 80 Prozent erreicht haben. Im Moment stehen wir bei 72 Prozent. Der Weg ist noch lang. Aber wir werden am Ende gleich zweimal nachzählen.
Le Soir ärgert sich darüber, dass diese Regierung offensichtlich nur den Schwachen die Daumenschrauben anlegt. Auf der einen Seite werden Arbeitslose und Langzeitkranke ins Visier genommen. Auf der anderen Seite plant dieselbe Regierung aber eine Neuauflage der so genannten "einmaligen befreienden Erklärung". Hinter diesem hübschen Begriff verbirgt sich im Grunde eine Amnestie für Steuersünder: Menschen, die Schwarzgeld im Ausland horten, können das also mehr oder weniger straffrei legalisieren. Und, von wegen "einmalige Erklärung": Das ist schon das fünfte Mal, das eine belgische Regierung diese Möglichkeit schafft. Diese Koalition misst letztlich mit zweierlei Maß.
Sanierungsregierung zu einer Verteidigungsregierung geworden
Neben der Sozial- und Steuerpolitik ging es in dem Oster-Abkommen aber auch um die Verteidigung. Es gibt "Kritik am neuen Rüstungsplan", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Die Regierung will quasi den gesamten Gewinn der Belfius-Bank abschöpfen, um die Verteidigungspolitik zu finanzieren", notieren L'Echo und De Tijd.
Aus der Sanierungsregierung ist eine Verteidigungsregierung geworden, kann De Tijd in ihrem Kommentar nur feststellen. Die Arizona-Koalition war doch eigentlich an den Start gegangen, um den Haushalt wieder in die EU-Spur zu bringen, das Land wieder finanziell auf gesunde Beine zu stellen. In der Zwischenzeit hat es aber einen Kurswechsel gegeben. Jetzt hat die Verteidigung plötzlich absoluten Vorrang. Zugegeben: Dafür gibt es gute Gründe; der geopolitische Kontext ist nun mal, wie er ist. Das gibt der Regierung aber keinen budgetären Freibrief. Denn unsere Ausgangslage ist erwiesenermaßen wesentlich schlechter als die etwa in Deutschland oder in den Niederlanden. Die Kriegsgefahr mag nicht wegzudiskutieren sein, sie darf aber nicht zur Entschuldigung werden für haushaltspolitischen Hokuspokus.
"Es ist ein Osterwunder auf Pump", kritisiert das GrenzEcho. Man kann nur feststellen: Plötzlich ist Geld da. Wie aus dem Nichts tauchen Milliarden auf, wenn es um Armee und Abschreckung geht. Für Krankenhäuser, für die Justiz, für Bildung oder Pflege wurden solche Summen in den seltensten Fällen gefunden. Hinzu kommt: Für die Finanzierung bediente sich die Regierung einer Reihe von Taschenspielertricks. Woher das Geld dauerhaft kommen soll, das ist im Moment noch völlig unklar. Es stimmt: Das Land muss seine verteidigungspolitischen Pflichten ernst nehmen. Aber wer Milliarden locker macht, um militärisch "würdig" zu erscheinen, der darf seine innenpolitische Glaubwürdigkeit nicht verspielen.
Eine Mischung aus Guy Verhofstadt und Alexander De Croo?
Bei alledem hat Bart De Wever eine doch bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen, frotzelt De Morgen. Nicht ohne Bewunderung hatten einige Beobachter ja schon festgestellt, wie schnell sich der flämisch-nationalistische Oppositionsführer zum belgischen Staatsmann gewandelt hatte. Jetzt setzt er aber noch einen drauf: De Wever ist zu exakt dem Typus Premierminister geworden, den er während seiner gesamten politischen Laufbahn bekämpft hat. So eine Mischung aus Guy Verhofstadt und Alexander De Croo. Von Verhofstadt hat er die Wortinflation übernommen: Man muss einen Flickenteppich einfach nur "historisch" nennen. Und von De Croo kommt die Neigung, eine unerwartete Krise zu zähmen mit neuen Schulden.
Die Koalition ist als Reformregierung gestartet. Doch gleich beim ersten Hindernis wurde schon wieder die Bastelkiste aus der Vergangenheit herausgekramt. Das verheißt nichts Gutes. Wie bei der Vorgänger-Regierung wurde auch bei Arizona das Regierungsabkommen schon nach drei Monaten von der Wirklichkeit überholt.
Roger Pint