Im Fahrwasser der Reaktorkatastrophe wird auch zunehmend über die Zukunft der Kernenergie in Belgien diskutiert. Weitere Themen sind die Situation in Libyen und ein Putsch gegen PS-Schwergewicht Michel Daerden in seiner Heimatstadt Ans.
"Heimatlos im Schnee", titelt heute De Standaard. "Hoffnungslos", prangt in Blockbuchstaben auf Seite 1 von Het Laatste Nieuws. Und De Morgen stellt sich auf seiner Titelseite die Frage "Was kann Japan noch ertragen?"
Die Situation im Katastrophengebiet im Norden Japans spitzt sich immer weiter zu. 530.000 Menschen wurden obdachlos und sind auf der Flucht, beschreibt De Standaard die Lage. Die Rettungsarbeiten und auch die Hilfslieferungen ins Katastrophengebiet werden jetzt noch durch Schnee und Frost erschwert.
Drohender Super-GAU
Doch richten sich alle Blicke insbesondere auch auf die Lage im havarierten Kernkraftwerk Fukushima. "Kampf gegen den Super-GAU" fasst es das Grenz-Echo in seiner Schlagzeile zusammen. Het Nieuwsblad spricht von der "Angst vor einem neuen Tschernobyl", und La Libre Belgique geht auf seiner Titelseite schon einen Schritt weiter: "Rette sich wer kann!". Japan hat noch 48 Stunden Zeit, um das Schlimmste abzuwenden, konstatiert L'Avenir unter Berufung auf französische Nuklearexperten.
Zwei Tage, um eine Atomkatastrophe erheblichen Ausmaßes zu verhindern. Doch ist derzeit nicht unbedingt Optimismus angesagt. Die Versuche, die Atomanlage aus der Luft mit Hilfe von Hubschraubern zu kühlen, sind mehrfach gescheitert, notiert unter anderem Het Nieuwsblad. Den vor Ort gebliebenen 50 Technikern gebührt höchster Respekt, meint Het Belang van Limburg. Unter diesen Bedingungen weiterzuarbeiten ist glatter Selbstmord.
Ein japanischer "11. September"
In seinem Kommentar geht Het Belang van Limburg aber mit dem Betreiber hart ins Gericht. Der japanische Energiekonzern TEPCO hat in der Vergangenheit diverse Warnungen gerade in Bezug auf die Anlage in Fukushima in den Wind geschlagen. Schon 1975 war bekannt, dass es an Reaktoren, wie sie eben in Fukushima betrieben wurden, gegebenenfalls zu Problemen in den Kühlkreisläufen kommen kann.
Hinzu kommt: Die Anlage war konzipiert, um Erdbeben der Stärke 7 standzuhalten - in Japan sind erwiesenermaßen viel stärkere Beben jederzeit möglich. Vor fünf Jahren noch gab es einen handfesten Skandal, als bekannt wurde, dass TEPCO Gutachten, die ausgerechnet die Kühlung seiner AKW betreffen, gefälscht hatte.
Die Folgen all dessen sind jedenfalls verheerend, und zwar in allen Belangen. Nicht umsonst hat sich sogar der japanische Kaiser an sein Volk gewandt, um ihm Mut zuzusprechen. Und wenn der Kaiser spricht, dann ist es wirklich ernst, notiert De Standaard. Der renommierte Ökonom Geert Noels bringt es in Gazet van Antwerpen wie folgt auf den Punkt: "Das ist der 11. September für Japan."
Neue Atomdebatte
Der drohende Super-GAU in Fukushima hat ja auch die Atomdebatte im Rest der Welt wieder angefacht. Die EU verordnete "Stresstests" für die europäischen Kernreaktoren. Doch Electrabel, der Betreiber der belgischen AKW, gibt sich zuversichtlich, wie unter anderem L'Avenir berichtet: Die belgischen Anlagen in Doel und Tihange sind sicher, die europäischen Stresstests müssen sie nicht fürchten.
