"Föderale Unterhändler wieder zusammen, aber das Vertrauen ist brüchig", titelt Het Nieuwsblad anlässlich des für heute geplanten Treffens der Arizona-Verhandlungsführer. "Die Arizona will die Nuklearenergie reaktivieren", liest man bei Le Soir. "MR und Les Engagés weisen die Note der N-VA über den Überflug von Brüssel in Bausch und Bogen zurück", schreibt La Libre Belgique. "Die Gewinner und Verlierer der Super-Note: größte 'Tax Cuts' für höchste Löhne, weniger Vorteile für Beamte", fasst De Morgen zusammen.
Es wird Zeit für die Parteivorsitzenden, endlich Farbe zu bekennen, fordert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die Gemeinderatswahlen sind vorbei und ihre Ergebnisse sind in Mehrheiten umgesetzt. Entgegen vieler Erwartungen haben sie die föderalen Regierungsverhandlungen auch nicht verkompliziert, im Gegenteil, eigentlich sollte das Ausbleiben großer Verschiebungen das Ganze sogar vereinfachen. Es gibt jetzt keine Entschuldigungen mehr, um sich weiter im Kreis zu drehen. Denn eine andere Variante als die Arizona-Koalition aus N-VA, Vooruit, CD&V, MR und Les Engagés gibt es nicht. Das wissen auch alle am Verhandlungstisch, unterstreicht Het Nieuwsblad.
Das Kleingedruckte lesen ist aufschlussreich
So zäh die Lektüre solcher Dokumente auch ist: Es lohnt die Mühe, die sogenannte "Super-Note" von Regierungsbildner Bart De Wever genau zu lesen, empfiehlt De Morgen. Denn dadurch bekommt man ein klareres Bild, welche Regierung De Wever eigentlich vorschwebt. Seine Pläne umfassen beispielsweise eine drastische und konkrete Senkung der Einkommenssteuer. Eine Senkung, die sicher nicht vollständig kompensiert werden wird durch andere Maßnahmen. De Wevers Formel bevorteilt explizit und wenig subtil die Empfänger hoher Löhne. Die Reichen sollen also noch reicher werden, alle anderen etwas ärmer. Außerdem macht die Steuersenkung das Haushaltsdefizit noch dramatischer. Und das bedeutet noch mehr Anstrengungen, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Dabei schlägt die Super-Note schon zahlreiche sehr schmerzhafte Einschnitte vor. Die entscheidende politische Frage wird sein, ob Vooruit als einzige linke Partei am Tisch bereit sein wird, das mitzutragen, analysiert De Morgen.
De Standaard blickt nach Gent: Kaum sind die Grünen nach den Gemeinderatswahlen ausgebootet worden, drohen schon Dutzende Millionen Euro in einem tiefen Loch zu verschwinden. Genauer gesagt in einem tiefen Loch, in dem die Sozialisten und Liberalen Tiefgaragenplätze für 2.000 Autos bauen wollen. Das zeigt, wie schnell Koalitionsverhandlungen zu konkreten Ergebnissen und richtungsweisenden Veränderungen führen können. In diesem Fall in der Frage, ob Gent eine Stadt der Fußgänger und Radfahrer bleiben soll oder ob die Stadt einen Schritt zurück macht in das Zeitalter des Autos. Wobei die bereits vorhandenen Parkhäuser ja noch nicht mal ausgelastet sind, stichelt De Standaard.
Die Verantwortung der Politik
La Dernière Heure befasst sich ebenfalls mit dem Thema Mobilität, allerdings in einem ganz anderen Kontext: Umweltorganisationen wollen eine neue Steuer für Menschen, die mehr als zwei Mal pro Jahr fliegen. Noch radikaler ist der Vorschlag, die Zahl der Flüge, die ein Mensch während seines Lebens machen darf, gleich zu begrenzen. Wir sind zwar auch der Meinung, dass Fliegen viel zu günstig ist. Und dass es stimmt, dass bisher alle gleich behandelt werden, egal, ob sie einmal oder 50 Mal im Jahr fliegen. Aber man sollte trotzdem auch festhalten, dass die vorgeschlagene Alternative, die Schiene, nicht überzeugt. Dass das umweltfreundlichere Zugfahren genauso viel kostet wie Fliegen macht weder gesellschaftlich noch politisch den geringsten Sinn. Wie wäre es damit, dieses Problem auf nationaler und europäischer Ebene anzugehen, bevor man gleich wieder die Verbotskeule schwingt?, wettert La Dernière Heure.
L'Echo greift die befürchtete Kosten-Explosion für die sogenannte "Energie-Insel" beziehungsweise "Prinzessin-Elisabeth-Insel" in der Nordsee auf. Statt 2,2 Milliarden Euro könnte sie nun bis zu sieben Milliarden Euro kosten: So etwas passiert, wenn sich ganz Europa gleichzeitig für einen Gewaltmarsch der Elektrifizierung entscheidet. Wenn alle Welt schlagartig bei den gleichen Anbietern die gleichen Materialien bestellen will, gehen die Preise durch die Decke und drohen Versorgungsengpässe. Dadurch geraten dann sogar die Projekte selbst in Gefahr.
Die Politik trägt hier eine große Verantwortung, nicht nur, was die massiven Investitionen von Steuergeldern angeht. Sie muss auch Klartext reden zur Bevölkerung: Wir müssen weniger Energie verbrauchen und Strom wird auch in Zukunft nicht günstig werden. Wir müssen strenger haushalten mit den Mitteln, die wir haben. Grünes Licht für Mega-Investitionen zu geben ohne gründliche Risiko- und Kosten-Nutzen-Analysen ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Die Mehrkosten für die Energie-Insel sollten uns da wirklich eine Lehre sein, fordert L'Echo.
Das Problem an der Wurzel packen
Ganz anderes Thema dann bei Le Soir: Die Altkleidercontainer laufen über, die Sozialkaufhäuser verweigern die Annahme, die Sortierzentren sind völlig überlastet. In der Atacama-Wüste in Chile und an den Stränden von Ghana türmt sich unsere abgelegte Kleidung zu riesigen Bergen, mit katastrophalen Folgen für die Umwelt. Ganz zu schweigen von den Tonnen an zurückgeschickten Klamotten, die die Online-Versandhändler Tag für Tag vernichten.
Die Überproduktion und die Verschwendung bei Kleidung haben nie dagewesene Dimensionen angenommen, nicht zuletzt dank Primark, Shein, Temu, AliExpress und Co. Man muss sich auch keine Illusionen machen, dass dieses Problem über eine Sensibilisierung oder Stigmatisierung der Verbraucher gelöst werden kann. Oder über irgendwelche hypothetischen revolutionären neuen Recycling-Techniken. Das Problem muss an der Wurzel angepackt werden, da wo die Billig-Kleidung hereinkommt. Europa hat die Macht und Mittel, um hier einzugreifen – und es wird höchste Zeit dafür, appelliert Le Soir.
Boris Schmidt