"Groen fällt im 'linken Bollwerk' Gent aus dem Boot", meldet De Morgen auf Seite eins. "Mathias De Clercq entscheidet sich in Gent für die N-VA", erläutert Het Laatste Nieuws. "Groen gehört erstmals seit zwölf Jahren nicht der Mehrheit im Genter Stadtrat an", fasst Het Nieuwsblad zusammen. "Die Genter Entscheidung für die N-VA treibt einen tiefen Keil zwischen Groen und Vooruit", unterstreicht De Standaard.
Es war seit Monaten absehbar, dass die Stadtliste "Voor Gent" aus Vooruit und Open VLD den Koalitionspartner Groen gegen die N-VA austauschen würde, hält De Standaard in seinem Leitartikel fest. Aber hier geht es nicht nur um eine Änderung in der Zusammenstellung einer Koalition. Der Wechsel ist auch ein Schlag für das Selbstbild von Gent, das sich ja gerne als progressives Bollwerk rühmt, als Gegenpol gegen das, was aus Antwerpen kommt. In dem Sinne ist Gent ein Mega-Skalp am Gürtel der flämischen Nationalisten. Wenn man das Ganze abstrakt betrachtet, ist ein Machtwechsel eine gute Nachricht, denn er bedeutet frischen Wind. Und in Gent lief es schon länger nicht mehr rund zwischen Rot, Blau und Grün. Aber in der Praxis ist keine Erneuerung zu erwarten: Sozialisten und Liberale sind in Gent seit 36 Jahren an der Macht und die N-VA ist ein kleinerer Koalitionspartner als es Groen war. Die N-VA wird also mehr schlucken müssen. Und dann sind da noch die größeren Zusammenhänge: Die progressive Genter Koalition wird geopfert auf dem Altar des Mega-Deals zwischen Conner Rousseau und Bart De Wever, mit dem sie gemeinsam die flämische Politik dominieren wollen. In Gent wird offensichtlich, zu wie viel Rücksichtslosigkeit Vooruit dafür bereit ist, meint De Standaard.
Das Spiel der Politik
Es mag schade für Groen sein; und es mag schade für Gent sein, schreibt De Morgen. Aber es ist sicher kein demokratischer Skandal. Es ist einfach Politik. Nachdem in Gent der Machtpoker gespielt ist, wird wohl nun auch Antwerpen schnell folgen. Auch das gehört zum Spiel der Demokratie. Wir werden abwarten müssen, wie stark die neue, rechtere Koalition das Antlitz von Gent verändern wird. Die Grünen werden derweil ihre Wunden lecken müssen. Die erzwungene Opposition in Gent, Antwerpen und Brüssel-Stadt könnte sich möglicherweise als Gottesgeschenk für sie erweisen. Befreit von allen Verpflichtungen der Macht könnten die Grünen ihr Profil wieder schärfen, so De Morgen.
La Libre Belgique blickt auf die föderalen Regierungsverhandlungen: Seit der Wiederaufnahme der Gespräche sind mehrere Arbeitsnoten der Arizona-Unterhändler in der Presse geleakt worden. Das hat zu teils scharfen Reaktionen und Irritationen geführt bei den betroffenen Parteien. Die Leaks illustrieren das Klima am Verhandlungstisch. Dieses ist geprägt von Spannungen und Misstrauen. Gleichzeitig erlauben die Leaks aber auch, den Verlauf der Verhandlungen zu verfolgen und besser einzuschätzen. Sie zeigen zum Beispiel, wie stark die N-VA noch immer dominiert bei den Vorschlägen. Dann kann man natürlich auch absolut nicht ausschließen, dass die Leaks Teil einer politischen Strategie dieser oder jener Partei sind. Das Fazit ist jedenfalls, dass wir noch weit von einem Gleichgewicht und damit von einer Einigung entfernt sind. Das ist auch keine Überraschung, kommentiert La Libre Belgique.
Ehrgeizige Vorschläge
De Tijd befasst sich mit dem Inhalt der Leaks, genauer gesagt mit den angeblichen Plänen für eine Reform des Rentensystems: Was man da liest, kann man rundum ehrgeizig nennen. Länger arbeiten mit einem Bonus ermutigen, kürzer arbeiten mit einem Malus bestrafen, anrechenbare, nicht gearbeitete Tage zusammenstreichen, Zugang zu Mindestrenten strenger regeln, Unterschiede zwischen den verschiedenen existierenden Pensionssystemen abbauen. Das macht Sinn in einer vergreisenden Gesellschaft. Es ist nur logisch, dass mehr Menschen arbeiten, dass sie länger arbeiten und dass sie leichter den Job wechseln, lobt die Wirtschaftszeitung De Tijd.
Het Laatste Nieuws greift mögliche Pläne von Regierungsbildner De Wever auf, um Einnahmen aus Vermietungen stärker zu belasten: Als Basis für die Besteuerung dieser Einkünfte dient das sogenannte indexierte Katastereinkommen. Dieses System ist seit den 1980er Jahren nicht mehr verändert worden und benachteiligt gewisse Immobilienbesitzer, gerade etwa bei neuen und renovierten Gebäuden. Aber an diesem System rütteln zu wollen, das ist politischer Selbstmord. Denn jeder ist dafür, Arbeit weniger und Vermögen mehr zu belasten – bis es dann konkret wird. Dann will jeder nur, dass die anderen zur Kasse gebeten werden. Es wird sich also nicht viel ändern an den Ungerechtigkeiten, bedauert Het Laatste Nieuws.
Ein kleiner, aber explosiver Satz
Die "Super-Note" von Regierungsbildner Bart De Wever enthält auch einen kleinen Satz mit potenziell sehr viel Sprengkraft, merkt derweil Het Nieuwsblad an. Darin steht, dass eine gesetzliche Basis geschaffen werden soll für Data-Mining in der ZKS. Die ZKS, das ist die "Zentrale Kontaktstelle für Konten und Finanzverträge", eine Datenbank der Nationalbank, die zwei Mal im Jahr upgedatet wird mit den Kontodaten und -guthaben der Bürger im In- und Ausland. Anders gesagt: Es soll erlaubt werden, diese Daten per KI durchforsten und auswerten zu lassen, um Unregelmäßigkeiten auf die Spur zu kommen. Aber die Liberalen sperren sich ja seit Jahr und Tag gegen alles, was in diese Richtung gehen würde, siehe Vermögenskataster. Gegen das Data-Mining führen sie den Schutz der Privatsphäre ins Feld. Allein das ist schon bizarr, denn wer sein Geld mit Arbeiten verdient, hat hier keine Privatsphäre. In anderen europäischen Ländern wird die Praxis bereits erfolgreich genutzt – auch im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Das wäre auch in Belgien beim Kampf gegen die Drogenmafia interessant, gerade wenn auch wie vorgeschlagen Kryptowährungen in der ZKS erfasst würden. Wer diesen Vorschlag abschießt, der beweist, dass er keine ehrlichere Besteuerung und keine Bekämpfung des Steuerbetrugs und des organisierten Verbrechens will, wettert Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt