"Es geht drunter und drüber, aber es bleibt bei der Deadline am Freitag", titelt De Morgen. "Es bleiben noch mehr als 50 Streitpunkte", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Ab Mittwoch heißt es: Landung oder Crash", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Die föderalen Koalitionsverhandlungen sind am Wochenende erneut ins Stocken geraten. Eigentlich wollte man gestern in großer Runde über die sogenannte 'Supernote' verhandeln. Regierungsbildner Bart De Wever ist aber offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass der Graben zwischen den Parteien noch zu tief war. Jetzt hat er die entscheidenden Gespräche auf Mittwoch verschoben. Und dann will man durchverhandeln bis zum Schluss. "Bart De Wever setzt auf Alles oder Nichts", schreibt denn auch das GrenzEcho auf Seite eins. "Jetzt ist es definitiv die Woche der Wahrheit", so das Fazit von Gazet van Antwerpen.
Die Gefahr eines Crashs ist real
Das ist eine riskante Strategie, glaubt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Auf der einen Seite mag es zwar vernünftig klingen, wenn man nach einer siebenmonatigen Endlosschleife nun endlich mal für Klarheit sorgt. Dieser "Alles-oder-Nichts-Moment" ist irgendwie überfällig. Auf der anderen Seite kommt diese "Stunde der Wahrheit" aber paradoxerweise doch wieder zu früh. Denn in der Zwischenzeit haben sich die Parteien in ihren Positionen regelrecht eingegraben. Inzwischen steht quasi jede Maßnahme aus der 'Supernote' wieder zur Disposition. Nicht umsonst hat es Regierungsbildner De Wever vorgezogen, die für gestern anberaumte entscheidende Sitzung zu verschieben. Doch warum sollte die Welt drei Tage später anders aussehen? Die Gefahr eines folgenschweren Crashs ist jetzt real.
"Es wird eng", glaubt auch Het Belang van Limburg. Es liegt noch zu viel auf dem Tisch, so viel jedenfalls, dass es fast schon unrealistisch wird, dass die Arizona-Parteien am Freitag tatsächlich landen können. Dies, zumal die Gewerkschaften in den letzten Tagen den Druck deutlich erhöht haben. Vor allem Vooruit, die CD&V und Les Engagés spüren inzwischen den heißen Atem der Arbeitnehmerorganisation im Nacken. Die Gleichung, die es zu lösen gilt, ist also zuletzt nur noch komplizierter geworden.
Mehr denn je stellt sich aber inzwischen die Frage, ob Bart De Wever überhaupt noch Premierminister werden will, analysiert De Morgen. Es gibt jedenfalls einige Gründe, um daran zu zweifeln. Es ist doch so: Jede Partei zieht ihre roten Linien. Die sind allgemein bekannt; jeder weiß, dass diese Schmerzgrenzen nicht überschritten werden dürfen, wenn man denn eine Einigung erzielen will. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum legt Regierungsbildner Bart De Wever nach sieben Monaten immer noch eine 'Supernote' vor, die Korrekturen an der automatischen Lohnindexbindung vorsieht? Er weiß doch haargenau, dass er hier eben die rote Linie insbesondere von Vooruit überschreitet. Dies erst recht vor dem Hintergrund, dass man ja auch schon eine Reform der Beamtenpension plant. Warum tut De Wever das? Vielleicht, weil er einfach keine Lust mehr hat? Oder will er das Scheitern jemand anderem in die Schuhe schieben? Dass solche Fragen sich plötzlich wieder stellen, das verheißt nichts Gutes.
"Dunkle Wolken über dem Arizona-Himmel"
De Standaard hat seinerseits weniger Verständnis für die Haltung der flämischen Sozialisten. Warum macht sich Vooruit plötzlich zum Anwalt der Beamten? Im Wesentlichen geht es doch darum, den öffentlichen Dienst und den Privatsektor einander anzugleichen. Die Tatsache, dass die Pensionen für Beamte anders berechnet werden, das widerspricht doch eigentlich dem Gerechtigkeitsgefühl.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Vooruit andere, manchmal wesentlich schmerzhaftere Maßnahmen geräuschlos durchwinkt, zum Beispiel die Absicht, Sozialleistungen wie etwa das Eingliederungseinkommen während fünf Jahren nicht mehr zu indexieren. Eine solche Maßnahme trifft die Schwächsten der Gesellschaft. Und dagegen scheint keine Gewerkschaft und auch nicht Vooruit aufzubegehren.
"Dunkle Wolken ziehen am Arizona-Himmel auf", ist jedenfalls La Dernière Heure überzeugt. Fünf Tage vor Ablauf der ominösen Deadline ist die Zahl der offenen Fragen offensichtlich nur noch größer geworden. Das größte Problem ist wohl, dass die Menschen den Eindruck haben müssen, dass am Ende vor allem Otto Normalverbraucher die Zeche zahlt. Dabei gäbe es bestimmt die Möglichkeit, auch mal bei anderen Ausgaben den Sparhobel anzusetzen, angefangen bei den Doppel- und Dreifachangeboten, die es in unserem Föderalstaat immer noch gibt. Und es wäre bestimmt hilfreich, wenn die Politiker auch mal bei ihren eigenen Privilegien anfangen würden.
"Zivilisatorische Entgleisungen"
Einige Zeitungen schließlich erinnern an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz heute vor genau 80 Jahren. "Die Menschen haben aus Auschwitz nichts gelernt", zitiert La Libre Belgique einen Holocaust-Überlebenden auf Seite eins.
Auschwitz, das war vor 80 Jahren, vor NUR 80 Jahren, muss man eigentlich sagen, meint Le Soir in seinem Kommentar. 80 Jahre, das ist eigentlich ein Wimpernschlag. Momente der absoluten Barbarei hat es auch später noch immer wieder gegeben, man denke an die Roten Khmer in Kambodscha oder dem Völkermord in Ruanda. Es waren immer Ideologien, die auf der Diskriminierung von Ethnien, Religionen oder Kulturen fußten, die am Ende zur systematischen Auslöschung des Anderen geführt haben.
Die Berichte und Mahnungen von Überlebenden reichen denn auch leider nicht aus, um solche "zivilisatorischen Entgleisungen" zu verhindern. Wir brauchen auch Diplomatie, starke demokratische Institutionen, internationale Zusammenarbeit, und vor allem die kollektive Ablehnung von extremistischem Gedankengut. Nur so bleibt uns ein neues Auschwitz vielleicht erspart.
Roger Pint