Viele Leitartikler stellen sich die Frage, ob eine geschäftsführende Regierung überhaupt einen Waffengang beschließen darf. Weitere Themen sind die Folgen der japanischen Atomkatastrophe und eine bemerkenswerte Initiative der Brüsseler Tageszeitung Le Soir.
"Belgische F16 über Libyen" titelt heute Het Nieuwsblad. "Die Belgier kämpfen mit" notiert De Standaard auf Seite 1. Het Laatste Nieuws fasst es lapidar zusammen: "Belgien im Krieg - ohne zu schießen".
Am dritten Tag der Operation "Odyssee Morgengrauen" sind gestern erstmals auch vier belgische F16 im Rahmen der internationalen Militäraktion gegen Libyen zum Einsatz gekommen. Die Kampfflugzeuge patrouillierten über dem Mittelmeer, um die Einhaltung des Flugverbots im libyschen Luftraum zu kontrollieren. Die Mission wird als Erfolg bezeichnet, von ihrer Waffe mussten die Piloten nicht Gebrauch machen.
Das belgische Engagement hat seine Preis, wie Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen auf ihrer Titelseite bemerken: Die Kosten für drei Monate Krieg belaufen sich demnach auf 11 Millionen Euro.
Tiefe Meinungsverscheidenheiten
Das alles darf nicht über die tiefe Uneinigkeit der "Koalition der Willigen" hinwegtäuschen. "Kakophonie", titelt heute La Libre Belgique. Für Le Soir "spaltet der Krieg in Libyen den Westen". Tatsächlich gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das letztendliche Kriegsziel. Geht es nur um den Schutz der Zivilbevölkerung oder soll am Ende ein Regimewechsel herbeigeführt werden?
Es gibt derzeit mehr Fragen als Antworten, meint denn auch Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Die Unklarheit in Bezug auf das Endziel der Intervention ist besorgniserregend. Hinzu kommt: Die Regierung versichert, unter keinen Umständen Bodentruppen entsenden zu wollen. Doch wer würde gegebenenfalls einen abgeschossen Piloten retten? Was passiert, wenn sich Gaddafi an seinen Thron klammert und sich der Krieg in die Länge zieht? Und: Wer sind eigentlich die Rebellen, die der Westen de facto unterstützt?
Für L'Avenir gilt denn auch die alte Maxime: Man weiß, wie ein Krieg anfängt, man weiß aber nie, wie er endet. Schlimm ist in diesem Zusammenhang, dass offensichtlich niemand die UNO-Resolution 1973 auf die gleiche Art und Weise deutet. Hier sind fundamentale Differenzen auch unter den Bündnispartner vorprogrammiert.
Es bedurfte keiner 48 Stunden, damit die hehre Motivation des Westes in Scherben flog, stellt auch La Dernière Heure fest. Man muss sich jetzt schnell auf eine gemeinsame Linie einigen. Ansonsten könnten die UNO, die NATO oder die "Koalition der Willigen" sehr schnell zu Bruch gehen. Der lachende Dritte wäre dann Gaddafi.
Die Rolle des Parlaments
Viele Leitartikler stellen sich derweil die Frage, wie die belgische Beteiligung in den innenpolitischen Kontext passt. Es dürfte wohl das erste Mal in der belgischen Geschichte sein, dass eine geschäftsführende Regierung in den Krieg zieht, notiert etwa De Morgen. Wenn das schon möglich ist, dann muss man sich wirklich fragen, was denn nicht möglich wäre.
Zumal die F16 schon aufgestiegen waren, bevor die Kammer ihr Placet gegeben hatte, wie Het Nieuwsblad hinzufügt. Zwar wusste man um die breite Unterstützung im Parlament - eine geschäftsführende Regierung hätte aber, allein um die Form zu pflegen, die offizielle Zustimmung abwarten sollen. Klar: Das amtierende Kabinett weitet seine Befugnisse eigentlich nur gezwungenermaßen aus, doch sollten wir bei all dem nie vergessen, wie unser System eigentlich funktionieren sollte.
Auch De Standaard stellt sich ernste Fragen in Bezug auf diese geschäftsführende Regierung, die schon immer mehr Zuständigkeiten zu haben scheint. Einziger Lichtblick: Das Parlament kann eigentlich noch mal frei aufspielen. Denn eins ist sicher: Beim normalen "Spiel" Mehrheit-Opposition hätte es wohl nie eine einstimmige Entscheidung mit Blick auf eine Militärintervention gegeben.
Für Gazet van Antwerpen könnte sich aber die bislang herrschende Einstimmigkeit schnell als Strohfeuer erweisen. Schon jetzt gibt es Misstöne auch innerhalb der amtierenden Regierung. Es wird wohl nicht lange dauern, da werden die linken Parteien, die Sozialisten und die Grünen, einen Ausstieg der Belgier aus der Koalition verlangen.
"So geht es nicht!"
Parlament hin oder her: So geht es einfach nicht, meinen indes L'Echo und Het Laatste Nieuws. Wenn eine geschäftsführende Regierung jetzt schon in den Krieg ziehen darf, dann kann von "laufenden Angelegenheiten" keine Rede mehr sein, konstatiert etwas Het Laatste Nieuws. Hier werden Beschlüsse gefasst, die durchaus in die Angelegenheiten einer zukünftigen neuen Regierung hineinspielen. Man sollte bitte endlich mit der Heuchelei aufhören.
Hier stellt sich auch die Frage der politische Verantwortung, glaubt auch L'Echo. Im Prinzip ist die Regierung nicht mehr verantwortlich, seit sie vor gut einem Jahr gestürzt ist. Und man könnte fast meinen, einigen Ministern seien vor diesem Hintergrund in letzter Zeit Flügel gewachsen.
Japan und die Folgen
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch heute mit den, wenn auch indirekten, Folgen der Atomkatastrophe in Japan. Het Laatste Nieuws etwa widmet seine Titelseite den aus Japan ausgeflogenen Belgiern. Gestern sind 32 Landsleute auf dem Brüsseler Militärflughafen Melsbroek gelandet. Sie waren einer medizinischen Untersuchung unterzogen worden. Resultat: Keiner trug eine radioaktive Kontamination davon.
Unterdessen will die EU Stresstests für die europäischen Kernkraftwerke empfehlen. In diesem Zusammenhang macht der amtierende föderale Energieminister Paul Magnette unter anderem in L'Avenir klar: Wenn ein belgischer Meiler den Test nicht besteht, dann wird er abgeschaltet.
Le Soir in het Vlaams
Le Soir schließlich macht heute mit einer bemerkenswerten Initiative auf sich aufmerksam: Die Brüsseler Tageszeitung hat für heute eine Sonderausgabe in niederländischer Sprache produziert, die in den Kiosken in Flandern erhältlich sein wird. Dies ist insbesondere eine Antwort auf die wiederholten Attacken von Bart De Wever gegen das Blatt.
Bild: Yorick Jansens (belga)
"Le Soir in het Vlaams"
Klar, dass diese Sonderausgabe in Flanders! Kiosken zu erwerben ist, da die Mehrzahl der Wallonen diese Sprache nicht beherrscht. Im Gegensatz zu den Flamen,von denen nicht wenige mehrsprachig sind.