"Zehntausende Demonstranten ziehen nach Brüssel – eine von drei Schulen bleibt zu, zwei von drei Zügen fahren nicht, Folgen für Müllabfuhr noch unklar", kündigt Gazet van Antwerpen den heutigen nationalen Protesttag der Gewerkschaften gegen die Rentenreformpläne der Arizona-Parteien an.
"Große Behinderungen durch Streiks: 22.500 Lehrkräfte nach Brüssel, weniger als jeder dritte Zug fährt, 40 Prozent der Flüge annulliert", titelt Het Laatste Nieuws. "Renten-Demonstration tritt auch Diskussion über Lehrerlöhne los", schreibt De Standaard. "Streiks: Das Jahr wird heiß – große Beeinträchtigungen diesen Montag erwartet wegen der Renten, weitere Aktionen in Sicht", warnt La Dernière Heure.
Heute ist bereits der zweite monatliche Aktionstag der Gemeinschaftsfront der Gewerkschaften gegen die potenziellen Spar- und Reformpläne der künftigen Föderalregierung, rekapituliert L'Avenir in seinem Leitartikel. Und das, obwohl noch nicht einmal abschließend geklärt ist, wer in die Rue de la Loi 16 einziehen wird. Entsprechend prangern die Arizona-Parteien an, dass die Gewerkschaften und linken Parteien Horrorgeschichten verbreiten würden und dass man doch bitte auf die Vorstellung des tatsächlichen Regierungsprogramms warten solle. Dabei besteht nicht wirklich ein Zweifel daran, dass der Rotstift kräftig bei den Pensionen angesetzt werden wird. Um die Menschen von der Richtigkeit, Notwendigkeit und Ausgeglichenheit ihrer Maßnahmen zu überzeugen, wird die künftige Regierung noch einiges tun müssen. Sonst sehen wir uns in 31 Tagen zum nächsten Aktionstag wieder, prophezeit L'Avenir.
Alle werden ihren Beitrag leisten müssen
PS-Chef Paul Magnette hat bereits gesagt, dass es andere Lösungen gebe, um das Haushaltsloch von 27 Milliarden Euro zu stopfen, erinnert Het Laatste Nieuws. Nämlich neue Steuern, zum Beispiel für internationale Konzerne, Betriebe mit hohen Gewinnen und die reichsten Belgier. Als ob das den Arizona-Parteien nicht auch schon in den Sinn gekommen wäre. Aber die wissen, dass keine Gruppe allein die notwendigen finanziellen Anstrengungen wird stemmen können. Das wäre im Übrigen auch keine "ehrliche Lastenverteilung". Die unangenehme Wahrheit ist, dass alle ihren Beitrag leisten werden müssen – seien es nun die Lehrer, die "Superreichen", die Arbeitslosen oder die Langzeitkranken. Dass Magnette und die Gewerkschaften auch heute wieder Ausnahmen fordern, das zeigt, dass sie immer noch nicht verstanden haben, dass die Zeiten vorbei sind, in denen der Staat etwas zu verschenken hatte, wettert Het Laatste Nieuws.
Vooruit-Chef Conner Rousseau hat Recht, wenn er sagt, dass die kräftigsten Schultern am meisten beitragen müssen, kommentiert Het Nieuwsblad. Er hat auch Recht, dass das in puncto Steuern bedeutet, dass große Vermögen stärker zur Kasse gebeten werden müssen. Aber die gleiche Argumentation muss auch für die geplante Rentenreform gelten. Und das heißt, dass es nicht die Selbstständigen mit ihren Mindestrenten sein dürfen, die die Zeche zahlen, sondern eben die mit den kräftigsten Schultern: die Militärs, Bahnangestellten, Professoren, Richter, Beamten und Lehrer. Die Schieflage, die sowohl bei ihrem Renteneintrittsalter als auch bei der Höhe ihrer Pensionen besteht, ist heutzutage einfach nicht mehr zu verantworten, findet Het Nieuwsblad.
Ein hochsensibles Thema
Es war sicher nicht die Absicht der Gewerkschaften, aber mit ihrem Aktionstag gegen Rentenreformen befeuern sie die Polarisierung der arbeitenden Bevölkerung, hält De Standaard fest. Es ist auch ein hochsensibles Thema, an dem sich die Gemüter leicht entzünden können. Da ist zum Beispiel das Unverständnis jüngerer Werktätiger, die für die Privilegien älterer Arbeitnehmer zahlen müssen. Und man sollte auch den Neid nicht unterschätzen, den solche Vorrechte generell bei denen hervorrufen, die ihrer Meinung nach genauso hart arbeiten aber weniger und später Rente bekommen. Der Plan der streikenden Intelligenzija kann nicht sein, alles beim Alten lassen zu wollen, nur weil sie am meisten davon haben. Sowohl die Gewerkschaften als auch die künftige Regierung müssen das größte Interesse daran haben, das Rentensystem so solidarisch wie möglich zu gestalten. Und das bedeutet maximale Angleichung, ohne Sonderrechte und Ausnahmen, fordert De Standaard.
Es gibt Gewerkschaften, weil nicht jeder kleine Lehrer und jede Putzkraft einfach das Telefon nehmen und Bart De Wever anrufen kann, wirft De Morgen ein. Die meisten Bürger haben – nachdem sie bei den Wahlen ihre Stimme abgegeben haben – keine Einflussmöglichkeit mehr, außer sich zusammentun, um der Politik ihren Willen zu kommunizieren. Ohne mehr als ein Jahrhundert gewerkschaftlichen Kampfes für mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen würden wir heute ein ganz anderes Leben führen. In dem Sinne verdienen die Streiks und die Demonstration heute auch unser Verständnis, unsere Unterstützung und unseren Respekt, meint De Morgen.
Nur die Spitze des Eisbergs
Man muss den Plänen der Arizona-Parteien zumindest zugutehalten, dass sie die Probleme unseres Rentensystems beim Namen nennen, merkt La Libre Belgique an. Aber andererseits kratzen die vorgeschlagenen Maßnahmen nur an der Oberfläche. Sicher, dass wir angesichts der Vergreisung länger werden arbeiten müssen, scheint nur logisch. Genauso wie die Abschaffung all der Sonderregelungen und Vorrechte. Aber das ist doch nur die Spitze des Eisbergs.
Man kann nur immer wieder daran erinnern, dass die Rentenreform nicht einfach nur eine buchhalterische Übung sein darf. Sie muss einhergehen mit sozialer Gerechtigkeit, qualitativ hochwertiger Weiterbildung und würdigen Arbeitsbedingungen. Geschieht das nicht, zögern wir den angekündigten Schiffbruch des Systems nur hinaus. Dann werden künftige Generationen die Rechnung zahlen müssen für unsere kollektive Kurzsichtigkeit, mahnt La Libre Belgique.
Boris Schmidt