Nichtsdestotrotz plädieren viele Leitartikler für einen Ausstieg aus der Kernenergie. Der war ja eigentlich schon beschlossen, die Maßnahme von 2003 wurde aber in letzter Zeit verstärkt in Frage gestellt.
Die belgische politische Klasse hat in diesem Zusammenhang besonders wenig Niveau an den Tag gelegt, meint De Morgen in seinem Kommentar. Und auch die Katastrophe in Japan sorgt nicht wirklich für eine Debatte zum Thema Kernenergie.
Hierzulande diskutiert man immer noch lieber über das Thema BHV. Man wünscht sich eine Partei, die als erste die Meinung äußert, dass die Energiedebatte wichtiger ist als das gemeinschaftspolitische Gewurschtel.
Ähnlich sieht das Het Nieuwsblad: Das Schlimme ist, dass man in Belgien aufhört zu diskutieren, bevor man die Kernfrage überhaupt gestellt hat. Man beschränkt sich darauf, festzustellen, dass es in einer ersten Phase nicht ohne Kernenergie geht. Erschwert wird das Ganze aber durch die Tatsache, dass der Stromproduzent Electrabel hierzulande nach wie vor über ein Quasimonopol verfügt. Der Energiemarkt funktioniert nicht. Und damit ist Belgien auch sehr unattraktiv für innovative Investoren.
Atomdebatte hin oder her: Schon jetzt ist klar, dass die japanische Atomkatastrophe Auswirkungen auf das Portemonnaie der belgischen Haushalte haben wird, notiert die Wirtschaftszeitung L'Echo auf ihrer Titelseite. Im Fahrwasser der japanischen Krise sind die Energiepreise weltweit angestiegen. Einige Anbieter gehen bei der Gasrechnung von einem Aufschlag von bis zu 70 Euro pro Jahr aus.
Die "Methode Gaddafi"
Zumindest einer profitiert von der japanischen Katastrophe, wie De Standaard und Het Laatste Nieuws in ihren Leitartikeln feststellen: der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi.
Seit in Japan die Erde gebebt hat, haben sich die Blicke von Nordafrika weg nach Asien gewendet. Zunächst hatte der Westen die Demokratiebewegung bejubelt. Es ist aber leider bei Worten geblieben, meint Het Laatste Nieuws.
De Standaard fügt hinzu: Gaddafis Rechnung ist aufgegangen. Die Strategie lautet wie folgt: Wer bereit ist, grenzenlose Gewalt gegen seine eigene Bevölkerung einzusetzen, der überlebt jeden Aufstand. Wenn auch zähneknirschend, schauen wir ohnmächtig zu. Jetzt wissen jedenfalls alle Diktatoren, was notfalls zu tun ist.
"Putsch" gegen Daerden
Viele Zeitungen schließlich beschäftigen sich auch mit der politischen Zukunft des Lütticher PS -Spitzenpolitikers Michel Daerden. Der ist in seiner Eigenschaft als nomineller Bürgermeister seiner Heimatstadt Ans mit einem "Putsch" konfrontiert, wie es Le Soir auf seiner Titelseite formuliert. Eine Mehrheit der Stadtverordneten, auch PS-Mitglieder, hat einen Misstrauensantrag gegen Daerden hinterlegt.
Doch sollte man hier nichts überstürzen, mahnt La Dernière Heure: Daerden hat mit Sicherheit noch nicht sein letztes Wort gesprochen.
Le Soir sieht in seinem Kommentar auch den Fehler bei der PS. Man kann nicht auf der einen Seite für einen ethischen Umgang mit Daerden plädieren, wenn man eben diese Ethik parteiintern vernachlässigt. Zum Fall Daerden, insbesondere im Zusammenhang mit den Vorwürfen in Bezug auf seine Tätigkeit als Buchprüfer und die von seinem früheren Unternehmen übernommenen Aufträge, ist ein Urteil des PS-Ethikrats nämlich auch längst überfällig.
Bild: Asahi Shimbun (epa)