"Der Vlaams Belang schafft es in letzter Sekunde doch noch, in zwei Gemeinden mitzuregieren", titelt Het Nieuwsblad. "Der Cordon sanitaire wurde zweimal innerhalb eines Tages durchbrochen", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Und mitverantwortlich dafür sind auch die traditionellen Parteien", notiert Gazet Van Antwerpen auf Seite eins.
Der Cordon sanitaire, also die Brandmauer gegen den rechtsextremen Vlaams Belang, scheint brüchig geworden zu sein. Bislang gab es nur zwei flämische Gemeinden mit einer Mehrheitsbeteiligung der Rechtsextremisten. Das war zunächst Ninove, wo eine dem Vlaams Belang zugeordnete Liste die absolute Mehrheit erzielt hatte, und dann Ranst, wo der Cordon sanitaire erstmals wirklich durchbrochen wurde. Gestern ging's dann Schlag auf Schlag und es kamen noch zwei Gemeinden hinzu, nämlich Brecht und Izegem. Auch dort dürfen die Rechtsextremisten also bald mitregieren. Verantwortlich dafür sind lokale Listen, die also eine Koalition mit Vlaams-Belang-Ablegern eingingen. Auf diesen Listen standen aber auch Mitglieder der traditionellen Parteien: von CD&V, von OpenVLD und sogar von Vooruit. Besagte Politiker wurden aber allesamt von ihren jeweiligen Parteien ausgeschlossen. Dennoch: "Der Vlaams Belang bricht nun doch auf der lokalen Ebene durch", so die Schlagzeile von De Morgen.
Banalisierung der Rechtsextremisten
Der Deich rund um die Rechtsextremisten wird nun doch unterspült, kann De Standaard nur feststellen. Erstmals in der Geschichte wurde der Cordon sanitaire auf der lokalen Ebene durchbrochen, schafften es die Rechtsextremisten in drei Gemeinden in die Mehrheit. Wir werden uns in Flandern wohl daran gewöhnen müssen, dass Rechtsextremisten mitregieren. Ein langsames Einsickern, bis der Deich am Ende bricht. Ereignisse wie die von gestern führen jedenfalls zu einer Banalisierung, wobei man am Ende vergisst, mit wem man es zu tun hat: So gemäßigt die lokalen Mandatsträger des Vlaams Belang auch erscheinen mögen, sie bleiben Mitglieder einer Partei, die Inklusion und Gleichberechtigung nicht wirklich hochhält.
Was wir hier sehen, ist hochsymbolisch, glaubt Het Laatste Nieuws. Die Diskussion über den Cordon sanitaire ist eigentlich für die Galerie. Fakt ist schlicht und einfach, dass der Vlaams Belang nach 35 Jahren mitregieren darf. Das allerdings ist nicht die Folge großer politischer Manöver, sondern schlicht und einfach banale Lokalpolitik. Bedingt durch das neue flämische Wahldekret hat sich das letztlich fast so ergeben. Weil die stärkste Liste den Bürgermeister stellt, wurden fast überall große Kartelle gebildet. Oft standen sich da zwei große, rivalisierende Blöcke gegenüber. Und an der Seitenlinie eben noch der Vlaams Belang, der je nach Situation plötzlich zum lachenden Dritten wurde. War es wirklich das, was der ehemalige flämische Minister Bart Somers mit seinem neuen Wahldekret bezweckt hatte?
2024 noch nicht das Jahr der "Erstürmung der Barrikaden"
Auch De Morgen übt harsche Kritik an der neuen flämischen Wahlgesetzgebung, die am vergangenen 13. Oktober zum ersten Mal zum Tragen kam. An diesen neuen Regeln war so ungefähr alles falsch, meint das Blatt. Die Abschaffung der Wahlpflicht hat dazu geführt, dass sich ein Drittel der Wahlberechtigten buchstäblich verabschiedet hat. Noch schlimmer war die Regel, wonach die stärkste Liste den Bürgermeister stellt. Die Folgen waren hybride, inkohärente Kartelllisten ohne Hand und Fuß. Und obendrauf kam dann noch der Zeitdruck, noch so eine geniale Idee aus dem Wahldekret. Der damals zuständige Minister Bart Somers hat damit eigenhändig das Vertrauen in die lokale Politik ramponiert. Und die Krönung des Ganzen ist jetzt auch noch der Durchbruch des Vlaams Belang, der im Wesentlichen eine Folge der Ausdünnung des lokalen politischen Biotops ist.
"Jetzt aber mal den Ball flach halten!", mahnt aber sinngemäß Het Nieuwsblad. Wenn man mal nüchtern über die Situation nachdenkt, dann hat der Vlaams Belang hier allenfalls einen Trostpreis gewonnen. Eine Mehrheitsbeteiligung in vier der 300 flämischen Gemeinden, entspricht nicht ansatzweise dem, was sich der Vlaams Belang erhofft hatte. Nach der Wahl vom 9. Juni wollten die Rechtsextremisten einen Deichbruch forcieren, es sollte das Jahr der "Erstürmung der Barrikaden" werden. Bei allem Respekt, aber unter den vier Gemeinden, in denen sich der Vlaams Belang einnisten konnte, ist kein wirklicher Hauptgewinn. In unseren Nachbarländern können Rechtsextremisten ganz andere Skalpe präsentieren. Nein, 2024 ist nicht das Jahr geworden, in dem der Vlaams Belang einen Fuß in die Tür bekommen hat. Nach dem Motto: Wenn's nur das ist, dann können wir damit leben.
Streit um mögliche Brüsseler Fusion
In Brüssel sorgt eine durchgesickerte Verhandlungsnote für Diskussionsstoff, sogar für gemeinschaftspolitische Spannungen. "Die flämischen Parteien wollen die Brüsseler Polizeizonen zusammenlegen", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Das ist aber noch nicht alles: Sogar Sozialhilfezentren und Gemeinden wollen die niederländischsprachigen Parteien anscheinend fusionieren. Die PS läuft Sturm gegen die N-VA", schreibt denn auch Le Soir, denn dieser Vorstoß kommt wohl insbesondere von den flämischen Nationalisten. Diese Forderung an sich ist freilich nicht neu. Nur wurde sie selten so ausdrücklich bei einer Regierungsbildung auf den Tisch gelegt.
Da ist er also wieder: der lang gehegte Traum der niederländischsprachigen Parteien, konstatiert La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Klar: Angesichts der katastrophalen hauptstädtischen Haushaltslage zwingen sich tiefgreifende Reformen geradezu auf. Natürlich braucht Brüssel straffere Strukturen. Die Forderung der niederländischsprachigen Parteien sind am Ende aber nicht mehr als ein frommer Wunsch. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Fusion der Gemeinden mit den Frankophonen nicht zu machen ist, so bedürfte es am Ende einer Zweidrittelmehrheit in der Kammer. Möglich wäre die nur durch eine Beteiligung der extremistischen Parteien. Und dazu dürfte man weder im Norden noch im Süden des Landes bereit sein. Eine Fusion der Brüsseler Gemeinden- und Polizeizonen? Viel leichter gesagt als getan!
Roger Pint