"Deutschland macht einen Rechtsruck", titeln De Morgen und Het Laatste Nieuws. "Sieg von Friedrich Merz, Aufstieg der AfD", so die Schlagzeile von Le Soir. "Deutschland nimmt mit Friedrich Merz eine Wende", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Deutschland hat gestern gewählt. Und der Sieger ist – erwartungsgemäß – die CDU/CSU. Die Christdemokraten erzielen 29 Prozent, auf Platz zwei folgt die rechtsextreme AfD mit 21 Prozent. Die bisher regierende Ampelkoalition wurde abgestraft.
"Merz will eine neue Regierung bis Ostern", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Merz will schnell eine schlagkräftige Regierung", notiert auch De Standaard, "denn die Welt wartet nicht auf uns", zitiert die Zeitung den wohl künftigen Kanzler. "Merz muss Deutschland wieder auf den richtigen Weg bringen", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Ein "zeitgemäßes" Ergebnis
"Deutschland hat gewählt, und das Ergebnis ist eine politische Zäsur", analysiert das GrenzEcho in seinem Leitartikel. Deutschland rückt nach rechts. Für die Union ist das Ergebnis aber ein Pyrrhussieg, denn Wahlen muss man zweimal gewinnen: an der Urne und dann auch am Verhandlungstisch. Aber mit wem soll der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz regieren? CDU und CSU haben sich mit ihrer Haltung zur Migration und dem Ausschluss einer Koalition mit den Grünen in eine schwierige Lage manövriert. Eine Zusammenarbeit mit der SPD steht rechnerisch auf wackeligen Beinen. Merz will aber eine schnelle Regierung bis Ostern, und gerade er wird liefern müssen. Deutschland steht vor enormen Herausforderungen. Eine Hängepartie darf es nicht geben.
La Dernière Heure sieht in dem Wahlergebnis im östlichen Nachbarland den Fall einer neuen Mauer: Jeder Fünfte hat seine Stimme der rechtsextremen AfD gegeben. In jedem anderen Land wäre das ein, sagen wir mal, "zeitgemäßes" Ergebnis. In Deutschland hätte man aber angesichts der düsteren Vergangenheit gedacht, dass es dort mehr Antikörper gegen diese Krankheit gegeben hätte. Das hat wohl auch damit zu tun, dass auch in der Bundesrepublik die politische Klasse nicht mehr überzeugen kann. Das gilt in erster Linie für die SPD des scheidenden Bundeskanzlers Olaf Scholz. An die Macht kommen dürfte die AfD wohl nicht. Dennoch ist schon jetzt eine Mauer gefallen, die Mauer des "Nie Wieders".
Neuer Schwung für Deutschland?
Es waren definitiv die wichtigsten Bundestagswahlen seit dem Fall der Berliner Mauer, ist Het Nieuwsblad überzeugt. Deutschland steht vor denselben Herausforderungen wie der Rest von Europa, allerdings im Quadrat. Erstens kann man nur feststellen, dass sich das Land mit dem "Wir schaffen das" der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel offensichtlich verhoben hat. Und zweitens ist die deutsche Wirtschaft gefährlich ins Stocken geraten. Deutschland und mit ihm der ganze Alte Kontinent haben sich einlullen lassen. Wir hinken in fast allen Belangen hinterher. Friedrich Merz wird der Bundesrepublik neuen Schwung geben müssen. Und wenn der deutsche Motor wieder anspringt, dann wäre das auch für Belgien eine sehr gute Neuigkeit.
De Standaard ist da aber sehr zuversichtlich. Auch nach dem gestrigen Wahlsonntag ist das politische Zentrum nach wie vor groß genug. Und ans Ruder wird voraussichtlich ein Bundeskanzler kommen, der innerhalb der EU eine Führungsrolle übernehmen will und kann. Friedrich Merz ist zwar ein Transatlantiker, doch dabei auch nicht naiv. Er ist sich dessen bewusst, dass Europa vielleicht schon bald ohne den großen amerikanischen Bruder auskommen muss. Mit so einem Deutschland ist viel möglich. Bislang stand Berlin nämlich bei Gedankenspielen über eine integrierte europäische Verteidigung immer auf der Bremse. Einfach wird das Ganze dafür freilich immer noch nicht.
Ein willkommenes Geschenk für Moskau
Einige Zeitungen erinnern an den russischen Angriff auf die Ukraine heute vor genau drei Jahren. Dieser Konflikt hat die Welt aus den Fugen gebracht, bemerkt dazu L'Avenir in seinem Kommentar. Insbesondere Europa steht vor großen geopolitischen Herausforderungen. Jetzt rächt sich die Abhängigkeit von den USA. In der Zwischenzeit drehen die Waffenschmieden auf Hochtouren. Nach Jahrzehnten der Neutralität sind Finnland und Schweden zur Nato gestoßen. Neugeformte Allianzen, strategisches Umdenken, Infragestellung internationaler Strukturen, wirtschaftliches Umorientieren: Der russisch-ukrainische Krieg hat die Welt verändert. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, denn Trump und Putin sind dabei, die Karten nochmal neu zu mischen.
Bei alledem ist das Schicksal der Ukraine unsicherer denn je, meint nachdenklich Le Soir. Erst die Annexion der Krim durch Russland 2014, dann der Schattenkrieg im Donbass und schließlich der russische Angriff vom 24. Februar 2022: Insgesamt hat die Ukraine inzwischen ein Fünftel ihres Territoriums eingebüßt. Aber das Land wehrt sich immer noch, und das mit bewundernswertem Einsatz. Dieser Widerstand wird jetzt aber von innen torpediert. Durch den erratischen Kurs von US-Präsident Trump. Was für ein willkommenes Geschenk für Moskau! Ein ukrainischer Schriftsteller brachte es auf den Punkt: Die Ukraine liegt jetzt auf einem OP-Tisch; doch wollen gleich zwei Chirurgen an ihr herumschnippeln. In dieser Woche wollen die Europäer versuchen, den US-Präsidenten zur Vernunft zu bringen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist aber – gelinde gesagt – offen.
Roger Pint