"Föderale Verhandlungsführer legen eine Nachtschicht ein", meldet Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Achterbahnfahrt für De Wever", titelt Het Nieuwsblad.
Die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Föderalregierung haben bis in die frühen Morgenstunden gedauert. In ihren Leitartikeln können die Zeitungen deshalb die Ergebnisse noch nicht analysieren. Trotzdem greifen einige Zeitungen die Verhandlungsrunde auf.
De Morgen kommentiert: Einer der großen Streitpunkte ist ja die Forderung von Vooruit, Vermögen stärker zu belasten. Das ist eine völlig legitime Forderung, denn wie oft wird in Belgien doch der hehre Satz geäußert: Die stärksten Schultern tragen die größte Last für das Gemeinwesen. Das gilt in Belgien aber nur für die Einkünfte aus Arbeit. Dort ist es tatsächlich so: Wer viel verdient, gibt die Hälfte davon an das Gemeinwesen ab. Wer aber von seinem Vermögen an der Börse investiert, muss von seinem Gewinn nicht 50 Prozent abtreten. Kann man das verstehen? Eigentlich nicht. Trotzdem finden gerade MR-Politiker und jetzt auch Theo Franken von der N-VA, dass eine Mehrbelastung von Vermögen unethisch sei. Fast könnte man sich die Frage stellen, ob diese Politiker geschlafen haben im Philosophieunterricht, so sinngemäß De Morgen.
Die größte Kuh wäre vom Eis
Gazet van Antwerpen weist darauf hin: Selbst wenn die Parteien sich jetzt auf die Stoßrichtung der künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik einigen sollten, wäre das nicht das Ende der Verhandlungen. Aber tatsächlich wäre die größte Kuh vom Eis. Den Rest kann man fast schon als Formsache bezeichnen. Ebenso die Tatsache, dass Bart De Wever dann als flämischer Nationalist belgischer Premierminister würde. Eigentlich ja ein Paradox. Aber auch vollkommen logisch. Bei den Wahlen hatte er nicht weniger als 255.000 Vorzugsstimmen erhalten. Und hätte man überall in Flandern für ihn stimmen können, wären es noch viel mehr gewesen. Seit 20 Jahren ist De Wever Spitzenpolitiker. Die Jacke des Premiers würde ihm passen, behauptet Gazet van Antwerpen.
Le Soir berichtet: Heute werden alle neuen Gemeinderäte der Wallonie und von Brüssel - bis auf einige Ausnahmen - ihre Arbeit aufnehmen können. Damit kommt der Wahlprozess im weiteren Sinne zu einem Ende.
Als Bilanz kann festgehalten werden, dass die Gemeinderatswahlen als demokratischer Prozess gut funktioniert haben. Auch wenn einige es kritisieren, dass die Parteien oder Listen, die die meisten Stimmen bekommen haben, in einigen Gemeinden nicht zur Mehrheit zählen. Das sei undemokratisch, sagen die Kritiker. Doch sollten die Wählerstimmen, die eine Koalition verschiedener Parteien zusammenbringt, um eine Mehrheit zu bilden, weniger wert sein als die Stimme einer einzelnen Liste? Wohl kaum, betont Le Soir.
Der Bürger ist nicht endlos zu melken
Het Nieuwsblad hält zum Ergebnis der Wahlen fest: Lokalpolitik bleibt in Belgien weitgehend eine Männerdomäne. Nur rund 20 Prozent aller Gemeinden haben eine Frau als Bürgermeisterin. Und auch in den Schöffenkollegien gibt es viel mehr Männer als Frauen. Es muss sich deshalb noch einiges ändern, damit auch die Akteure der Lokalpolitik ein Spiegelbild der Gesellschaft werden, für die sie Entscheidungen treffen. Das ist natürlich schwierig, denn auch arme Menschen und Bürger ohne Hochschulabschluss gehören zur Gesellschaft und sind selten in Gemeindekollegien vertreten. Es bleibt also viel zu tun, meint Het Nieuwsblad.
La Dernière Heure bemerkt: Um die Finanzen der Städte und Gemeinden in der Wallonie steht es schlecht. In Lüttich zum Beispiel steht man kurz vor dem Bankrott. Ergo: Es muss etwas getan werden. Der erste Reflex der Politiker ist es immer, den Bürger zu schröpfen. Steuern rauf, Abgaben erhöhen – doch stopp. Schauen wir mal in die Wirtschaft. Wenn es einem Unternehmen schlecht geht, versucht man oft, mit strukturellen Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Das sollten sich Politiker als Beispiel nehmen. Schlankere, politische Strukturen auch auf lokaler Ebene könnten ein Mittel zum Geldsparen sein. Der Bürger ist nicht endlos zu melken, erinnert La Dernière Heure.
2024 sind alle Kriege miteinander verwoben
L'Avenir schaut nach Syrien und beobachtet: Durch die Einnahme der Millionenstadt Aleppo durch islamistische Rebellengruppen ist der Bürgerkrieg in Syrien wieder zurück in den Schlagzeilen. Es ist ein lokaler Konflikt mit weltweiten Auswirkungen, denn die Koalitionen sind verzwickt. Der syrische Machthaber Assad wird von Russland und dem Iran unterstützt. Die Türkei steht hinter den Islamisten. Auch die USA haben Interessen in der Region. Es ist ein schwieriger Konflikt, in dem im Grunde Terroristen gegen Terroristen kämpfen, analysiert L'Avenir.
Auch De Standaard findet: Das Aufflammen des Krieges in Syrien zeigt, wie verwoben alle Kriege 2024 miteinander sind, wie komplex die Frontlinien verlaufen und die Bundesgenossen verteilt sind. Mit welcher geopolitischen Strategie und mit welchem moralischen Kompass kann sich Europa in diesem Konflikt positionieren, fragt ratlos De Standaard.
Kay Wagner