"Dies sind die Gewinner und die Verlierer des Jahres", titelt Le Soir. Einige Zeitungen beginnen heute schon mit ihren Rückblicken auf 2024. Zu den Gewinnern gehört für Le Soir eindeutig Donald Trump, der ja am vergangenen 5. November wieder zum US-Präsidenten gewählt wurde. Zu den Verlierern zählt Le Soir den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich mit der Ausrufung von Neuwahlen innenpolitisch verzockt hat; und dann auch Didier Reynders, gegen den wegen mutmaßlicher Geldwäsche ermittelt wird.
Einige Leitartikler ziehen aber auch eine erste Bilanz des innenpolitischen Jahres. 2024 war ja ein Superwahljahr. In Brüssel, aber vor allem auf der föderalen Ebene gibt es aber weiterhin keine Regierung.
"Geht es hier eigentlich noch um den Inhalt?", fragt sich in diesem Zusammenhang Het Nieuwsblad in seinem Kommentar. Die Verhandlungen zur Bildung einer Arizona-Koalition wurden abwechselnd blockiert von MR und Vooruit, die ideologisch am weitesten voneinander entfernt sind. Vordergründig ging es hier – grob gesagt – um die Frage, wie hoch der Steuerdruck in Belgien sein soll. Das klingt im Kern nach einer urpolitischen Diskussion. Wenn da aber nicht die offensichtliche Inszenierung wäre.
MR-Chef Georges-Louis Bouchez etwa schießt nicht nur hinter verschlossenen Türen wild um sich, er gibt auch munter weiter Interviews. Auch der Vooruit-Vorsitzende Conner Rousseau scheint von Zurückhaltung nicht viel zu halten. Von der gebotenen Diskretion und Besonnenheit sind wir also weit entfernt. Eigentlich kann das so nicht funktionieren. Und das ist denn auch der Grund dafür, dass sich die Verhandlungen im Kreis drehen und viel zu oft wie Echternacher Springprozession wirken: drei Schritte vor und zwei zurück. Alle Beteiligten sollten sich einmal besinnen und wirklich nur auf Fortschritte hinarbeiten. Alles andere muss Nebensache sein.
Ein falsches Gefühl der Sicherheit
"Denn wir beginnen uns an den Stillstand zu gewöhnen", befürchtet De Tijd. Die föderalen Koalitionsverhandlungen drohen inzwischen zu einem Zirkus zu verkommen. Auf der einen Seite ist da MR-Chef Georges-Louis Bouchez, der insbesondere den CD&V-Politiker Vincent Van Peteghem wüst beschimpft hat. Auf der anderen Seite sollen die flämischen Sozialisten Vooruit hunderte Änderungsvorschläge für die Supernote von Regierungsbildner Bart De Wever hinterlegt haben. Und all das über 200 Tage nach der Wahl.
Das anfängliche Gefühl der Dringlichkeit scheint sich also verflüchtigt zu haben. Zumindest einige am Tisch haben es offensichtlich nicht mehr sehr eilig. Das ist aber ein falsches Gefühl der Sicherheit. Düstere Wolken ziehen auf. 2025 dürfte nicht zuletzt wegen der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA nochmal wesentlich chaotischer werden als das ausklingende Jahr. Und Belgien verhält sich da wie eine Insel, auf der die Gesetze der wirtschaftlichen Schwerkraft nicht gelten. Will man in diesen unruhigen Zeiten so viel wie möglich sein Schicksal in eigenen Händen behalten, dann muss Belgien jetzt dringend damit anfangen, sich neu aufzustellen.
Auch La Dernière Heure blickt nur noch mit Kopfschütteln auf die Rue de la Loi. Vor allem das Verhalten der flämischen Sozialisten Vooruit irritiert. Hunderte Änderungsvorschläge sollen sie hinterlegt haben. Die Rede ist von mindestens 280. Geht man mal davon aus, dass man sich jeweils 15 Minuten mit jedem dieser Änderungsvorschläge beschäftigt, dann hätte man knapp sieben Tage dafür nötig. Das klingt doch irgendwie wie das, was man in Amerika "Filibuster" nennt: Obstruktion. Unter diesen Umständen sehen wir die neue Regierung am Ende vielleicht zu Ostern.
