"Das Endspiel für die Regierungsbildung beginnt", titelt De Morgen. "Noch sieben Tage: Belgien wartet auf den Durchbruch", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Ab jetzt tickt die Uhr. Die Arizona-Parteien haben sich ja selbst ein Ultimatum gestellt: Sollte es bis Ende Januar keine Einigung auf ein Regierungsabkommen geben, dann will man die Koalitionsverhandlungen für beendet erklären.
Die letzten Tage waren geprägt von einer Reihe von Presselecks. Was aktuell auf dem Verhandlungstisch liegt, das ist also zumindest in groben Zügen bekannt. "Die Arizona-Parteien arbeiten an der strengsten Asylpolitik, die das Land je hatte", so die Aufmachergeschichte von Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. Einige Blätter sind präziser: "Einwanderung: Die Arizona-Parteien wollen erst nach einer Wartezeit von fünf Jahren ein Recht auf Sozialhilfe gewähren", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Die neue Migrationspolitik soll 1,6 Milliarden Euro einbringen", titelt Het Laatste Nieuws.
Die stärksten Schultern tragen (bisher) nicht die schwerste Last
Für besonders viel Diskussionsstoff sorgt aber der Inhalt der sogenannten 'Supernote' von Regierungsbildner Bart De Wever. Die ist nämlich auch der Presse zugespielt worden, zumindest Auszüge davon. "Die Presselecks bringen schon die Gewerkschaften auf die Palme", notiert L'Echo auf Seite eins.
Diese 'Supernote', das ist bislang noch ein Entwurf; die Arizona-Parteien müssen sich ja erst noch auf die sozialwirtschaftlichen und haushaltspolitischen Leitlinien der künftigen Regierung einigen. "Und das wird nicht einfach", glaubt Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Die letzte Fassung des Eckpunktepapiers ist nämlich beim Mitte-Links-Flügel der Arizona-Parteien ganz schlecht angekommen, allen voran bei Vooruit und der CD&V. Die werfen dem Regierungsbildner vor, seine 'Supernote' allzu sehr auf den MR-Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez zugeschnitten zu haben. Und tatsächlich: Wenn man sich anschaut, was derzeit auf dem Tisch liegt, dann mag es so aussehen, als seien die Anstrengungen nicht gerecht verteilt. Die Geschichte mit den stärksten Schultern, die die schwerste Last tragen müssen, die stimmt im Moment nicht.
Unangetastete Heilige Kühe
Aktuell ist ein deutlicher Rechts-Drall zu erkennen, findet auch Le Soir. Aber, das ist auch nicht weiter verwunderlich, entspricht das doch bis zu einem gewissen Maß auch dem Wahlergebnis vom 9. Juni. Dennoch: Wenn man sich die durchgesickerten Inhalte der 'Supernote' anschaut, dann gilt wohl: Am besten, man arbeitet im Privatsektor, ist nicht krank, sehr mobil und ultraflexibel; und ganz nebenbei auch besser ein Mann als eine Frau. Dieses Fazit gilt insbesondere mit Blick auf die Renten. Fairerweise muss man aber auch zugeben, dass die Arizona-Parteien andere Heilige Kühe unangetastet lassen, wie zum Beispiel die Lohn-Index-Bindung. Bei alledem darf man aber nicht vergessen, dass nur Auszüge der 'Supernote' durchgesickert sind; Auszüge, die wahrscheinlich gezielt ausgewählt wurden. All das erlaubt noch kein Gesamtbild.
Het Laatste Nieuws kann hier jedenfalls kein stramm-rechtes Programm erkennen. Die schärfsten Ecken wurden rundgefeilt, insbesondere von Conner Rousseau und mit freundlicher Unterstützung der CD&V. Und bei alledem muss man sich eins immer vor Augen halten: Die nächste Regierung wird 28 Milliarden Euro finden müssen, um den Haushalt wieder auf Kurs zu bringen. Da gibt es kein Vertun: Dann muss man den Hobel bei der Sozialen Sicherheit ansetzen. Denn von 100 Euro, die der Staat ausgibt, fließen 38 Euro in Pensionen und Sozialleistungen. Und trotzdem sieht die jüngste Fassung der 'Supernote' hier zum Teil lange Übergangsfristen vor. Ein ultrarechtes Horrorszenario sähe definitiv anders aus.
"Konnte er nicht, oder wollte er nicht?"
Das Problem an dieser 'Supernote', das ist ihre Inkohärenz, analysiert sinngemäß De Morgen. Beispiel: Die vieldiskutierte Kapitalertragssteuer wurde jetzt umgetauft in "Solidaritätsbeitrag". Diese Abgabe wurde zwar halbiert und würde sich jetzt noch auf fünf Prozent belaufen. Allerdings gilt die auch schon für mehr oder weniger kleine Anleger. Schuld daran ist paradoxerweise Georges-Louis Bouchez: Weil der sich partout dagegenstemmte, große Vermögen zu besteuern, kommt jetzt eine Abgabe, die erst recht seine Wählerschaft trifft. Und, zwischen Klammern gesagt, ist das eine Maßnahme, die eigentlich niemand wollte und die nur das Resultat eines faulen Kompromisses ist. Eine wirkliche Steuerreform, die tatsächlich auch mal neue Impulse setzten würde, die sähe wohl anders aus. Und das nur, weil jede Partei unbedingt eine Trophäe einsacken wollte. Ergo: Auch die Arizona-Koalition wird am Ende wieder eine typisch belgische Regierung sein.
Dass all das auf der Straße gelandet ist, das ist jedenfalls kein gutes Zeichen, glaubt Het Nieuwsblad. Es sieht verdächtig danach aus, dass der eine oder die andere es bewusst darauf angelegt hat, die Gewerkschaften auf die Palme zu bringen. Der Druck auf Regierungsbildner Bart De Wever ist jetzt jedenfalls maximal. Durch die Presselecks ist sein Verhandlungsspielraum extrem klein geworden. Die Frage aller Fragen lautet: Hat er sich selbst in diese Zwangslage manövriert, oder wurde er in diese Zwickmühle gebracht? Sollte die Arizona-Koalition in einer Woche vor die Wand fahren, dann wird es bei der Rekonstruktion des Crashs um eben solche Fragen gehen; und eben insbesondere um Bart De Wever: "Konnte er nicht, oder wollte er nicht?" Für beide Alternativen gibt es deutliche Hinweise.
Doch unabhängig davon, wie die Analyse ausfällt: In beiden Fällen wird De Wever beschädigt aus dem Arizona-Kapitel herauskommen. Vielleicht ist das ja ein Ansporn, dass es am Ende doch noch zu einer Einigung kommt. Jetzt ist sie wirklich da, die Woche der Wahrheit.
Roger Pint