"Morgen wird (wieder) gewählt", titelt La Dernière Heure. "Jetzt hat der Wähler das Wort", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "Ihre Stimme ist wichtiger als je zuvor", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Die Spannung steigt. Morgen wird sich entscheiden, wer in den 565 Gemeinden des Landes in den nächsten sechs Jahren das Sagen haben wird. Doch könnten auch diese Lokalwahlen am Ende eine regionale oder gar nationale Signalwirkung haben. Die Frage lautet nämlich: Wird sich das Wahlergebnis vom 9. Juni bestätigen? Wird die PS in der Wallonie und in ihren Brüsseler Hochburgen ihre dominante Position verteidigen können? Droht den Grünen und der OpenVLD eine neue Wahlschlappe?
Noch wichtiger: "Schaffen die radikalen Parteien den Durchbruch auf der lokalen Ebene?", fragt sich De Morgen auf seiner Titelseite. Die PTB fordert ja insbesondere Bart De Wever in Antwerpen heraus. Und der rechtextreme Vlaams Belang könnte vor allem im ländlichen Flandern das eine oder andere Rathaus erobern. "Noch nie war bei Lokalwahlen der Einsatz so hoch", so denn auch die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Eine erfreulich lebendige Demokratie
Am Sonntag schlägt die Stunde der Wahrheit, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Wenn das letzte Wahlbüro seine Pforten schließt, dann ist das so etwas wie die letzte Klappe für ein Superwahljahr, das am Ende vielleicht ein bisschen zu lang gedauert hat. Dennoch: Man kann nur erfreut und beruhigt feststellen, dass die Demokratie hierzulande erstaunlich lebendig ist. Mehr denn je, könnte man sogar sagen. Die zahlreichen Wahldebatten in den Gemeinden waren in der Regel sehr gut besucht. Und trotz des enormen Drucks in sozialen Netzwerken mit ihrem Schwall an zum Teil sogar persönlichen Beleidigungen, haben sich außerordentlich viele Menschen gefunden, die den Mut hatten, auf einer Liste zu kandidieren. Das alles dürfte doch eigentlich Grund genug sein, morgen auch tatsächlich zur Wahl zu gehen.
Le Soir sieht das ähnlich. Es gab Wahldebatten quasi an jedem Zaunpfahl, bei denen es um ganz konkrete kommunale Themen ging. Die Demokratie, deren Zustand man zuweilen als besorgniserregend bezeichnet, hat in den letzten Wochen ihr schönstes Gesicht gezeigt. Vor allem hat man noch einmal gesehen, was den Bürgern besonders wichtig ist: Nicht die Rue de la Loi, sondern der Dorfplatz in der heimischen Gemeinde. Entsprechend sind denn auch die Gemeinderatsmitglieder, die Schöffen und die Bürgermeister die ersten Ansprechpartner der Menschen. Man darf jetzt nicht in Karikaturen verfallen. Hier stehen sich nicht die guten Lokalpolitiker und die bösen Minister gegenüber. Dennoch würde man sich auch auf den übergeordneten Ebenen so lebendige Debatten wünschen.
Eine nicht-spektakuläre Version der Demokratie
Wir haben in den letzten Wochen ein überraschend vertrautes politisches Theater gesehen, findet auch De Standaard. Vielleicht war es sogar ein bisschen langweilig, was letztlich aber eine eher gute Neuigkeit ist. Es war eben die nicht-spektakuläre Version der Demokratie. Mit Kandidaten, die betont nüchtern und bodenständig argumentierten, ohne flagrante Lügen und nicht haltbare Versprechen. Vielleicht spricht das Wahlergebnis am Ende doch eine andere Sprache. Deswegen ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger ihre Stimme abgeben, damit die Resultate wirklich repräsentativ sind.
