"Großdemo gegen Rentenpläne – 30.000 Belgier, vor allem Lehrer aus Flandern, ziehen durch Brüssel – DG-Schulen werden bestreikt", blickt das GrenzEcho zurück auf den gestrigen nationalen Aktionstag der Gewerkschaften. "30.000 Demonstranten bieten der Arizona die Stirn", titelt L'Avenir. "30.000-mal 'Nein' zu den Rentenplänen", liest man bei Gazet van Antwerpen. "Eine Warnung an die Unterhändler", hält De Morgen fest. "Sozialistische Gewerkschaft droht: 'Jeden 13. des Monats Streik'", meldet Het Laatste Nieuws. "Die Gewerkschaften setzen den Ton für den Frühling", schreibt De Tijd.
Eine neue Föderalregierung gibt es zwar noch nicht, erinnert De Tijd in ihrem Leitartikel, aber die Marschrichtung ist trotzdem klar: Es muss gespart werden, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Dass dabei die Renten ins Visier kommen, ist nur logisch, schließlich sind es vor allem sie und die Gesundheitskosten, die die Sozialausgaben immer weiter anschwellen lassen. Und es ist genauso logisch, dass sich der Blick zunächst auf die mit den vorteilhaftesten Statuten richtet. Es ist eigentlich nur verrückt, dass das nicht schon früher passiert ist. Es ist aber auch frappierend, wie wenige Menschen sich für die künftigen Generationen eingesetzt haben, auf die eine immer heftigere Rechnung zurollt. Und während viele Lehrkräfte gestern aus "Solidarität" mitdemonstriert haben, scheint die Solidarität doch nicht groß genug zu sein, um den Lehrerberuf zu reformieren und damit gleich attraktiv für alle machen zu wollen, prangert De Tijd an.
Der falsche Kampf
Die gestrige Streikbereitschaft hat gezeigt, wie groß der Frust im Unterrichtswesen ist, hält Gazet van Antwerpen fest. Und das ist nachvollziehbar: immer mehr Zeit, die für Administratives draufgeht, immer weniger Respekt von Eltern und Politikern, Druck von der Schulinspektion, der miserable Zustand vieler Schulgebäude, überfüllte Klassen und so weiter. Die Lehrer haben unzählige legitime Gründe, um in Brüssel zu demonstrieren. Aber eine Reform des Rentensystems gehört wirklich nicht dazu. Die Gewerkschaften des Unterrichtswesens haben sich hier wieder mal für den falschen Kampf entschieden, wettert Gazet van Antwerpen.
So kontraintuitiv es auch klingen mag: Eine Reform des Rentensystems für Lehrer ist genau das, was wir brauchen, um das flämische Unterrichtswesen zu stärken, schreibt Het Laatste Nieuws. Denn es ist das aktuelle System, das den Lehrermangel fördert, indem es erlaubt, dass Lehrer schon nach 42 Jahren ohne Einbußen in Pension gehen, während die meisten anderen Menschen 45 Jahre arbeiten müssen für eine volle Rente. Das System bestraft auch frühpensionierte Lehrer, die bei Bedarf einspringen wollen. Es erlaubt auch keine flexibleren Arbeitszeiten, die es Menschen ermöglichen würden, länger durchzuhalten im Beruf. Und schließlich ist da auch noch die gesetzliche Kopplung der Lehrerlöhne an die Renten über den Index hinaus. Solche finanziellen Extras sind heute einfach nicht mehr zu verantworten, empört sich Het Laatste Nieuws.
Geben und Nehmen
Wenn föderal etwas weggenommen wird, dann könnte das doch regional wieder ausgeglichen werden, schlägt Het Belang van Limburg vor. Experten haben bereits einen zweiten, flämischen Pensionspfeiler vorgeschlagen, um den Lehrern den Job zu versüßen, die N-VA soll sich auch bereits mit der Idee befassen. Dann könnte Regierungsbildner und Premier in spe Bart De Wever auf föderaler Ebene nehmen und Unterrichtsministerin Zuhal Demir auf regionaler Ebene wieder geben.
Und falls De Wever – so wie es allgemein ja erwartet wird – gemeinschaftspolitisch bei den föderalen Regierungsverhandlungen nichts holen kann, dann könnte man das Ganze auch noch als "weiteren Ausbau der flämischen Autonomie" verkaufen, so Het Belang van Limburg.
Bouchez' neue Rekruten
Die frankophonen Leitartikel befassen sich derweil vor allem mit der MR. Denn bei den frankophonen Liberalen rumort es, nachdem Parteipräsident Georges-Louis Bouchez persönlich die Aufnahme von drei ehemaligen Mitgliedern der rechtsextremen Partei "Chez Nous" beschlossen hatte. Es war Bouchez klar, dass er mit dieser Entscheidung provozieren würde, kommentiert L'Avenir, sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner Partei. Seitdem er die Zügel übernommen hat, hat er die MR konsequent immer weiter nach rechts ausgerichtet. Und er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, mit dieser Taktik den extremen Parteien das Wasser abgraben zu wollen beziehungsweise keine wallonische Konkurrenz rechts von der MR dulden zu wollen. Die Aufnahme der Ex-Chez-Nous-Politiker ist ohne Absprache mit der Basis oder der Parteispitze geschehen. Die zeigen Bouchez nun ihren Unwillen, der sich aber stur gibt. Dabei hilft es sicher auch nicht, dass seine neuen Rekruten bis vor Kurzem noch deutlich zu ihren rechtsextremen Überzeugungen standen, merkt L'Avenir an.
Chez Nous hatte im Wahlkreis Lüttich 2,9 Prozent der Stimmen geholt, ergänzt La Libre Belgique. Den Spitzenkandidaten der Rechtsextremen, Noa Pozzi, in die eigene Partei aufzunehmen, ist also nicht wirklich ein großer Fang für Bouchez. Der, der dabei am meisten zu gewinnen zu haben scheint, ist wohl Pozzi. In dieser Hinsicht scheint das Ganze aus MR-Sicht zumindest überstürzt. Denn es bietet Konfliktpotenzial innerhalb der Partei. Ganz zu schweigen von der Gefahr, die die Werte und Ideen des angeblich geläuterten Rechtsextremen für die Partei darstellen können. Den Rechtsextremen keinen Raum lassen zu wollen, das bedeutet nicht, ihre Rhetorik und ihre Thesen zu übernehmen oder sich mit ihren Anführern zu verbünden, mahnt La Libre Belgique. Es muss darum gehen, die Missstände zu beseitigen, die sie stark machen.
Boris Schmidt