"Morgen nationale Kundgebung, vor dem Generalstreik", titelt L'Avenir. "Die Gewerkschaften drohen mit einem neuntägigen Bahnstreik", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws, Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen.
Die Gewerkschaften machen mobil. Morgen soll in Brüssel eine Nationale Kundgebung stattfinden, zu der rund 50.000 Teilnehmer erwartet werden. Parallel dazu wirft schon ein Generalstreik seine Schatten voraus. Dem ursprünglichen Aufruf der sozialistischen FGTB hat sich inzwischen auch die christliche CSC angeschlossen. Bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB wollen zwei kleinere Gewerkschaften sogar zu einem neuntägigen Streik aufrufen, durchgehend vom 21. Februar bis zum 2. März. In allen Fällen richtet sich der Protest vor allem gegen die Rentenpläne der neuen Regierung. "Auf die Regierung De Wever wartet ein hartes Protestjahr", schreibt denn auch De Standaard auf Seite eins.
"Nach uns die Sintflut"
Die Gewerkschaften schließen also die Reihen und bringen sich in Gefechtsformation, konstatiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die Arbeitnehmerorganisationen wollen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale legen mit Blick auf den anstehenden Sozialen Dialog. Nun muss man sagen, dass die neue Regierung auch nicht wirklich Vertrauen geschaffen hat durch ihre teilweise flatterhafte Kommunikation über das Regierungsabkommen. Und zu allem Überfluss hat MR-Chef Georges-Louis Bouchez dann auch noch unnötigerweise Nebelkerzen geworfen in Bezug auf die Kapitalertragssteuer, was den Eindruck verstärkt hat, dass die stärksten Schultern wohl tatsächlich nicht den größten Beitrag leisten könnten. Dennoch sollten die Gewerkschaften mal in den Spiegel schauen. Ihr höchstes Ziel ist doch der Schutz des Wohlstands der Arbeitnehmer. Wenn das wirklich so ist, dann kann man doch nicht länger die Augen vor der Wahrheit verschließen. Jeder muss doch einsehen, dass es so nicht weitergehen kann. Und wenn man sich nur die Griechenlandkrise von vor 15 Jahren nochmal in Erinnerung ruft, dann weiß man: Es könnte noch sehr viel schlimmer kommen. Ein Status Quo ist keine Option.
Andere Blätter sind nicht ganz so diplomatisch. "Neun Tage!", tobt etwa Het Laatste Nieuws. Neun Tage lang wollen die Bahngewerkschaften die Pendler also als Geisel nehmen! Das wird der belgischen Wirtschaft enormen Schaden zufügen. Und das ausgerechnet in diesen ohnehin schon schwierigen Zeiten. Bei der SNCB darf man nach wie vor ab 55 in Rente. In den meisten anderen Jobs, die mitunter nicht minder kräftezehrend sind, muss man zwölf Jahre länger arbeiten. Hier sollen nicht Beamte schikaniert werden, hier geht es um die Zukunft unseres Rentensystems. Bei den Bahngewerkschaften gilt aber offensichtlich die Maxime: "Nach uns die Sintflut". Neun Tage Streik, das ist jedenfalls reiner Machtmissbrauch.
Eine steinalte Gesellschaft
In diesem Zusammenhang kommen die neusten Zahlen des sogenannten Planbüros wie gerufen, konstatiert De Morgen. Vor allem eine Zahl spricht Bände: Im vergangenen Jahr waren 28 von 100 Menschen in Belgien 67 Jahre oder älter. Im Jahr 2040 werden es schon 37 sein. Heißt: Die Renten von immer mehr Menschen müssen von immer weniger Arbeitnehmern bezahlt werden. Insofern muss man der Regierung De Wever doch zumindest Recht geben, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass es so nicht weitergehen kann und dass man dringend Korrekturen anbringen muss. Die fortschreitende Vergreisung ist eine Tatsache, und man muss blind sein, wenn man hier keinen Handlungsbedarf erkennt. Und bei allem Verständnis: In einer solchen Situation ist es normal, dass man an einigen Vorteilsregelungen rüttelt. Auch die Kritiker müssen doch erkennen, dass die neue Koalition lange, manchmal sogar sehr lange Übergangsfristen vorsieht. Vor diesem Hintergrund steht ein neuntägiger Streik absolut in keinem Verhältnis.
Auch L'Avenir greift die Bevölkerungsprognosen des Planbüros auf. Man muss den Realitäten ins Auge sehen: Im Jahr 2070 ist über ein Drittel der Bevölkerung 67 Jahre oder älter. Die Vergreisung beschleunigt sich. Und angesichts dieser Feststellung gibt es doch eigentlich kein Vertun: Hier werden wir kollektiv umdenken müssen. Es kann jedenfalls nicht sein, dass jeder weiter seine ganz persönlichen Vorteile verteidigt und dabei nicht an das große Ganze denkt.
"Wir werden steinalt", unterstreicht auch De Standaard. Jeder, der heute unter 60 ist, darf darauf hoffen, am Ende fast 90 Jahre alt zu werden. Vor diesem Hintergrund ist der angekündigte neuntägige Streik bei der Bahn regelrecht grotesk. Aus der Studie des Planbüros kann man aber auch noch eine andere Wahrheit herauslesen: Wenn die Zahl der jüngeren Menschen mehr oder weniger stabil bleibt, dann ist das allein der Migration zu verdanken. Sprich: Ohne Zuwanderung wäre die Situation noch viel dramatischer. Die zwei heißen Eisen der Politik sind also eng verknüpft. Nur traut sich niemand, diesen Zusammenhang offen auszusprechen. Also, um es mal klar zu sagen: So früh wie möglich in den Ruhestand zu gehen mit so wenig wie möglich Zuwanderung, diese beiden häufig gehörten Forderungen sind unrealistisch, erst recht, wenn man beides will. Und, kleiner Appell an die Gewerkschaften: Denkt an die künftigen Generationen; seid solidarisch; hinterlasst ihnen nicht eine zu schwere Bürde.
Der "Apostel des Chaos"
Ganz andere Geschichte auf Seite eins von Le Soir: "Einfuhrzölle: Die EU bereitet ihren Gegenschlag vor", so die Schlagzeile. "Jetzt ist er also da, der Handelskrieg zwischen den USA und der EU", kann La Dernière Heure nur feststellen. Die Frage ist jetzt nur noch, ob die 27 EU-Staaten ihre Geschlossenheit aufrechterhalten können. Vielleicht ist das die Geburtsstunde einer wirklich europäischen Gesinnung.
Le Soir nennt Donald Trump den "Apostel des Chaos". Er gibt den Macher. Ohne zu zögern und mit demonstrativer Entschlossenheit unterschreibt er einen Erlass nach dem anderen. Und er macht vor nichts und niemandem Halt, der gute Donald. In den USA geht er mit der Abrissbirne durch die föderalen Verwaltungen. Er, der sich nicht nur im demokratischen, sondern auch im religiösen Sinne für den "Auserwählten" hält, er sieht sich mit einem Freifahrtschein ausgestattet. Eine "imperiale Präsidentschaft", was sogar die Aushebelung der Verfassung rechtfertigt. Und wenn man sich all das so anschaut, dann steht zu befürchten, dass sich dieser Mann am Ende auch noch eine dritte Amtszeit gewährt.
Roger Pint