Die Appelle, zur Wahl zu gehen, haben diesmal in Flandern eine viel konkretere Bedeutung als früher. Im Norden des Landes gilt ja morgen keine Wahlpflicht im Gegensatz zu den übrigen Landesteilen, wo die Regelung beibehalten wurde. Zum ersten Mal seit 131 Jahren wird man in Flandern also nicht mehr zu seinem Recht gezwungen, konstatiert Gazet van Antwerpen. Jetzt erst recht dürfen wir aber nicht vergessen, was für ein Recht wir da eigentlich haben. Und es darf nicht sein, dass vielleicht irgendwann mehr Menschen zu Hause bleiben als zur Wahl zu gehen. Ein Negativbeispiel ist Rotterdam, wo der letzte Stadtrat zusammengestellt wurde auf der Grundlage der Stimmen von weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten. Wie demokratisch sind eigentlich noch solche Wahlen? So weit ist es bei uns noch nicht. Doch sollten potenzielle Wahlmuffel eins nicht vergessen: Wer seine Stimme nicht abgibt, der darf nachher auch nicht jammern. Er hat schlichtweg auf sein Mitspracherecht verzichtet.
Lokalwahlen mit nationaler Bedeutung
Seine Stimme abzugeben, das ist immer eine gute Idee, ist auch Het Nieuwsblad überzeugt. Bester Beweis sind doch die letzten Föderal- und Regionalwahlen, da ging es buchstäblich um jede Stimme. Und das nicht nur im Norden, sondern auch im Süden des Landes. Hinzu kommt: Nach der letzten Reform sind in Flandern die Vorzugsstimmen wichtiger denn je. Der Wähler entscheidet jetzt unmittelbarer, wer ihn letztlich vertritt. Der Einfluss der Wähler war nie größer.
Es sind zwar Lokalwahlen, doch wird der morgige Urnengang zwangsläufig auch nationale Bedeutung haben, glaubt La Libre Belgique. Irgendwie fühlt sich das an, wie ein zweiter Wahlgang "à la Belge", stellt sich doch die Frage, ob sich das Wahlergebnis vom 9. Juni bestätigt. Für die PS etwa hat diese Wahl fast schon existentielle Bedeutung. Die Sozialisten laufen nämlich Gefahr, dass ihre lokale Verankerung insbesondere in den großen Städten geschwächt wird. In Flandern könnte sich demgegenüber der rechtsextreme Vlaams Belang auf Gemeindeebene einnisten. Auch die marxistische PTB oder das Team Fouad Ahidar könnten für Überraschung sorgen. Der morgige Tag könnte noch spannend werden.
Es droht ein böses Erwachen
Die beiden Wirtschaftszeitungen L'Echo und De Tijd denken ihrerseits schon an den kommenden Montag. Dann sollten nämlich die Koalitionsverhandlungen mit Blick auf die Bildung einer neuen Föderalregierung wieder aufgenommen werden. Die Arizona-Parteien hatten ja auf den Pausenknopf gedrückt, um erstmal die Kommunalwahlen abzuwarten. Die Parteien wollten es vermeiden, ihren kommunalen Wahlkampf mit unpopulären Maßnahmen zu vergiften. Schön und gut, aber jetzt muss es schnell gehen, mahnt De Tijd. Die Nationalbank hat ja gerade wieder die Alarmglocke gezogen und vor einem Entgleisen des Staatshaushaltes gewarnt. Wir stehen vor der schwersten Sanierung seit Jahren, während zugleich ja auch noch massive Investitionen nötig sind, etwa in den Bereichen Verteidigung, Gesundheit oder Energie.
Ab Montag können sich die Arizona-Parteien nicht mehr verstecken, meint auch L'Echo. Und nach den morgigen Kommunalwahlen droht ein wirklich böses Erwachen, die Rückkehr zur Wirklichkeit wird hart, vielleicht sogar brutal. Unsere Politiker sollten nicht vergessen: Nicht weit vom Kapitol, im antiken Rom, befand sich der Tarpejische Fels, der Galgenberg.
Roger Pint