"Historischer Bruch des Cordon Sanitaire", titelt das GrenzEcho. "Dorfpolitik durchbricht den Cordon Sanitaire in Ranst", so die Schlagzeile von De Morgen. "Und plötzlich hat der Vlaams Belang eine Schöffin", notiert Het Nieuwsblad auf Seite eins.
In der flämischen Gemeinde Ranst östlich von Antwerpen ist der rechtsextreme Vlaams Belang Juniorpartner in der neuen Lokalregierung geworden. Zwei lokale politische Formationen aus Parteimitgliedern der OpenVLD und CD&V haben den Vlaams Belang mit in ihre Koalition geholt. Alle Zeitungen widmen diesem Thema heute ihre Leitartikel.
Das GrenzEcho fragt: Ist der 19. Oktober 2024 ein historischer Tag für Belgien? Ohne Zweifel, denn seit dem letzten Samstag steht endgültig fest, dass der seit Jahrzehnten geltende Cordon Sanitaire durchbrochen ist. Gemeint ist damit die parteiübergreifende Übereinkunft, demokratiefeindliche Formationen von Regierungskoalitionen auszuschließen. Halb so schlimm? Mitnichten, denn tatsächlich ist das, was gerade in Ranst passiert, ein geradezu verheerendes Zeichen dafür, dass der Vlaams Belang hoffähig geworden ist. In Ranst wäre auch Groen als möglicher Koalitionspartner infrage gekommen. Doch schien eine Zusammenarbeit mit den Grünen aus ideologischen Gründen undenkbar, ätzt das GrenzEcho.
Ein ganz normales Wochenende…
De Standaard beruhigt: Ranst bedeutet keinen Bruch des Cordon Sanitaire. Die dortige Koalition ist das Ergebnis langjähriger Dorfpolitik, wo den führenden Kräften die Orientierung abhandengekommen ist. Tom Van Grieken, der Chef des Vlaams Belang, freut sich zu früh über einen Sieg. Ganz im Gegenteil ist in Ranst kein Damm gebrochen, wie Van Grieken es sagt. Vielmehr ist der Cordon Sanitaire jetzt stärker denn je. Denn die lokalen Politiker von OpenVLD und CD&V, die den Bund mit dem Vlaams Belang geschlossen haben, wurden sofort aus ihren Parteien ausgeschlossen. Das ist ein deutliches Zeichen und wird vielen Lokalpolitikern eine Warnung sein, glaubt De Standaard.
Het Laatste Nieuws bemerkt: Es war fast lustig zu sehen, wie theatralisch aufgeregt die Politiker der etablierten Parteien am Wochenende auf Ranst reagiert haben. Dabei ist dort nur etwas ganz Normales passiert. Zwei lokale Formationen haben aufgrund der lokalen Gegebenheiten im Sinne ihrer Gemeinde gehandelt. Ganz unabhängig von der großen Politik. Der Bürgermeister von Ranst sollte sich jetzt auf keinen Fall schuldig fühlen. Er hat das getan, was Politiker Jahrzehnte lang tun, nämlich eine Koalition geschmiedet mit Parteien, die eine Mehrheit bilden können. Aus demokratischer Sicht war das Wochenende ganz normal, betont Het Laatste Nieuws.
Das Übel fängt klein an
Auch De Morgen wertet: Man kann schwerlich von einem großen Deichbruch sprechen, denn bislang bleibt die Regierungsbeteiligung des Vlaams Belang nur auf eine kleine Gemeinde in Flandern beschränkt. Allerdings ist es durchaus ein Weckruf. Denn was rechtsextreme Parteien auf lokaler Ebene bewirken, haben verschiedene kleinere Städte in Südfrankreich vorgemacht. Eine Kulturbeauftragte wurde entlassen, weil sie Kurzfilme über das Leben von LGBTQ+ Menschen gezeigt hatte. In Schulkantinen sollte Halalessen durch Schweinefleisch ersetzt werden. Bücher über Rassismus, Rap und Globalisierung wurden aus Bibliotheken verbannt. Das Übel fängt klein an. Wir müssen achtsam sein, warnt De Morgen.
Auch Le Soir stellt fest: Einige Politiker und Beobachter wollen beruhigen, indem sie sagen, Ranst sei nur eine lokale Randerscheinung. Es ist aber genau hier, auf lokaler Ebene, wo alles anfängt, wo das rechtsextreme Gedankengut über Alltäglichkeiten in das Leben der Bürger eindringt. Deiche bekommen zunächst unten kleine Risse und die weiten sich dann aus. Es ist unsere Pflicht, das zu verhindern, meint Le Soir.
Alles andere als eine Banalität
La Dernière Heure analysiert: Die Mauer hat dort Risse bekommen, wo man es nicht erwartet hatte. Der Vlaams Belang hat in Ranst nur 14 Prozent der Stimmen bekommen. Politiker von OpenVLD und CD&V sind es, die den Belang zum Mitregieren eingeladen haben. Das hätte man eher von N-VA-Politikern erwartet. Ein gefährlicher Weg wird beschritten, vor dem andere gewarnt sein sollten. Doch in Zeiten, wo extreme Parteien den Wind in den Segeln haben, drohen viele, diese Warnung nicht zu hören. Denn in vier Gemeinden der Wallonie könnte es sein, dass die PTB mitregiert. Auch keine Banalität, erinnert La Dernière Heure.
La Libre Belgique empört sich: Was für eine schlimme historische Premiere! Die Lage in Ranst ist von großer politischer Bedeutung auch für die nationale Politik. Kleinreden kann man es nicht, was in dieser Gemeinde geschehen ist. Der lokale Kontext mit den persönlichen Verstrickungen kann so eine Koalition nicht rechtfertigen. Auch deshalb nicht, weil es Alternativen ohne den Vlaams Belang gab. Wir müssen wachsam sein, damit kein Dominoeffekt entsteht. Der Fall Ranst muss ein Einzelfall bleiben, unterstreicht La Libre Belgique.
Kay Wagner