"Baby Santiago geht es gut", titelt erleichtert Het Laatste Nieuws. "Die Eltern von Santiago wurden in Amsterdam festgenommen, das Baby ist am Leben", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad und L'Avenir. "Entführtes Baby Santiago lebend aufgespürt", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Es ist das glückliche Ende einer tagelangen Großfahndung: Santiago ist wohlauf. Die Eltern hatten das Frühgeborene am Montag aus einem Krankenhaus im Großraum Paris entführt. Das Kind war zwei Monate zu früh geboren worden und brauchte Betreuung. Die Eltern waren offensichtlich über die Grenze nach Belgien geflohen. Ihre Spur hatte sich in Mons verloren. Gestern konnten sie in Amsterdam aufgegriffen werden.
Einige Zeitungen blicken heute aber auch wieder auf die föderalen Koalitionsverhandlungen. Die sind ja erneut ins Stocken geraten, nachdem die flämischen Sozialisten Vooruit am Donnerstagabend auf die Bremse gestiegen waren. "Die PS sagt klipp und klar: Wir werden De Wever keine Pannenhilfe leisten", schreibt De Tijd auf Seite eins. Damit widerlegt PS-Chef Paul Magnette entsprechende Gerüchte, wonach Vooruit mit seiner Blockadehaltung genau das bezweckt haben soll, nämlich die frankophone Schwesterpartei an den Verhandlungstisch zu bringen. "Wir bleiben in der Opposition", macht Magnette in De Tijd nun also klar.
"Arizona" oder das Chaos
Bei alledem gibt es eine gute und eine schlechte Neuigkeit, meint De Morgen in seinem Leitartikel. Die gute Nachricht ist, dass wir seit dem Donnerstagabend wissen, wo wir stehen. Vorbei die Zeit, in der der Inhalt von Arbeitsdokumenten durchsickerte, vorbei die Zeit der anonymen Gerüchte. Jetzt wissen wir: Wir stehen wieder einen Schritt näher am Abgrund. Und das ist die schlechte Neuigkeit. Denn: Es gibt nach wie vor keine wirklich sinnvolle Alternative. Die Koalitionsformel mit den fünf Arizona-Parteien ist immer noch die einzige wirkliche Option. Dies erst recht, weil der Wähler dieser Konstellation jetzt schon zweimal ein Mandat gegeben hat, um zusammen zu regieren. Die fünf Arizona-Parteien sind also regelrecht dazu verdammt, gemeinsam eine Regierung zu bilden. Oder eben nicht. Denn: Wenn wir wirklich nur noch die Wahl haben zwischen "Arizona" oder dem Chaos, dann kann man leider nicht mehr ausschließen, dass es am Ende doch das Chaos sein wird. So katastrophal das auch für das Land wäre. Wobei: Man muss zugeben, dass es insbesondere für Vooruit in einer solchen Koalition nicht viel zu gewinnen gibt. Wer die Supernote von De Wever liest, der sieht da nicht wirklich einen Platz für eine linke Partei. Eben vor diesem Hintergrund stellt sich aber auch immer noch die Frage, ob Bart De Wever wirklich Premierminister werden will. Denn: Die enorme Haushaltssanierung, die nötig sein wird, muss zugleich gesellschaftlich verträglich bleiben. Und dafür bedarf es eigentlich einer Zentrumsregierung.
De Tijd reagiert ihrerseits mit demonstrativem Kopfschütteln auf die neuerliche Entwicklung. Wollte sich Conner Rousseau vielleicht tatsächlich einen Urlaub gönnen? Will Bart De Wever vielleicht doch lieber wieder zurück nach Antwerpen? Mauert sich Georges-Louis Bouchez nur deswegen mit seiner Neinsagerei ein, um am Ende Premier werden zu können? Sie alle werden das freilich in allen Sprachen dementieren. Fakt ist aber leider, dass wir auch nach den Kommunalwahlen immer noch da sind, wo wir vorher waren: Keine Spur von der versprochenen Beschleunigung. Dabei wird der internationale Druck mit jedem Tag größer. Müssen denn Institutionen wie die EU oder der Internationale Währungsfonds beziehungsweise Rating-Agenturen Belgien denn erst unter Vormundschaft stellen, damit den Arizona-Parteien die Dringlichkeit bewusst wird? Die fünf Parteivorsitzenden brauchen jetzt die berühmten fünf Minuten politischen Mutes, um ihre jeweiligen Schützengräben zu verlassen und endlich mit der dringend nötigen Sanierung zu beginnen. Damit unser Wohlstand nicht gänzlich in den Abgrund gleitet.
