"Pichal muss nicht zurück ins Gefängnis", titelt De Morgen. "Milde Strafe für Ex-Radiomoderator", wertet Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Unbekannter spritzt stinkenden Urin auf Sven Pichal", berichtet Gazet van Antwerpen auf ihrer Titelseite.
Die meisten flämischen Zeitungen berichten heute prominent über den Prozess gegen den ehemaligen Radio-Moderator Sven Pichal. Wegen der Verbreitung von Kinderpornographie wurde er gestern zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er sich einer Therapie unterziehen.
In seinem Leitartikel fragt sich De Morgen: Ist das ein gerechtes Urteil? Viele werden sagen: Nein. Drei Jahre Gefängnis, aber nur auf Bewährung, das bleibt weit unter dem, was viele beim Vergehen Kinderpornographie für richtig empfinden. Trotzdem scheint das Urteil gut überlegt. Denn die Richter begründeten ihre Entscheidung, Pichal nicht ins Gefängnis zurückzuschicken damit, dass er sich im Gefängnis nicht therapieren lassen könne. Die Chance auf eine Besserung sei größer, wenn er außerhalb der Gefängnismauern betreut werde. Das ist nicht nur eine realistische Sicht der Dinge, sondern auch eine deutliche Kritik an den Gefängnissen. Sie sind in Belgien nämlich keine Orte, in denen Menschen besser werden können. Das Urteil von gestern ist deshalb auch eine schallende Ohrfeige für unsere Gefängnisse, meint De Morgen.
Ein Flugzeug mit nur einem Triebwerk
L’Echo beschäftigt sich mit der Prognose der Nationalbank zur wirtschaftlichen Entwicklung Belgiens und stellt fest: Wenn man nur auf die Zahlen schaut, ist eigentlich nichts zu bemängeln. Mit 1,3 Prozent soll unsere Wirtschaft in den kommenden drei Jahren wachsen. Das entspricht dem Durchschnittswert in der Eurozone. Doch hinter dieser Zahl entdeckt man eine Schieflage, denn das Wachstum ergibt sich nur aus dem Konsum. Hier läuft zurzeit alles gut, aber der Industrie geht es schlecht. Das ist zu vergleichen mit einem Flugzeug, das nur mit einem Triebwerk fliegt. Zwar fliegt es noch, aber wie lange? Das ist die große Frage auch für unser Land. Wenn sich bei der Industrie nicht bald eine neue Dynamik entwickelt, sieht es langfristig eben doch düsterer aus, als 1,3 Prozent Wachstumsprognose es erahnen lassen, glaubt L’Echo.
Die Schwesterzeitung De Tijd notiert: Wie lange kann ein hochverschuldetes Land, das systematisch mehr ausgibt, als es einnimmt und dessen Industrie durch Konkurrenz aus dem Ausland immer schwächer wird, die Kaufkraft seiner Bürger immer auf gleichem Niveau halten? Kein Land kann das. Belgien versucht es trotzdem. Das ist irrsinnig. Die automatische Lohnindexierung ist ein vergiftetes Geschenk an die Arbeitnehmer. Denn sie nimmt der Industrie die Luft zum Atmen, ärgert sich De Tijd.
Sehr belgisch, nämlich surrealistisch
La Dernière Heure kommentiert zur Entscheidung der SNCB, kein Internet in ihren Zügen einzurichten: Die belgische Bahn ist nicht nur eine der unpünktlichsten und teuersten in ganz Europa. Zusammen mit der griechischen Bahn ist sie auch die einzige, in der man kein Internet angeboten bekommt. Dafür sollen die Fenster durchlässiger werden für die 4- und 5G-Frequenzen. Eine sehr belgische, nämlich surrealistische Lösung. Die Bahn verpasst es mal wieder, sich endlich auf die Höhe der Zeit zu hieven, urteilt La Dernière Heure.
La Libre Belgique bemerkt: Wenn die Bahn jetzt auf mobile Daten statt Internet setzen will, müssen auch die Telekomanbieter mitspielen. Sie müssen dafür sorgen, dass nicht nur entlang der Straßen ständig Netz zur Verfügung steht, sondern auch dauerhaft entlang der Bahngleise. Das ist zurzeit nämlich nicht der Fall. Wenn sich die Nutzung des Internets in der Bahn aber nicht verbessert, wird die Bahn an Attraktivität verlieren. Und eigentlich will man doch genau das Gegenteil erreichen, erinnert La Libre Belgique.
Zufälliger Sturz aus dem siebten Stockwerk…
Zum Verhalten der EU gegenüber den neuen Machthabern in Syrien kommentiert De Standaard: Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas macht genau das Richtige. Sie bleibt vorsichtig. Die EU wird jetzt wieder einen Diplomaten nach Damaskus schicken. Damit ist der Kontakt zwischen EU und Syrien wieder hergestellt. Mehr aber auch zunächst nicht. Denn man muss tatsächlich erst einmal abwarten, welches Gesicht die neuen Machthaber dem Land jetzt geben wollen. Bislang hat die EU sie ja als Terroristen eingestuft. Jetzt muss man schauen, welcher Ideologie sie folgen, welchen Prinzipien. Abwarten und beobachten scheint zurzeit eine gute Devise zu sein, lobt De Standaard.
Gazet van Antwerpen macht sich Gedanken über den bisherigen Machthaber in Syrien, Bachar al-Assad: Assad ist jetzt bei Putin in Moskau. Ob er sich dort sicher fühlen kann, ist unsicher. Denn durch Assads Scheitern hat auch Russland seinen Einfluss in Nahost verloren. Assad ist für Putin jetzt nutzlos geworden. Und was mit Menschen passiert, die Putin nicht mehr braucht oder bei ihm in Ungnade gefallen sind, weiß man nur zu gut. Sie werden vergiftet oder fallen wie zufällig irgendwann mal aus dem siebten Stock eines Gebäudes, weiß Gazet van Antwerpen.
Kay Wagner