"Wieder will eine kleine Gewerkschaft die Bahn lahmlegen", titelt Het Nieuwsblad. Diesmal hat die Gewerkschaft METISP-Protect zum Streik bei der SNCB aufgerufen. Diese Organisation hat gerade mal 1.600 Mitglieder. METISP ruft seine Mitglieder auf, am Sonntagabend die Arbeit niederzulegen. "Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass 60 Prozent der Züge nicht fahren", heißt es bei der Gewerkschaft.
Seit die neue Föderalregierung ihre Rentenpläne öffentlich gemacht hat, jagt bei der SNCB ein Streik den nächsten. "Aber warum schweigt Sophie Dutordoir?", fragt sich De Standaard. In der Tat: Die Hauptgeschäftsführerin der Nationalen Eisenbahngesellschaft hat sich bislang noch nicht zu den wiederholten Protestaktionen geäußert. "Die Geduld von Mobilitätsminister Jean-Luc Crucke 'hat Grenzen'", notiert derweil das GrenzEcho. Der Les Engagés-Politiker hat nach eigener Aussage genug von den andauernden Streiks bei der Bahn. Das Streikrecht sei nicht absolut, wird Crucke zitiert.
Auf einigen Titelseiten sieht man heute aber auch Cruckes Parteikollegen, nämlich den Außenminister Maxime Prévot. "Die Geduld mit Belgien ist am Ende", sagt Prévot auf Seite eins von De Morgen. Und das gelte auch für die europäischen Partner. Grund ist natürlich die Tatsache, dass Belgien bislang nicht genug in seine Verteidigung investierte. Statt der geforderten zwei Prozent steckt Belgien im Moment nur 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung. Die Föderalregierung will jetzt den Rückstand wettmachen und hat die erklärte Absicht, das besagte zwei-Prozent-Ziel noch in diesem Jahr zu erreichen.
Ein Ruck durch die politische Landschaft
Die Welt verändert sich in atemberaubender Geschwindigkeit, kann De Standaard in seinem Leitartikel nur feststellen. Nach Jahren des politischen Stillstands, in denen nichts möglich erschien, scheint ein Ruck durch die politische Landschaft zu gehen. Und das gilt nicht nur für die Verteidigungspolitik. Beispiel: Die anstehende Streichung des Arbeitslosengeldes für immerhin rund 100.000 Arbeitslose sorgt nur für wenig Aufhebens. Das Gleiche gilt eben auch für die plötzliche und zugleich erhebliche Anhebung des Verteidigungsetats, oder die neue Migrationspolitik der Arizona-Regierung, die die Schrauben nochmal spürbar anziehen will. Dass es über all diese Themen bislang keine wirklich feurige Debatte gegeben hat, das ist tatsächlich eine Überraschung. Das erlaubt eine Feststellung: Das politische Zentrum ist offensichtlich nach rechts gedriftet. Konfrontiert mit Krieg und brutaler Machtpolitik - insbesondere in den USA - haben sich offensichtlich auch bei uns einige Grenzen verschoben. Bestes Beispiel ist Deutschland, wo das politische Zentrum ja ebenfalls mit der Vergangenheit gebrochen und sich von der Schuldenbremse verabschiedet hat.
Das GrenzEcho hat bei alledem aber ein mulmiges Gefühl. Besonders die Christdemokraten müssen sich unbequeme Fragen gefallen lassen. Im Wahlkampf hat die Union solide Finanzen und die Einhaltung der Schuldenbremse versprochen. Alles vergessen! Schon die Art und Weise, wie das Schuldenpaket zustande kam, ist problematisch. Das dafür noch der "alte" Bundestag einberufen werden musste, mag juristisch korrekt sein, bleibt aber ein demokratisch fragwürdiges Manöver. Abgesehen davon birgt ein Schuldenpaket dieser Größenordnung die Gefahr, dass die Gelder ineffizient ausgegeben werden. Statt gezielter Reformen gibt es oft nur teure Kompromisse. Und genau hier liegt das Problem: Wer den Wählern erst Sparsamkeit und Reformwillen verspricht, dann aber Milliarden Schulden ohne strukturelle Verbesserungen aufnimmt, der treibt die Menschen weiter in die Arme von Populisten.
Sparmaßnahmen auf Kosten der Schwächsten?
Auch Het Nieuwsblad beschäftigt sich mit den manchmal schwierigen haushaltspolitischen Entscheidungen. Im Moment beschränkt sich die Politik nur noch auf zwei große Hingucker-Themen, die im Übrigen eng miteinander verknüpft sind: Haushalt und Verteidigung. Aufgedröselt: Angesichts der neuen Bedrohungslage müssen wir dringend in unsere Verteidigung investieren. Das nötige Geld muss im Budget freigeschaufelt werden, und dazu bedarf es neuer Sparmaßnahmen. Das alles mag noch so logisch klingen, es darf aber nicht am Ende auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft gehen. Zugegeben, die Phrase ist abgedroschen, sie gilt aber immer noch: Eine Gesellschaft muss sich messen lassen an der Art und Weise, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Konkretes Beispiel: Die Alten- und Pflegeheime und der Pflegesektor insgesamt sind nach wie vor gnadenlos unterfinanziert. Gerade erst wurde Flandern von einem neuen Altenheimskandal erschüttert. Hier ist kein Platz für eine kühle und rein zahlenbezogene Sparlogik. Wer zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes oder vielleicht sogar mehr in die Sicherheit investieren will, der darf bei alledem die Menschen nicht vergessen.
Ein Gefühl von Terror
Het Laatste Nieuws empfiehlt seinerseits, sich mal in die Lage der Menschen in der Ukraine zu versetzen. Dafür reicht es schon, die App "Air Alert!" der ukrainischen Regierung auf seinem Handy zu installieren. Wie der Name es schon vermuten lässt, werden die Menschen über diese App vor drohenden russischen Luftangriffen gewarnt. Wenn man sieht, wie oft dieser Alarm losgeht, dann bekommt man ein Gefühl für den Terror, der in der Ukraine herrschen muss. Hier in Belgien ist es lediglich ein Warnton. Für die Ukrainer bedeutet der aber jedes Mal, dass man alles stehen und liegen lassen muss, um den nächsten Keller oder Bunker aufzusuchen. Und das erleben die Menschen in der Ukraine nun schon seit mehr als drei Jahren. Vor diesem Hintergrund kann man vielleicht doch mal nachfühlen, welche Bedeutung die aktuellen Gespräche über die Zukunft der Ukraine für die Betroffenen haben. Kurz und knapp: Die Ukrainer haben zu lange gekämpft und sich in Kellern verkrochen, um Putin jetzt einen Blankoscheck ausstellen zu müssen. Zumal der Kreml-Chef derzeit keinerlei Anstalten macht, um die Warntöne von "Air Alert!" verstummen zu lassen.
Roger Pint