"Schlechter Holländerwitz"
Vor allem die flämischen Blätter beschäftigen sich auch mit der Entscheidung der niederländischen Regierung, die ja jetzt ebenfalls wieder Grenzkontrollen einführen will.
Wir sehen hier einen regelrechten Domino-Effekt, beklagt Het Laatste Nieuws. Erst machte Deutschland die Grenzen dicht, dann Frankreich und jetzt also auch die Niederlande. Begründet wird die Maßnahme immer mit dem Kampf gegen internationale Kriminalität und Terrorismus, aber vor allem gegen illegale Migration. Eigentlich ist das ein Armutszeugnis. Die Regierungen lassen sich von Rechtsextremisten in diese Richtung treiben, wenn diese nicht sogar, wie in den Niederlanden, schon mitregieren. Dabei weiß jeder, dass Grenzkontrollen letztlich nichts bringen, weil die Schleuser immer einen Weg finden werden. Aus alledem spricht die Ratlosigkeit. Zu lange ist das Migrationsproblem als ein reines Schreckgespenst von Rechtsextremisten abgetan worden. Jetzt, wo es die Bürger doch zu beschäftigen scheint, übernimmt man dann einfach geräuschlos die Rezepte der ehemaligen Gegner und setzt damit die vielgerühmten Schengen-Abkommen unter Druck.
Schauderhafte Aussichten
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich. Am niederländischen Beispiel zeigt sich, wie tragikomisch und gefährlich sich eine Regierung verhalten kann, wenn sie durch Rechtsextremisten angetrieben wird. Grenzkontrollen sind lediglich ein Symbol, jedenfalls bestimmt keine Symptombekämpfung. Die Grenzen sind und bleiben porös, weil sie es eigentlich schon immer waren. Selbst der deutsche "Totenzaun", der im Ersten Weltkrieg die Flucht aus Belgien in die Niederlande verhindern sollte, war nie wirklich unüberwindbar. Die Entscheidung der Regierung in Den Haag wäre also eigentlich ein guter Holländerwitz, wenn da nicht noch mehr wäre. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, dessen Partei ja Teil der Regierung ist, wollte ja sogar eigens ein Notgesetz erlassen. Das liefe darauf hinaus, dass das Parlament quasi ausgeschaltet würde. Genau das plant ja auch Donald Trump in den USA, der angekündigt hat, gleich am ersten Tag seiner Amtszeit ein altes Kriegsgesetz zu aktivieren. Beide wollen das Gleiche: Sie wollen die Demokratie außer Kraft setzen.
Apropos: Auf vielen Titelseiten sieht man heute auch eben diesen Donald Trump. In zehn Tagen wird ja in den USA gewählt. "Trump II" würde definitiv gefährlicher als "Trump I", so die besorgte Schlagzeile von De Standaard. Und "Trump wird in den meisten Umfragen unterschätzt", warnt De Morgen.
Donald Trump will die Feuerkraft Amerikas noch vergrößern, analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. Er verspricht eine weitgehende Deregulierung. Unternehmer wie sein neuer Bundesgenosse Elon Musk könnten quasi alle Regeln streichen, die das Wachstum ihrer Konzerne behindern. Deswegen gehören denn auch die großen Wirtschaftsbosse zu den glühendsten Anhängern des republikanischen Kandidaten. Dabei sind die USA schon jetzt so groß, dass sie quasi den Rest der Welt in die linke Tasche stecken könnten. Und all diese Macht droht in die Hände eines Mannes zu kommen, der sich nicht um Gesetze schert, nicht um eine unabhängige Verwaltung und nicht um die Gewaltenteilung, der unverhohlen autoritär ist und Diktatoren hofiert. Das sind schauderhafte Aussichten.
Roger Pint