"Generalstreik im ganzen Land: Am Montag steht Belgien praktisch still", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Ein Montag, an dem quasi überall Stillstand herrscht", kündigt La Dernière Heure an. "Streikende legen am Montag das Land lahm", so Het Laatste Nieuws. "Generalstreik diesen Montag: Worauf muss man sich einstellen?", fragt L'Avenir. "Züge, Flugzeuge, Handel, Schulen – der Streik am Montag wird Belgien zum Stillstand bringen", zählt La Libre Belgique auf. "Am 29. April wird ein neuer Generalstreik stattfinden", ergänzt Le Soir.
Die Gewerkschaften haben aus offensichtlichen Gründen ein großes Interesse daran, dass möglichst viele Arbeitnehmer an dem Streik teilnehmen, fasst L'Avenir in seinem Leitartikel zusammen. Denn je erfolgreicher der Streik, desto mehr Stärke können sie demonstrieren gegenüber einer Regierung, die Reformen des Arbeitsmarktes durchsetzen will, die viele als zu brutal betrachten. Für die Streikenden wäre eine starke Mobilisierung ein Zeichen für die wachsende Unzufriedenheit mit dem, was die Regierung als essenzielle Maßnahmen bezeichnet. Allerdings müssen sich die Gewerkschaften auch in Acht nehmen, denn sie haben den Kampf um die öffentliche Meinung noch längst nicht gewonnen. Viele Menschen sind der Behinderungen durch die häufigen Streiks überdrüssig, sicher nicht zuletzt, was den Zugverkehr betrifft. Wenn die Gewerkschaften wirklich relevante Verhandlungspartner bleiben wollen, müssen sie aufpassen, nicht das Band des Vertrauens zu zerstören, das sie mit einem Teil der Bevölkerung verbindet. Denn damit würden sie ihre Legitimität gefährden, warnt L'Avenir.
Müssen sich die Gewerkschaften erneuern?
Haben solche Streiks, die sich ja weniger gegen die Arbeitgeber als vielmehr gegen die Politik richten, eigentlich noch einen Sinn?, fragt Het Belang van Limburg. Die Streiks von heute sind auch ganz anders als die von früher: Sie sind viel defensiver geworden, denn es wird ja erst protestiert, nachdem die politischen Maßnahmen schon ausformuliert worden sind. Dadurch haben sie viel an Wirksamkeit eingebüßt. Außerdem kämpfen die Gewerkschaften, wie so viele andere Organisationen auch, mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft. Immer weniger Menschen sehen einen Nutzen in gemeinschaftlichen Aktionen und vor allem wollen sie nicht dadurch gestört werden. Hinzu kommt, dass oft für Themen gestreikt wird, die nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung betreffen, auch das sorgt für weniger Solidarität als früher. Vielleicht sollten die Gewerkschaften die Chance ergreifen, um sich zu erneuern. Eine moderne Gewerkschaft muss mehr leisten als nur Arbeitslosenbezüge auszuzahlen und Streiks am laufenden Band zu organisieren. Sie muss auch ein erfolgreicher Sozialpartner sein, mahnt Het Belang van Limburg.
Die Regierung spielt den Gewerkschaften in die Karten
Die Gewerkschaften bedienen sich der Angst der Menschen um ihre Renten, kommentiert De Tijd. Dabei scheuen sie auch keine irreführende Kommunikation. Sie beklagen die Milliardeneinsparungen bei den Renten und der Gesundheitsversorgung, obwohl diese Budgets auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Über die stetig wachsenden Kosten der Vergreisung lesen wir hingegen nichts in den Flugblättern. Die Gewerkschaften leugnen auch, dass die günstigeren Renteneintrittsbedingungen für bestimmte Gruppen ein Problem sind. Ihr Widerstand gegen die, wie sie es nennen, "asozialen" Maßnahmen wäre wesentlich glaubwürdiger, wenn sie sich ernsthaft an der Debatte über die Finanzierung des Renten- und Gesundheitswesens beteiligen würden. Stattdessen kommt immer nur die Forderung, das Geld doch bei den Reichen zu holen. Die Kapitalertragssteuer der Regierung und die Tatsache, dass dieses Geld notwendig ist, um Jobs und Wohlstand zu schaffen, verschweigen die Gewerkschaften dabei geflissentlich. Und die Regierung spielt den Gewerkschaften in die Karten, indem sie der Bevölkerung gegenüber schlecht und zu wenig kommuniziert, warum die Reformen und Einsparungen notwendig sind, prangert De Tijd an.
Die wichtigste Aufgabe der Regierung ist, so viele Menschen wie möglich so lange wie möglich arbeiten zu lassen, schreibt Gazet van Antwerpen. Denn nur wenn Menschen arbeiten, tragen sie zur Finanzierung des Landes bei. Und das Land braucht bekanntermaßen dringend Geld. Die Maßnahmen, mit denen die Regierung das erreichen will, sorgen für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt, aber eben auch für Stress. In puncto Beschäftigungsgrad bei älteren Arbeitnehmern geht die Entwicklung in die richtige Richtung, die zeitliche Befristung der Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein wichtiger und richtiger Schritt. Bei der Aktivierung von Langzeitkranken ist hingegen noch sehr viel Luft nach oben. Und manche Entwicklungen sind schlicht problematisch: So nimmt die Zahl der Menschen, die Vollzeit arbeiten, ab. Zum Beispiel, weil sie ein ruhigeres Leben haben oder flexibler sein wollen. Diese Menschen denken weniger an ihre Renten und wollen zum Beispiel nicht wie so viele andere mit einem Burn-out enden, was eine berechtigte Sorge ist. Die große Herausforderung für die Regierung bleibt also, dass diejenigen, die sie zum Arbeiten bekommt, das auch weiter tun, meint Gazet van Antwerpen.
Eine Rosskur hilft niemandem
L'Echo macht sich allgemeinere Gedanken über die Finanzierbarkeit des Sozialstaats: Wiederbewaffnung im Eiltempo, wahnsinnig teure Energie, ein erlahmendes Wirtschaftswachstum und jetzt auch noch die Einfuhrzölle Trumps – an Herausforderungen für unseren Kontinent mangelt es wahrlich nicht, gerade auch finanziell. Wie lang werden wir uns angesichts dieser Belastungen noch den Wohlfahrtsstaat leisten können? Aber abgesehen von ethischen Erwägungen ist die Forderung, hier rabiat den Rotstift anzusetzen auch aus anderen Gründen gefährlich. Zu strenge Austerität kann die Wirtschaft ersticken, das haben wir bereits in der Finanzkrise von 2008-2009 gesehen. Hinzu kommt die Gefahr für die Demokratie, ein radikaler Sparkurs begünstigt den Aufstieg von extremistischen Kräften. Anstatt unsere sozialen Errungenschaften ausbluten zu lassen, muss die Regierung also darauf achten, ihre Medizin gut zu dosieren. Eine Rosskur, die den Patienten umbringt, bringt niemandem etwas. Stattdessen müssen alle Beteiligten gemeinsam an Reformen und langfristigen Lösungen arbeiten, appelliert L'Echo.
Boris Schmidt