"Marathondebatte über die Regierung De Wever", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. De Tijd spricht sogar von einer "absurd langen Debatte". "Über 40 Stunden Debatte: Da soll man nicht müde werden", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Die Zeitung zeigt Kammerabgeordnete mit kleinen Augen, die offensichtlich gegen den Schlaf ankämpfen. "So etwas ist nicht mehr zeitgemäß", bringt De Standaard aber eine vielgehörte Kritik auf den Punkt.
Wir sind also nicht mehr nur Weltmeister im Regierungsbilden, sondern nun auch im Debattieren über Regierungen, frotzelt Het Belang van Limburg. Was Politiker mit einer 40-stündigen Marathondebatte beweisen wollen, das wissen sie manchmal selbst nicht. Aber zugegeben: Es gab da doch immer mal wieder kleinere Highlights, zum Beispiel das Duell zwischen dem PS-Vorsitzenden Paul Magnette, also dem neuen Oppositionsführer, und Premierminister Bart De Wever. Auch gab es erste Hinweise darauf, wie die Arizona-Koalition zusammen funktionieren will. Es war also nicht immer schlechtes Theater.
Palaver schadet der Glaubwürdigkeit
Andere Zeitungen sind da nicht ganz so wohlwollend. "Ein völlig unnötiger Marathon", so etwa das beißende Urteil von Het Nieuwsblad. Mal ehrlich: Hat sich irgendjemand diese Sitzung ernsthaft angetan? Und wenn ja: Welche Erkenntnisse hat er da gewonnen? Denn sehr viel Neues haben wir in den 40 Stunden nicht erfahren. Ja, es stimmt: Eine Parlamentsdebatte über ein neues Regierungsprogramm ist ein Schlüsselmoment in jeder Demokratie. Das ist allerdings gestern zu einer Farce verkommen. Jeder wollte sich einfach nur zeigen. "Dramademokratie" nennt man das. Leider hat man damit aber nur bei Kritikern den Eindruck verstärkt, dass ein Parlament letztlich tatsächlich nur eine Quasselbude ist.
Gazet van Antwerpen ist hin und her gerissen und bringt gleich zwei Kommentare: pro und contra. "Jetzt war auch mal die Opposition an der Reihe", meint der eine Leitartikler. Sieben Monate lang haben die Vertreter der Arizona-Parteien alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und dabei letztlich auch ein nicht immer sehenswertes Schauspiel aufgeführt. Und wenn die Mehrheit das darf, dann eben auch die Opposition. Wenn ein Premier die Vertrauensfrage stellt, dann ist es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Gegenseite, ihm und seiner Mannschaft auf die Finger zu schauen. "Aber nicht auf diese Art", entgegnet die Kollegin. Einmal mehr ist gestern der Eindruck entstanden, dass das Parlament größtenteils aus weltfremden Politikern besteht, die palavern, um zu palavern. Die Debatte muss beim nächsten Mal mindestens gestrafft werden. Denn hier geht es um die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten.
Höchste Zeit zum Handeln
Zweites großes Thema ist natürlich die neuerliche Serie von Schießereien in Brüssel. "Die Drogengewalt eskaliert, und was macht die Politik? ", titelt anklagend De Morgen.
"Jetzt bedarf es einer Schocktherapie gegen dieses urbane Krebsgeschwür! ", fordert mit scharfen Worten La Libre Belgique. Belgien steht an der Schwelle zu einem Narco-Staat. Jetzt besteht absolute Dringlichkeit! Die Hauptstadt braucht mehr Polizisten, auch mehr Personal in den Staatsanwaltschaften! Das Gefühl der Straffreiheit, das sich durchaus unter den Kriminellen breitgemacht haben kann, muss dringend aus der Welt geschafft werden.
"Man muss sich aber auch die Mittel für seine Ambitionen geben", gibt L'Echo zu bedenken. Die neue Regierung ist mit vollmundigen Ankündigungen gestartet. MR-Chef Georges-Louis Bouchez zog sogar das gleiche rhetorische Register wie der frühere französische Präsident Sarkozy, der in seiner Zeit als Innenminister mit deutlichen und scharfen Worten ankündigte, die Problemviertel "säubern" zu wollen. In Belgien folgt aber dann gleich der grausame Realitätscheck: Die Haftanstalten sind hoffnungslos überbelegt; Gerichtsurteile werden in der Praxis kaum umgesetzt. Eine Politik der Nulltoleranz ist eigentlich Fiktion.
Die von der Arizona-Regierung angestrebte Fusion der sechs Brüsseler Polizeizonen wäre aber bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung, ist De Tijd überzeugt. In erster Linie würden dadurch nämlich die Kommandostrukturen gestrafft. Im Grunde geben die Brüsseler Bürgermeister, die allesamt gegen die Zusammenlegung sind, den neuen föderalen Verantwortlichen sogar Recht. Schließlich haben sie gerade beschlossen, die Ordnungskräfte im Kampf gegen die Drogenkriminalität jetzt zeitweilig unter ein einheitliches Kommando zu stellen. Vielleicht sehen die Frankophonen ja doch irgendwann mal ein, dass das der richtige Weg ist.
Auch nach dem Jahr 2024 mit seinen 89 Schießereien hat man jedenfalls immer noch das äußerst beklemmende Gefühl, dass sich die Dinge nicht bewegen, meint nachdenklich Le Soir. Man kann sich dem neuen Prokurator des Königs von Brüssel nur anschließen: Den Worten müssen jetzt dringend Taten folgen. Vor allem aber müssen jetzt alle Beteiligten einen kühlen Kopf bewahren. Es darf nicht sein, dass die Drogengewalt am Ende instrumentalisiert wird, um irgendeine politische Agenda durchzusetzen. Wir müssen einfach nur alle zusammen zielgerichtet diese Geißel bekämpfen.
Gazastreifen braucht realistischen Zukunftsplan
Einige Zeitungen kommen schließlich noch einmal zurück auf die Pläne von Donald Trump über die Zukunft des Gazastreifens. Der US-Präsident wollte ja aus dem Palästinensergebiet die "Riviera des Nahen Ostens" machen.
"Glauben Trump und die israelische Regierung wirklich, dass sie damit die Gewalt beenden würden?", giftet De Morgen. Die Palästinenser würden eine neue Nakba, einen neuen Exodus wie den von 1948, niemals hinnehmen. Wie schon die erste Vertreibung wäre das wohl der Nährboden für weiteren Terror. Die internationale Gemeinschaft wäre jetzt aber gut beraten, schnellstens einen alternativen und vor allem realistischen Plan über die Zukunft des Gazastreifens vorzulegen, der Trumps Luftspiegelungen zerplatzen ließe.
"Sind wir also wieder auf Trumps Spiel hereingefallen?", konstatiert ihrerseits la Dernière Heure. Das Weiße Haus hat ja Trumps Pläne schon wieder nuanciert. Aber keine Sorge: Die Flut an Hirngespinsten wird nicht abreißen. Die nächste hanebüchene Idee kommt bestimmt. Und, selbstkritisch muss man sagen: Wir werden sie dann wieder kommentieren und machen uns damit nur zu Trumps nützlichen Idioten.
Roger Pint