"Papstbesuch: Ein Moment, den die Katholiken des Landes mit Spannung erwarten", titelt La Libre Belgique. "Alle Zweifel ausgeräumt: Papst ab heute in Belgien", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Belgien ist bereit für den Papst", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Papst Franziskus wird heute Abend seinen Fuß auf belgischen Boden setzen. Anfang der Woche hatte er noch an einer leichten Grippe gelitten. Gestern ließ er aber bestätigen, dass sein Belgien-Besuch wie geplant stattfinden wird. Unmittelbarer Anlass für die dreitägige Visite ist der 600. Jahrestag der Gründung der Katholischen Universität Löwen. Doch gibt es auch viele kritische Stimmen: "Trägt Belgien zu dick auf für den Papstbesuch?", fragt sich etwa L'Echo. Denn: "Nur noch 43 Prozent der Belgier bezeichnen sich selbst als Katholiken", bemerkt Le Soir auf Seite eins.
Überschattet wird der Papstbesuch natürlich vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Der Pontifex soll im Rahmen seiner Visite auch mit Opfern zusammentreffen. "Endlich kann ich ihm ins Gesicht sagen, dass er den Skandal anders anpacken muss", sagt ein Betroffener auf Seite eins von De Tijd.
Nur noch ein Schatten ihrer selbst
"Was will der Papst überhaupt in Belgien?", fragt sich provokativ De Standaard in seinem Leitartikel. Im Vorfeld seines Besuches dürften ihm seine Berater die Lage seiner Institution in Belgien skizziert haben. Und wenn sie bei der Wahrheit geblieben sind, dann dürften sie dem Papst wohl eröffnet haben, dass die katholische Kirche in Belgien politisch keine Rolle mehr spielt. Nicht mal, wenn es um ethische Fragen geht, wie Abtreibung oder aktive Sterbehilfe. Außerdem gibt es kaum noch praktizierende Gläubige, keine lebenden Rituale mehr. Selbst die konservative Renaissance ist hierzulande, im Gegensatz etwa zu Frankreich, keine katholische.
Im Grunde ist der Belgien-Besuch des Papstes nur mit einer Erwartung verbunden: Das Oberhaupt der katholischen Kirche sollte klar Stellung beziehen und auch ein Schuldeingeständnis ablegen in Bezug auf den Missbrauchsskandal, jenen schändlichen Machtmissbrauch, der über Jahrzehnte in Schulen, Internaten und Pflegeeinrichtungen an der Tagesordnung war. Denn es bleibt der Eindruck, dass man im Vatikan die Tragweite des Skandals nach wie vor nicht einsehen will. Ein Stadion mag der Papst immer noch mühelos füllen können. Insbesondere an seinem Gespräch mit den Missbrauchsopfern wird sein Besuch aber gemessen werden.
"Wird es der Papst wagen? Wird er die lange erwarteten Worte endlich öffentlich aussprechen?" Diese Frage stellt sich auch Le Soir. Zugegeben: Die katholische Kirche hat auch in Belgien noch nicht all ihren Einfluss verloren. Ob man es will oder nicht: Die Institution bleibt einer der großen Influencer in unserer Zeit. Und wenn es nur ist, um sich vom Islam abzugrenzen. Dennoch: Die Kirche ist in Belgien nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Entfremdung wurde durch den Missbrauchsskandal noch einmal deutlich beschleunigt. Zwar hat sich der Papst schon zu diesem schrecklichen Thema geäußert, doch herrscht hier nach wie vor ein ebenso bleiernes wie unerträgliches Schweigen vor. Wer weiß? Vielleicht will der Papst eben auf belgischem Boden endlich die Tabus aufbrechen und öffentlich klar Stellung beziehen. Ohne eine starke Geste bliebe der Rest des Besuches jedenfalls im Schatten.
Ein neuer Impuls?
Die Gläubigen erwarten ihrerseits aber auch Impulse mit Blick auf die von ihnen gewünschte Reform der Kirche, glaubt L'Avenir. Seit dem historischen Besuch von Papst Johannes Paul II. 1985 hat sich die Situation der Kirche insbesondere hierzulande grundlegend verändert. Dies nicht zuletzt auch wegen der Skandale, die die letzten 40 Jahre geprägt haben. Schon damals hofften viele Katholiken auf Veränderung, auf eine Modernisierung ihrer Kirche. Getan hat sich wenig. Neben der dringend notwendigen Versöhnung, einer klaren Positionierung zum Missbrauchsskandal, braucht die Kirche jetzt vor allem eins: eine tiefgreifende Reform, wie zum Beispiel eine viel stärkere Einbindung von Frauen. Ebendiese Forderung hatten mutige Menschen schon damals, 1985, in Gegenwart des Papstes offen ausgesprochen. In Belgien kann man jedenfalls nur auf diese Weise die Kirche wieder in Einklang bringen mit der Gesellschaft.
Beim letzten Papstbesuch 1995 war die Katholische Kirche noch ein Eckpfeiler der belgischen Gesellschaft, jetzt ist sie allenfalls noch eine kulturelle oder spirituelle Referenz, muss selbst die immer noch sehr katholische Zeitung La Libre Belgique einräumen. Entsprechend erhoffen sich wohl viele Katholiken von dem Besuch von Papst Franziskus einen neuen Impuls. Die Visite hat auf jeden Fall schon einmal dazu geführt, dass sich innerhalb der katholischen Gemeinschaft, innerhalb der Generationen und innerhalb der Sprachgruppen die Reihen wieder geschlossen haben. Der Papst wendet sich aber freilich nicht nur an die Katholiken, sondern an die belgische Gesellschaft insgesamt. In diesem Sinne kann man nur hoffen, dass die nächsten Tage einen lebhaften Austausch bringen werden zwischen einem Land und einer Kirche, die dessen Geschichte maßgeblich geprägt hat.
Roger Pint