(Un)abwendbares Schicksal?
Auch ansonsten sind die Ausblicke auf das kommende Jahr nicht unbedingt von Optimismus geprägt. "Steuern wir auf einen dritten Weltkrieg zu?", fragt sich etwa L'Echo und widmet dem Thema gleich mehrere Sonderseiten.
2025 dürfte in jedem Fall weiter von geopolitischen Spannungen geprägt sein, ist das Blatt überzeugt. Ukraine, Israel, Syrien, um nur die wichtigsten Schauplätze zu nennen. In den letzten Wochen wurde die Unruhe noch weiter befeuert, etwa durch den Einsatz von nordkoreanischen Soldaten an der Seite der russischen Truppen oder den jüngsten Sabotageakten in der Ostsee. Parallel dazu steht die Demokratie inzwischen auch in einigen europäischen Kernländern unter Druck. Dies unter anderem in Frankreich und Deutschland, wo die traditionellen Parteien durch eine Mischung aus Schwäche und Unvermögen den Extremisten noch das Bettchen machen.
All diese Entwicklungen sind aber keine Fatalität, das Schicksal ist nicht unabwendbar. Jetzt muss die EU das tun, was man von ihr erwartet: eine stabilisierende Rolle ausüben. Indem man in erster Linie seine Verteidigung verstärkt, insbesondere mit Blick auf die Infrastruktur und die Grenzen. Indem man aber auch die Ukraine weiterhin bedingungslos unterstützt. Indem man eigentlich verhindert, dass sich die Angst in Hass verwandelt. Denn dieser Hass ist der Motor, insbesondere für Rechtsextremisten.
Ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg
Einige flämische Zeitungen kommen noch einmal zurück auf die Polemik um die von einigen Bürgermeistern verhängten Hausarreste. In Antwerpen etwa hat Bürgermeister Bart De Wever für die Silvesternacht ein Ausgehverbot für bekannte jugendliche Krawallmacher verhängt. In Anderlecht müssen gar alle Jugendliche unter 16 ab 19 Uhr zu Hause bleiben.
Man kann diesen Gedanken getrost weiterspinnen, meint sarkastisch De Morgen. Zum Beispiel könnte man für die Neujahrsnacht alle unter Hausarrest stellen, die mal im betrunkenen Zustand oder wegen überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursacht haben. Andere Idee: Man könnte auch in der Neujahrsnacht ein generelles Alkoholverbot im öffentlichen Raum verhängen. Das alles freilich nicht als Strafmaßnahme, sondern lediglich präventiv. Die meisten werden die oben genannten Ideen absurd finden. Warum akzeptieren wir dann trotzdem, dass ein Bürgermeister präventive Hausarreste gegen Minderjährige verhängt, nur weil die irgendwann mal auffällig geworden sind? Warum akzeptieren wir, dass einige Bürgermeister sich bei einer spezifischen Bevölkerungsgruppe plötzlich wie Richter gerieren dürfen? Dies ist kein Plädoyer für Straffreiheit. Natürlich muss kriminelles Verhalten geahndet werden. Aber erst dann ist Hausarrest ein geeignetes Mittel, wenn es also von der Justiz verhängt wird.
Ausgangssperren galten bis vor kurzem noch als ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg, bemerkt dazu Het Belang van Limburg. In der Coronakrise musste man wieder auf dieses Mittel zurückgreifen, und seither sind offensichtlich in manchen Köpfen die Dämme gebrochen. Aber wäre es nicht klüger, solche extremen Mittel nur in wirklich auch extremen Notsituationen auch einzusetzen? Wollen wir wirklich als Gesellschaft Kollektivstrafen verhängen? Gilt plötzlich die Unschuldsvermutung nicht mehr? Müssen wir wirklich auftreten, noch bevor etwas passiert? Das riecht doch arg nach einer repressiven Gesellschaft, die doch eigentlich niemand will. Vielleicht sollten Politiker das Prinzip Hausarrest mal auf sich selber anwenden. Konkret: Sich in einem Schloss einsperren zu einem Konklave, und erst wieder herauskommen, wenn eine Regierung steht. Wäre das keine bessere Idee für Bart De Wever?
Roger Pint