"Der Aufstand von Vooruit in Gent bedroht die Arizona", liest man bei Le Soir auf Seite eins. "Lokale und föderale Verhandlungen: die große Kollision", schreibt La Libre Belgique. "Nach dem Kurzschluss in Gent: Das Band zwischen Conner Rousseau und Bart De Wever bekommt Risse", titelt De Tijd. "Die Ruhe nach dem Sturm: progressives Patt in Gent", konstatiert De Morgen. "Genter Drama untergräbt Macht von Vooruit-Chef Rousseau", ist der große Aufmacher bei De Standaard. "Vertrauen in Rousseau angekratzt durch Genter Fiasko", so Het Nieuwsblad.
Wenn wir über Politik reden, dann geht es meistens um den Parteiapparat und um die Wähler, kommentiert Le Soir. Aber wen man quasi ganz aus den Augen verloren hatte, das sind die aktiven Parteimitglieder. Sie wurden schon für tot gehalten oder für vollkommen vernachlässigbar, weil ohnehin absolut gefügig. Man hatte geglaubt, dass die berüchtigte Partikratie, also der Parteipräsident und seine Bosse, alles regelt und entscheidet – von den Wahllisten über die Koalitionen und Programme bis hin zur Wahl der Feinde und Verbündeten. Aber am Sonntagabend ist in Gent der Homo parteiaktivisticus von den Toten auferstanden, oder doch zumindest seine sozialistische Variante. Und was für eine Show wir da geboten bekommen haben: Die kommunale Koalition zwischen Vooruit und N-VA abgeschmettert, eine schwere Schlappe für die lokale Parteiführung und den bisher allmächtigen Parteipräsidenten Conner Rousseau und eine öffentliche Demütigung von Bart De Wever und seiner N-VA. Wir werden abwarten müssen, welche Folgen all das haben wird. Aber es hat jedenfalls in Erinnerung gerufen, dass eine Partei nicht zwangsläufig ihrem Vorsitzenden gehört und dass die Mitglieder nicht alles schlucken müssen, resümiert Le Soir.
Gents Nachricht an Rousseau
Regierungsbildner Bart De Wever wird mit einer gewissen Unruhe nach Gent schauen, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Und auch Vooruit-Chef Conner Rousseau hat jetzt ein Problem. Aber Rousseau muss trotzdem keine Angst haben vor einem größeren Aufstand in seiner Partei. Gent ist einfach eine Ausnahme: Die Parteibasis hat die Koalitionsvereinbarung mit der N-VA auch nicht wegen ihrer Inhalte abgelehnt. Nein, hier ging es um Abscheu einer Partei gegenüber. Die N-VA mag zwar nicht so extrem sein wie der Vlaams Belang, sie mag nicht undemokratisch sein, aber sie ist und bleibt am rechten Rand und konservativ. Der Kampf um Symbole ist eine Tradition progressiver Wähler. Und dabei schießen sie sich oft selbst in den Fuß, warnt Het Nieuwsblad.
In der Politik geht es nicht immer um Inhalte, hält De Morgen fest. Politik wird auch – und manchmal maßgeblich – durch Emotionen und Leidenschaft bestimmt. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass es der anhaltende progressive Protest auf der Straße war, der die Vooruit-N-VA-Koalition in Gent letztlich gekippt hat. Am Anfang wurden die Demonstranten noch belächelt, die vor allem ihre Abneigung gegen die N-VA verband. Aber am Ende haben sie am längeren Hebel gesessen. Und egal, was manche darüber sagen: Das war absolut in Ordnung, zu einer lebendigen Demokratie gehört auch das wichtige Recht, auf die Straße zu gehen, betont De Morgen.
Die N-VA hat es also nicht geschafft, auch noch Gent zu erobern, fasst Het Laatste Nieuws zusammen. Oder zumindest noch nicht. Die eigentliche Botschaft der Genter Sozialisten an ihren Präsidenten Conner Rousseau lautet: Ohne die Grünen können wir nicht progressiv sein. Ohne Groen sind wir zu schwach. Bevor wir diesen Weg gehen, verweigern wir lieber noch unserer eigenen Parteispitze das Vertrauen. Bei Vooruit Gent hat die Angst vor dem trojanischen Pferd N-VA überwogen, so Het Laatste Nieuws.
Wir müssen endlich handeln!
Zweites großes Thema ist dann die Krise beim Volkswagen-Konzern: Ein Aderlass, so haben die deutschen Gewerkschaften den angekündigten Sparkurs bezeichnet, hält La Libre Belgique fest. Und die Zahlen sind in der Tat schwindelerregend: Drei Fabriken des wichtigsten europäischen Autoherstellers sollen geschlossen werden, andere müssen ihre Belegschaft drastisch verringern. Insgesamt sind zehntausende Arbeitsplätze bedroht. Das ist nicht nur ein soziales Erdbeben, sondern ein echtes Trauma für die deutsche Gesellschaft. Die Deutschen müssen fassungslos mitansehen, wie ein Symbol ihrer Wirtschaft den Bach runtergeht. Und das Phänomen ist nicht auf Volkswagen beschränkt, einige sprechen von Deutschland schon als neuem "kranken Mann Europas". Das, was hier passiert, sollte uns alle aufrütteln: Unsere Industrie droht sowohl von Amerikanern als auch Chinesen schlicht deklassiert zu werden. Wie schon Draghi eindringlich gewarnt hat: Wir dürfen nicht mehr zögern, wir müssen handeln, fordert La Libre Belgique.
Die Fehler von Volkswagen – und Deutschland
Volkswagen hat diverse strategische Fehler begangen, analysiert L'Echo: Zum einen, indem sich der Konzern beim Wettlauf der Elektrifizierung auf das Premiumsegment konzentriert hat. VW hat offenbar einfach nicht wahrhaben wollen, dass viele Kunden praktische und vor allem erschwingliche Autos bevorzugen. Dann hat sich der Autobauer auch extrem träge und unflexibel gezeigt, gerade angesichts der asiatischen Konkurrenz. Und schließlich scheint Innovation und "User experience" in den Vorstandsetagen der Deutschen ein Fremdwort gewesen zu sein. Volkswagen lernt jetzt, was schon andere schmerzhaft lernen mussten: Der Kunde ist König, giftet L'Echo.
Deutschland bezahlt jetzt den Preis für sein jahrelanges Wursteln und die Weigerung der Politik, zu investieren, wettert De Tijd. Selbst als es quasi noch Geld im Überfluss gab, hielt man in Berlin halsstarrig am orthodoxen Glauben an die berühmte "schwarze Null" fest. Mit dramatischen Folgen, die man schon länger sieht: etwa beim maroden Bahnnetz, das Deutschland bei der Weltmeisterschaft zum Gespött gemacht hat, und mit Krankenhäusern, die sich während der Corona-Pandemie mit Fax-Geräten behelfen mussten. Deutschland bezahlt jetzt aber auch für einen Mangel an Mut, Reformen und Innovation, unterstreicht De Tijd.