"Trump produziert komplettes Chaos", titelt Het Laatste Nieuws. "Zoll-Kehrtwende", schreibt lapidar Le Soir auf Seite eins. Auch La Dernière Heure spricht von einer "Kehrtwende". Einige Blätter werden konkreter: "Donald Trump setzt einen Teil seiner Zölle aus", titelt L'Echo. "Trump 'pausiert' die Zölle, aber nicht für China", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad und Gazet Van Antwerpen.
US-Präsident Donald Trump hat sein gerade erst verkündetes Zollpaket überraschend für 90 Tage ausgesetzt. Ausnahme ist allerdings China: Für chinesische Einfuhren in die USA bleiben die Sonderabgaben in Kraft; aktuell gilt ein Satz von 125 Prozent. "China und die USA machen sich bereit für einen Zermürbungskrieg", so die Schlagzeile von De Tijd. "Der Handelskrieg entwickelt sich zu einem beispiellosen Kräftemessen zwischen Xi und Trump", schreibt De Standaard auf Seite eins.
Eine Welt, in der die Regeln nicht mehr die Regel sind
"In Washington regiert der Wahnwitz", schimpft sinngemäß Le Soir. Wie ist es möglich, dass ein einziger Mann mit dem Schicksal der Welt spielen kann; mit einem Fingerschnipsen; zu jeder Tages- und Nachtzeit; völlig planlos und erratisch, beseelt von absurden Verschwörungstheorien und windigen Beratern. Und wie ist es möglich, dass niemand diesen Mann im Zaum halten, geschweige denn stoppen kann? Donald Trump legt einen beispiellosen Schleuderkurs hin und stellt damit buchstäblich die ganze Welt auf den Kopf. Hier gilt offensichtlich die Maxime: Erstmal alles in Brand stecken, und sich danach mit den Auswirkungen beschäftigen.
Trumps gestrige Kehrtwende sorgt nur bedingt für Entwarnung. Denn es droht weiter eine gnadenlose Konfrontation zwischen den USA und China. Denn Xi Jinping hat nicht die Absicht, dem US-Präsidenten "den Arsch zu küssen", wie Trump es selbst so elegant formuliert. Dieser "Kampf der Titanen" hat das Potential ein weltweites Erdbeben auszulösen, gar einen Tsunami.
"Wir sind in eine neue Welt geschlittert", konstatiert auch besorgt L'Echo. Und in dieser neuen Welt sind die Regeln nicht mehr die Regel, sind Muskelspielchen wichtiger als die Vernunft. Trump sät mit seiner disruptiven Politik gezielt das Chaos; und dieses Chaos sorgt für weiteres Chaos. Und das gibt dem US-Präsidenten dann am Ende noch die Möglichkeit, sich zum Retter in der Not aufzuschwingen, zumindest in seiner Welt und der seiner Anhänger. Er selbst behauptet, dass am Ende alles gut werde, dass Amerika gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Er vergisst dabei, wie sehr er mit seiner Politik Misstrauen schürt. Und Misstrauen macht jede Beziehung unmöglich.
Notbremsung, nach gefährlichem Spiel mit dem Feuer
"Machen wir uns nichts weis", analysiert Het Nieuwsblad: Die gestrige Kehrtwende ist keine versöhnliche Geste, sondern vielmehr eine Notbremsung. Der US-Präsident hatte offensichtlich die Auswirkungen seiner Politik unterschätzt. Nicht nur, dass eine Rezession und eine galoppierende Inflation plötzlich sehr wahrscheinlich geworden waren; was alle Warnleuchten rot blinken ließ, das war vor allem die Tatsache, dass plötzlich Unmengen von US-Staatsanleihen abgestoßen wurden. Die direkte Folge: Die Zinsen, die die USA für ihre Schulden zahlen müssen, stiegen an. Und das sorgte in den USA für beispiellose Turbulenzen und massive Unruhe. Die Zoll-Kehrtwende hat also leider nichts mit irgendeiner Form von Einkehr zu tun: keinerlei Einsicht, dass es völlig irrsinnig war, gegen die ganze Welt in den Krieg zu ziehen.
"Trump hat mit Feuer gespielt, genau genommen sogar mit Sprengstoff", ist auch De Tijd überzeugt. Mit seiner erratischen Zollpolitik hat der US-Präsident das Herz des US-Finanzsystems destabilisiert, mit Namen die US-Staatsanleihen. Diese Obligationen gelten seit Jahrzehnten als der sichere Hafen in bangen Börsenzeiten. Bei jedem Sturm parken Anleger auf der ganzen Welt ihr Geld in diesen Treasuries, was automatisch dazu führt, dass die Zinsen auf amerikanische Staatsanleihen sinken. In dieser Woche war das plötzlich anders. Trotz der abschmierenden Börsenkurse stiegen die Zinsen. Weil Treasuries nicht gekauft, sondern plötzlich abgestoßen wurden. Das war in den USA ein beispielloses Warnsignal, heißt das doch, dass die Finanzmärkte ihr Vertrauen in die USA verlieren. Trumps Kehrtwende war also tatsächlich eine Notmaßnahme.
Trump macht, was er will, die EU tut, was sie kann
Und doch ist die gestrige Kehrtwende wahrscheinlich nur eine kurze Atempause, meint leicht resigniert La Dernière Heure. Das gilt hoffentlich auch für die EU. Bislang hat sich Brüssel vornehm zurückgehalten, ohne sich dabei alles gefallen zu lassen. Die gestern beschlossenen Gegenzölle sind zielgerichtet: keine Breitseite, sondern ein Präzisionsschuss. Man will offensichtlich eine Eskalation vermeiden. Aber die Situation bleibt extrem volatil. Man könnte es so zusammenfassen: Trump macht, was er will, die EU tut, was sie kann.
"Jetzt bloß nicht den Kopf verlieren", das ist bei der EU das Gebot der Stunde, konstatiert auch Gazet Van Antwerpen. Wobei klar ist, dass die Europäer das ganze Theater auch nur mit Zähneknirschen über sich ergehen lassen. Etwa, wenn Trump mit – zumindest in seinem Kopf – blumigen Worten erklärt, dass die Staaten der Welt "ihm den Arsch küssen". Was müssen wir Europäer mit diesem US-Präsidenten noch alles ertragen?
"Für die Europäer gibt's nur eins: Sie müssen zusammenrücken", mahnt La Libre Belgique. Die gestrige Kehrtwende darf uns nicht die Sicht verschleiern: Trump wird seine Politik fortsetzen. Der Multilateralismus ist Geschichte. Und insbesondere wir Europäer werden uns damit arrangieren müssen. Die gezielten und besonnenen Gegenschläge sind ein guter Anfang. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Welt ordnet sich neu, und deswegen muss sich auch Europa neu aufstellen. Und Donald Trump kann mit Blick auf die europäische Integration durchaus unfreiwillig die Rolle des Beschleunigers spielen. Nur geschlossen kann Europa seinen Platz auf der Weltbühne behaupten. Denn: Nichts ist verloren. Auf den Trümmern des Welthandels kann sich etwas Neues entwickeln, mit anderen Partnern. Die europäische Einigung entsteht nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Notwendigkeit.
Roger Pint