"Papst setzt mit Messfeier Glanzpunkt unter seinen Besuch – Dicke Überraschung zum Abschied: Seligsprechungsprozess für König Baudouin", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Politische Stille nach dem Angriff des Papstes gegen Frauen", titelt Le Soir. "Der Papst-Besuch hat niemanden kalt gelassen – im positiven wie im negativen Sinn", liest man bei Het Nieuwsblad. "Papst-Besuch: Enthusiasmus und Sprachlosigkeit", lautet das Fazit von La Dernière Heure. "Zwischen Emotionen und Polemiken", so L'Avenir.
Die belgischen Katholiken haben den Papst mit Freude empfangen, resümiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Papst Franziskus hat während seines dreitägigen Besuchs auch das große Problem des sexuellen Missbrauchs in der Kirche nicht vermieden, im Gegenteil. Wie ernst er es mit seinen diesbezüglichen Versprechen meint, wird man erst in einigen Monaten bewerten können. In puncto Rolle der Frau in der Kirche ist zu bedauern, dass kein echter Dialog zustande gekommen ist. Die Kirche muss hier lernen, nicht so verklausuliert zu sprechen, dass nur Theologiestudenten verstehen, was sie eigentlich sagt. Und sie muss sich vor allem auch dieser fundamentalen Debatte wirklich stellen wollen. Was Abtreibung betrifft, hat der Papst schockierende Aussagen gemacht – Aussagen, die von einem Großteil der Gesellschaft heutzutage nicht mehr akzeptiert werden. Aussagen, die auch viele Katholiken nicht mehr bereit sind hinzunehmen, prangert La Libre Belgique an.
Der Kreuzzug von Vatikan und Papst
Nach lobenswert starken Worten des Papstes zum sexuellen Missbrauch in der Kirche und zu Zwangsadoptionen hat sich der Ton seines Besuchs deutlich geändert, hält auch L'Avenir fest. Nach einem Überraschungsbesuch am Grab von König Baudouin hat der Papst zunächst gewürdigt, dass sich Baudouin geweigert habe, ein "mörderisches Gesetz" zu unterschreiben. Deswegen will er auch seine Seligsprechung vorantreiben. Ärzte, die Abtreibungen durchführten, seien "Auftragsmörder", so der Papst später. Aussagen, die umgehend zu scharfen Reaktionen geführt haben. Aber muss man wirklich überrascht sein? Franziskus hat sich zwar bemüht, das Image der Kirche zu modernisieren, aber er hat nie für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit gestanden. Eine Änderung seiner Positionen war also nicht zu erwarten, meint L'Avenir.
Nach den Aussagen des Papstes zur Abtreibung und zur Rolle von Frauen muss zumindest Schluss damit sein, ihn wie einen Staatschef zu empfangen, fordert Le Soir. Franziskus ist ein dogmatischer Religionsführer, der die Gesetze von Ländern in Frage stellt, die er besucht. Natürlich hat auch der Papst ein Recht auf seine Meinung. Und natürlich waren seine Worte auch keine wirkliche Überraschung. Aber indem er gegen ein Gesetz wettert, das - nur zur Erinnerung - von unseren Volksvertretern beschlossen worden ist, mischt sich Franziskus in die Politik unseres Landes ein. Es ist ein deutlicher Angriff auf die belgische Demokratie, der Papst ermuntert Abtreibungsgegner, geltende Gesetze in Frage zu stellen und von Worten zu Taten zu schreiten. Franziskus unterstützt damit auch generell ultrakonservative und rechtsextreme Parteien – Parteien, die im Namen angeblicher "christlicher Werte" die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Angehörigen der LGBTQ+-Gemeinschaft beschneiden wollen. Man muss also nicht nur ungehalten sein über die Worte von Franziskus, sondern man muss diesen Kreuzzug des Vatikans und des Papstes mit Sorge betrachten, wettert Le Soir.
Neue Regierung in Flandern
Das zweite große Thema in den Leitartikeln ist die neue flämische Regionalregierung: Voilà, 113 Tage nach den Wahlen vom 9. Juni können die Mitglieder der neuen Regierung heute ihre Eide ablegen, kommentiert Het Belang van Limburg. Es ist eine Regierung, die eindeutig von der N-VA dominiert wird. Neben dem Posten des Ministerpräsidenten für Matthias Diependaele erhält die N-VA noch vier Ministerposten. Die beiden anderen Regierungsparteien CD&V und Vooruit bekommen jeweils zwei Minister. Aber auch wenn die neue Regierung jetzt steht, ist deutlich geworden, dass längst nicht alle Kriegsbeile begraben worden sind. Und diverse heiße Eisen sind erst einmal ausgeklammert beziehungsweise aufgeschoben worden, hebt Het Belang van Limburg hervor.
Die Regierungsvereinbarung bleibt sehr vage, was Wirtschaft, Industrie, Klima und Genehmigungspolitik betrifft, betont auch Gazet van Antwerpen. In verschiedenen Dossiers setzt die neue flämische Regierung all ihre Hoffnung auf die föderale Ebene. Denn hier wollen die gleichen Parteien, die jetzt die flämische Regierung bilden, also N-VA, Vooruit und CD&V, ebenfalls die Richtung bestimmen. Noch am Wahlabend hatte N-VA-Chef Bart De Wever versichert, dass Selbstbestimmung die beste Kur sei. Dieses Prinzip sucht man in der flämischen Regierungserklärung vergeblich, stichelt Gazet van Antwerpen.
Moderate Solidität
Mit den Kommunalwahlen vom 13. Oktober vor der Tür wollten sich die flämischen Regierungsparteien nicht gegenseitig wehtun, analysiert Het Nieuwsblad. Der wirtschaftliche Rahmen bleibt also, wie er ist, die Ausgaben werden erhöht, strukturell bleibt alles beim Alten. Reformen stehen kaum auf der Agenda. Stattdessen gibt es ein bisschen wärmeres Flandern, ein bisschen etwas für den Wohlstand und etwas mehr Identitätspolitik, fasst Het Nieuwsblad zusammen.
Die neue Regionalregierung ist ein Versuch, soviel Zentrumspolitik wie möglich umzusetzen, findet De Standaard. Die Regierungsvereinbarung ist ein dicker Katalog an Punkten, die breite Schichten der Bevölkerung für wünschenswert halten. Er enthält noble Ziele zum Unterrichtswesen, zur Industrie, zum Erbe, zu Verkehrssicherheit, Armut und alten Menschen. Das Ganze relativ konfliktfrei und auf einer Linie mit Europa. Angesichts der politischen Radikalisierung überall in Europa ist diese Art moderater Solidität eine Erfrischung, lobt De Standaard.
Boris Schmidt