"Die Polizei beschlagnahmte Dutzende Wahlvollmachten in Ninove", titeln Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad. "Wo die Bürger glücklich sind, gehen sie zur Wahl", stellt De Standaard auf seiner Titelseite fest. "Warten auf die neuen Koalitionen", schreibt das GrenzEcho.
Am Tag zwei nach den Lokalwahlen dreht sich weiter alles um die Ergebnisse beziehungsweise die Erkenntnisse aus dem Urnengang. Im ostflämischen Ninove, wo der rechtsextreme Vlaams Belang zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Bürgermeister stellen könnte, wird wegen Wahlfälschung ermittelt. In Flandern insgesamt sucht man weiter nach Erklärungen für die überraschend niedrige Wahlbeteiligung. Und in den Gemeinden selbst läuft die Suche nach Mehrheiten. Le Soir spricht in diesem Zusammenhang von der "Stunde der Bündnisse und des Verrats". Denn: In einigen Gemeinden wurden schon wieder die stärksten Listen ausgebootet, weil sich die Kleineren zusammenraufen konnten. Sichtbarste Beispiele sind Ixelles und Tournai.
Dafür haben die Bürger nicht gewählt, giftet La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Ist es normal, dass in Ixelles der Kandidat mit nur dem drittstärksten Vorzugstimmenergebnis Bürgermeister wird? Ist es normal, dass in Tournai eine Frau das Rathaus übernehmen wird, die nur rund halb so viele Stimmen bekommen hat wie der bisherige Amtsinhaber? "Ja!", erwidern Zyniker auf diese Fragen. "So ist das nun mal. Am Ende zählt nur, wer über die Mehrheit verfügt". Mag sein! Aber eben diese Leute, die so etwas "normal" finden, die sollten sich dann auch nicht wundern, wenn sich die Bürger von der Politik angewidert abwenden.
Böses Erwachen
Verrat gehört eben anscheinend zum Geschäft, konstatiert L'Avenir. Wahlgewinner, die sich nach der ausgelassenen Siegesfeier glücklich ins Bettchen legen und auf beiden Ohren schlafen, denen droht mitunter ein böses Erwachen. Nämlich dann, wenn die Konkurrenz die Nacht genutzt hat, um eine Koalition ohne die Sieger zu schmieden. Beispiele gibt es zuhauf, und die Liste ist ja schon wieder länger geworden. Doch macht das das Ganze nicht besser. Solche Winkelzüge erschüttern das Vertrauen der Bürger. Deren Votum verdient Respekt.
In Rochefort hat sich gezeigt, was passieren kann, wenn man den Wählerwillen missachtet. Dort haben Kandidaten und Sympathisanten der Sieger-Liste sehr nachdrücklich dagegen protestiert, dass sie buchstäblich über Nacht in die Opposition verfrachtet wurden. Gewalt ist keine Lösung und muss auch aufs Schärfste verurteilt werden. Aber hier zeigt sich doch ein tiefsitzendes Malaise.
Man sollte sich vielleicht mal ein Beispiel an Flandern nehmen, empfiehlt Le Soir. In Norden des Landes wurde nämlich nicht nur die Wahlpflicht bei Lokalwahlen abgeschafft, sondern es wurden auch neue Regeln erlassen mit Blick auf die Mehrheitsfindung auf der kommunalen Ebene. Demnach ist es so, dass die stärkste Liste automatisch für zwei Wochen das Initiativrecht hat. Heißt: Erstmal bekommt der Sieger die Zeit, eine Koalition zu schmieden. Gelingt das nicht, gut, dann kommt die zweitstärkste Liste zum Zuge. Auf diese Weise wird in jedem Fall der Wählerwille respektiert. Und zugleich eröffnet das die Möglichkeit, auch mal über Inhalte zu reden.
Schlechte Verlierer
Het Laatste Nieuws wirft auch in seinem Kommentar einen Blick auf Ninove. Die ostflämische Gemeinde sorgt für regelrechte Euphorie beim rechtsextremen Vlaams Belang, der ja erstmals in Flandern einen Bürgermeister stellen könnte. Indem man diesen Erfolg derartig hochjubelt, lenkt man aber davon ab, dass die Kommunalwahlen eigentlich aus Sicht des Belang enttäuschend verlaufen sind. Die Rechtsextremisten haben lediglich in zwei Gemeinden das Initiativrecht erobern können. Das kann man schwerlich als einen Erfolg bezeichnen. Dies, zumal der Vlaams Belang noch bei der Parlamentswahl am 9. Juni in 143 flämischen Gemeinden zur stärksten Kraft geworden war.
Aber, Belang-Chef Tom Van Grieken hat zum Glück schon einen Schuldigen gefunden: Es sind natürlich die Medien. Sagt also ein Mann, der sonst immer von sich behauptet, dass er die Medien nicht nötig habe, weil man sich über soziale Netzwerke direkt an die Menschen wendet. Das Ganze ist aber nichts Neues. Bei jeder Wahl gibt es schlechte Verlierer.
De Morgen macht sich seinerseits Sorgen um die Grünen. Bei den Umweltparteien blinken alle Warnleuchten feuerrot. Groen hat zum zweiten Mal in Folge eine Wahl krachend verloren. Aus dem ländlichen Flandern sind sie fast vollständig verschwunden. Und auch in den Städten sind sie auf dem absteigenden Ast. Da, wo sie sich halten konnten, etwa in einigen Brüsseler Gemeinden, wurden die Grünen in die Opposition verbannt. Schuld ist nicht nur das allgemeine Grünen-Bashing. Die Umweltparteien tun sich einfach schwer damit, ihre Botschaft an den Mann und an die Frau zu bringen. Häufig wirken sie realitätsfern. Die jüngsten Wahlergebnisse sind kein Betriebsunfall, sondern Zeichen für ein existentielles Problem.
Ökologie auch ohne Ecolo
"Aber muss man sich dafür auch gleich vom Umweltschutz verabschieden?", fragt sich rhetorisch L'Echo. Das wäre ein Irrtum. Denn diese Probleme gehen uns doch schließlich alle an. Die Luftqualität in unseren Städten, die Belastung unserer Naturflächen mit Pestiziden und PFAS, diese Probleme verschwinden doch nicht, nur weil die Grünen die Wahl verloren haben. All diese Fragen dürfen doch nicht allein von einer Partei abhängen. Die von grünen Parteien eingeleiteten Maßnahmen als eine bloße Klammer zu betrachten, sie gar rückgängig zu machen, das wäre auch ein historischer Fehler. Auch die anderen Parteien müssen sich dem Umweltschutz verschreiben. Ökologie muss auch ohne Ecolo möglich sein.
La Libre Belgique blickt ihrerseits aufs große Ganze. Auch wenn die PS es auch anders sehen will: Im frankophonen Landesteil hat sich der Rechtsruck bestätigt. MR und Les Engagés werden diesen Vertrauensvorschuss jetzt aber auch in Taten übersetzen müssen. Sie haben einen "Bruch mit der Vergangenheit" versprochen. Den wollen wir jetzt auch sehen! Spätestens seit dem vergangenen Sonntag gibt es keine Entschuldigung mehr.
Roger Pint