"Genter Sozialisten spucken Abkommen mit der N-VA aus", so der große Aufmacher bei De Standaard. "Politisches Chaos in Gent nach dem Njet der Sozialisten", fasst Het Nieuwsblad zusammen. "Genter Vooruit-Basis macht klar, dass Regieren mit der N-VA ein sensibles Thema ist – 3.500 Menschen auf der Straße gegen N-VA-Koalition", titelt Het Laatste Nieuws.
In Gent hat die Basis der Sozialisten in der Nacht einer Stadtratsmehrheit mit der N-VA eine deutliche Absage erteilt. Die Zweidrittelmehrheit, die für das Abkommen der Kartellliste aus Vooruit und Open VLD mit den flämischen Nationalisten notwendig gewesen wäre, wurde deutlich verfehlt. Stattdessen stimmten 56 Prozent der anwesenden Vooruit-Mitglieder gegen die Übereinkunft.
Die große Neuverkabelung der Macht in Flandern zwischen N-VA und Vooruit ist in Gent auf dem Schafott gelandet, schreibt De Standaard in seinem Leitartikel. Nach einer Woche Protest und unter dem Druck der Straße haben die zutiefst gespaltenen Genter Sozialisten ihre Führung zurück auf Start geschickt. Das ist eine Blamage, die selbst Vooruit-Chef Conner Rousseau nicht ignorieren kann. Und es ist ein Vorgang, der die Alarmglocken für die Sozialisten überall laut schrillen lässt, nicht nur in Gent. Denn jetzt liegt die existenzielle politische Frage offen auf dem Tisch: Was gewinnt Vooruit eigentlich durch das innige Bündnis mit den rechten Nationalisten? Kurzfristig mag die Entente ja viel Macht liefern und schöne Schöffenposten. Aber verkauft Vooruit dafür nicht seine Seele? In Gent ist etwas zerbrochen und die Scherben sind bis zu den föderalen Regierungsverhandlungen geflogen. Der Aufstand der Basis setzt Rousseau unter Druck, schon am Freitag hat er bei der Regierungsbildung auf den Pausenknopf gedrückt, erinnert De Standaard.
Flämische Warnschüsse
Ansonsten richten sich die Blicke aber auf das westflämische Izegem: Zwei Wochen nach den Kommunalwahlen hängt der Cordon Sanitaire am seidenen Faden, hält L'Avenir fest. Genauer gesagt ist er bereits zwei Mal zerbrochen: in Ranst bei Antwerpen und nun auch in Izegem. In beiden Gemeinden haben die lokalen Parteien, die die Wahl gewonnen haben, die Rechtsextremen vom Vlaams Belang mit ins Boot geholt. Laut Politikexperten hält der Cordon Sanitaire auf nationaler Ebene aber trotzdem noch, weil die örtlichen CD&V- und Open VLD-Listen, die nun gemeinsame Sache mit dem Vlaams Belang machen, aus ihren Parteien ausgeschlossen worden sind. Das ändert aber nicht das Geringste daran, dass die Rechtsextremen mittlerweile schon in drei flämischen Gemeinden am Drücker sitzen, in Ninove hatten sie ja die absolute Mehrheit geholt. Diese Warnschüsse darf man nicht herunterspielen oder unterschätzen. Schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass es auch noch in anderen flämischen Gemeinden so weit kommen könnte, so L'Avenir.
Dass es der Vlaams Belang in bisher drei Gemeinden an die Macht geschafft hat, ist in der Tat historisch, räumt Het Laatste Nieuws ein. Aber man kann trotzdem weder von einem Deichbruch noch von einem Erdrutsch sprechen. Auf ganz Flandern bezogen stellt der Vlaams Belang aktuell zehn Schöffen. Ja, das sind zehn mehr als 2018, aber angesichts der insgesamt über tausend Schöffenposten immer noch Peanuts. Dann haben die Rechtsextremen auch ordentlich Wasser in ihren Wein tun müssen, um lokal mitregieren zu dürfen. In Izegem mussten sie eine Ethik-Charta unterschreiben, die ihnen auferlegt, für LGTBQ-Rechte einzutreten, sie dürfen die Herkunft einer Person nicht politisch thematisieren und sie dürfen keine flämisch-nationalistische Symbolik und Rhetorik einsetzen. Diese Zugeständnisse beißen sich schon mit der nationalen DNA des Vlaams Belang. Damit macht die Partei genau das, was sie den traditionellen Parteien seit Jahren vorwirft: Sie wirft das eigene Programm über Bord im Tausch gegen Pöstchen, stichelt Het Laatste Nieuws.
Die gefährlichste Waffe der Rechtsextremen
Je mehr Risse ein Damm bekommt, desto größer die Gefahr, dass er letztlich bricht, warnt aber Het Nieuwsblad. Und der Vlaams Belang tut alles dafür, um diese Risse zu vergrößern. Es ist ein beispielloser Vorgang, wie die Rechtsextremen alle ihre Prinzipien über Bord werfen, solange sie nur mitregieren dürfen. Denn dadurch können sie den Cordon Sanitaire immer weiter aushöhlen. Den verhassten Cordon Sanitaire zu durchbrechen, das ist der Heilige Graal für Tom Van Grieken und Co. Je mehr Politiker bereit sind, mit den Rechtsextremen zusammenzuarbeiten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass auch auf nationaler Ebene ein Durchbruch möglich wird. Die vielleicht gefährlichste Waffe der Rechtsextremen ist die Normalisierung. Der Bürgermeister von Izegem hat zugegeben, dass es leichter für ihn war, weil es in Ranst schon passiert war. Andere könnten folgen, befürchtet Het Nieuwsblad.
Ist der Cordon Sanitaire nun durchbrochen oder nicht?, fragt Het Belang van Limburg. Mit jeder Gemeinde, in der der Vlaams Belang mitregiert, stellt sich diese Frage dringender. Izegem und Ranst sind in dieser Hinsicht besonders relevant, weil hier auch andere Mehrheiten möglich gewesen wären. Letztlich ist die Frage, ob der Cordon gebrochen wurde, aber eine semantische Diskussion. Lokale Listen fühlen sich nicht an die Übereinkunft gebunden und das ist auch ihr gutes Recht. Bisher sieht es auch nicht so aus, als ob diese lokalen Erfolge den Cordon Sanitaire auf nationaler Ebene unter Druck setzen könnten, meint Het Belang van Limburg.
Urlaubssperre
La Dernière Heure greift die föderalen Regierungsverhandlungen auf: Seit mehr als vier Monaten warten wir auf eine neue Regierung. Nachdem die Bürger ihre Pflicht erfüllt und abgestimmt haben, wäre es da zu viel gefragt, von den Politikern das Gleiche zu verlangen? Sollten sie nicht unter Hochdruck weiterverhandeln, anstatt in den Urlaub nach Ibiza zu fliegen? Dass sich die Politiker so viel Zeit lassen, das haben die Wähler nicht verdient. Sich politisch zu engagieren, das heißt auch, sich seiner Verantwortung zu stellen. Wenn das so weiter geht, brauchen wir jedenfalls nicht vor dem Karneval mit einer neuen Regierung zu rechnen. Kein Urlaub, solange es keine Regierung gibt! Das wäre doch mal eine Maßnahme, die gewisse Leute motivieren könnte, einen Zahn zuzulegen, wettert La Dernière Heure.
Boris Schmidt