"Nach der amerikanischen Schockwelle eilen die Alliierten der Ukraine zu Hilfe", titelt La Libre Belgique. "Koalition wirft Ukraine Rettungsanker zu", so die Schlagzeile bei De Morgen. "Friedensplan in der Mache mit USA als 'verlässlicher Partner'", schreiben Het Nieuwsblad und Gazet Van Antwerpen auf Seite eins.
Der Eklat zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj auf der einen und US-Präsident Donald Trump und seinem Vize Vance auf der anderen Seite sowie die Reaktion europäischer Staaten darauf ist das dominierende Thema auch in den Leitartikeln.
La Libre Belgique ist empört: Das, was da in Washington passiert ist, war eine regelrechte öffentliche Hinrichtung. Alles deutet darauf hin, dass dies genau so geplant war. Es fing mit abfälligen Bemerkungen über die Kleidung von Selenskyj an, ging weiter über das Fehlen von Dolmetschern, die Teilnahme des amerikanischen Vizepräsidenten an dem Gespräch, eine lange Diskussion über Einzelheiten statt wie normalerweise vor der Presse über Allgemeines zu reden. Alles war anders als gewöhnlich. Zudem berichten Zeugen, dass die Diskussion zunächst herzlich verlief und erst dann kippte, als die Medienvertreter zu dem Gespräch kamen. Das legt nahe, dass Trump ganz bewusst den Kriegsrat in ein Polit-Spektakel für die Öffentlichkeit verwandelt hat, schimpft La Libre Belgique.
Bitte kein Sandkasten-Niveau!
La Dernière Heure meint: Es hilft nichts, nach diesem Clash im Weißen Haus Trump einfach als "Bauern" zu disqualifizieren, so wie Vooruit-Chef Conner Rousseau das am Wochenende getan hat. Solche Streitereien auf Sandkasten-Niveau werden der Lage nicht gerecht. Europa muss diese Entgleisung Trumps als Weckruf verstehen und handeln, ohne zu zögern, fordert La Dernière Heure.
Het Laatste Nieuws glaubt: Einen kühlen Kopf zu bewahren ist jetzt das Beste, was Europas Politiker tun können. "Keep calm and carry on", das muss die Devise sein. Nicht um die Europäer weiter in den Schlaf zu wiegen, sondern weil das der sicherste Weg ist, voranzukommen. Schritt für Schritt muss Europa jetzt seine Verteidigung stärken, um sich selbst zu schützen und die Ukraine zu unterstützen. Denn wenn Europa auf jede Extravaganz des launenhaften und unvorhersehbaren Trump reagiert, führt das zu nichts, betont Het Laatste Nieuws.
Starmer und Macron haben verstanden
De Morgen rät: Nach diesem Eklat im Weißen Haus sollte Europa jetzt am besten eine Doppelstrategie verfolgen. Zum einen sollte es versuchen, wieder einen Ausgleich mit den USA zu finden. Die Wogen müssen geglättet, eine Art Appeasement-Politik geführt werden. Politiker wie der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron scheinen das verstanden zu haben. Zum anderen muss Europa gleichzeitig aber auch stärker werden. Strategische Pläne und Ziele müssen formuliert werden, um aus der aktuellen Krise zu gelangen. Die ist zwar schleichender als die bisherigen Krisen, die Europa bislang gemeistert hat, aber auch existenzbedrohender, weiß De Morgen.
Le Soir beobachtet: Die Europäer gemeinsam mit Kanada haben gestern sehr schnell eine gute Reaktion auf Trumps Entgleisung gezeigt. Am wichtigsten sind dabei die Zusage an Selenskyj, die Ukraine weiter bedingungslos zu unterstützen und die Absicht, die USA weiter als Partner zu behalten. Der britische Premierminister Starmer scheint gut positioniert, die Vermittlerrolle dabei einzunehmen, urteilt Le Soir.
Vorbereiten auf die Brände
De Standaard analysiert ähnlich: Starmer profiliert sich gerade als wichtiger Politiker auf internationaler Bühne. Als er vor wenigen Tagen Trump in Washington getroffen hat, ist es gut gelaufen zwischen den beiden Männern. Trump hat Großbritannien als ein großes Land bezeichnet und gesagt, dass er es als Ehre empfinden würde, dorthin zu kommen. Starmer hat sich geschickt unterwürfig gegeben, vielleicht sogar schon ein bisschen zu viel. Doch jetzt plötzlich könnte das eine Stärke sein. Starmer ist es, der einen guten Draht nach Washington hat. Dass Großbritannien nicht in der EU ist, könnte sogar helfen, mit Trump zu sprechen. Wobei die Position von Starmer klar ist: Gestern hat er sich ganz deutlich an die Seite der anderen europäischen Staaten gestellt, um die Ukraine weiter zu unterstützen, hebt De Standaard hervor.
L'Avenir beschäftigt sich mit der Feuerwehr und kommentiert: Das Nationale Krisenzentrum hat in seinem jüngsten Bericht, den es am Freitag vorgelegt hat, Waldbrände als ein neues, großes Risiko für unser Land bezeichnet. Wie ist Belgien darauf vorbereitet? Ein Blick auf unsere Feuerwehren zeigt: nicht sehr gut. Zu 50 Prozent in der Wallonie und zu 70 Prozent in Flandern bestehen die Teams aus Freiwilligen. Welche Fähigkeiten sie haben müssen, kann jede dieser zahlreichen Hilfeleistungszonen selbst bestimmen. Hier wäre es gut, allgemeingültige Standards festzulegen. Außerdem fehlt ein Überblick, in welchen Zonen Freiwillige fehlen. Das sind Aufgaben, die jetzt angegangen werden müssen, fordert L'Avenir.
Kay Wagner