"Flandern wählte noch nie so weit rechts", titelt Het Laatste Nieuws. "MR dominiert Brüssel und die Wallonie", heißt es bei Le Soir auf Seite eins. Beide Zeitungen veröffentlichen heute das Wahlbarometer, in dem sie regelmäßig die Stimmung unter den Wählern einfangen. Daraus ergibt sich grob gesehen, dass es seit den Wahlen vom 9. Juni keine großen Veränderungen gegeben hat.
Le Soir kommentiert: In die Zustimmung zu der ein oder anderen Partei könnte Bewegung kommen, wenn die Regierungen endlich mal gebildet sind und wirklich anfangen zu arbeiten. Das ist bislang nämlich noch nicht geschehen. In der Wallonie gibt es zwar schon eine Regierung, aber kräftig gearbeitet wird nicht. Wohl aus dem gleichen Grund, weshalb auf föderaler Ebene die Regierungsverhandlungen noch stocken. Theo Francken von der N-VA hat diesen Grund jetzt auch erstmals öffentlich genannt: Wir warten die Gemeinderatswahlen ab, sagte er. Erst danach wird es also ans Eingemachte gehen. In gewisser Weise ist das unfair den Wählern gegenüber. Denn die müssen am 13. Oktober wieder ihre Stimme abgeben. Und da wäre es gut zu wissen, für was die Parteien wirklich stehen, wenn sie einmal Regierungsverantwortung haben, ärgert sich Le Soir.
Bart De Wever Superstar
Het Laatste Nieuws widmet sich Bart De Wever und führt aus: Vor den vergangenen Wahlen haben viele noch das Ende von Bart De Wever prophezeit. Doch er hat alle Lügen gestraft. Mit seiner N-VA hat er die Wahlen gewonnen. Und das neue Barometer zeigt: Er bleibt die Nummer Eins unter allen Politikern in Flandern. Und sogar in der Wallonie wird er immer beliebter. Es scheint ihm also nicht zu schaden, dass er sich fast komplett gewandelt hat. Vom Hardliner eines flämischen Nationalismus' hat er sich zum Staatsmann entwickelt. Für die belgische Politik scheint er gerade unersetzlich, staunt Het Laatste Nieuws.
De Tijd beobachtet zur Regierungsbildung in Flandern: Regierungsbildner Matthias Diependaele von der N-VA will in den kommenden Tagen die Verhandlungen abschließen, um dann zusammen mit CD&V und Vooruit Flandern fünf Jahre zu regieren. Man darf gespannt sein, auf welches Programm sich die drei sehr unterschiedlichen Parteien einigen. Werden sie es schaffen, ein Programm mit Zukunftsvisionen auf die Beine zu stellen, in dem sich alle Flamen wiederfinden? Oder kommt doch nur quasi Gestümpel heraus? Ein Kompromiss hier, ein Zugeständnis da, ohne das große Ganze voranzubringen? Flandern braucht diesen mutigen Blick nach vorn, denn so gut wie in der Vergangenheit steht Flandern nicht mehr da, weiß De Tijd.
Vorbild Wallonie! Vorbild Flandern?
Het Nieuwsblad berichtet: Die Zukunft der Provinzen in Flandern ist ein Streitpunkt zwischen den Partnern einer möglichen neuen Regionalregierung. Die N-VA will sie vor allem aus Kostengründen abschaffen. Die CD&V will sie unbedingt behalten als politische Instanz zwischen Gemeinden und der Region. Für beide Standpunkte gibt es gute Argumente. Wie man eine Lösung finden kann, zeigt die Wallonie. Dort wollen MR und Les Engagés auch die Provinzen abschaffen, lassen darüber aber die Bürger in einem Referendum abstimmen. Das ist eine gute Entscheidung. Nicht alles muss von oben herab durch einen Federstrich beschlossen werden, argumentiert Het Nieuwsblad.
La Dernière Heure blickt auf die Gemeinderatswahlen und erinnert: In Flandern wird es eine Premiere geben, denn Flandern hat die Wahlpflicht für diesen Urnengang abgeschafft. Es wird interessant sein zu sehen, welche Ergebnisse dieser Laborversuch liefert. Wird die Wahlbeteiligung auf ein Rekordtief sinken? Welche Parteien werden den Zoll zahlen und welche profitieren? Wird danach eine Debatte beginnen über die Frage, ob die Wahlpflicht nicht auch bei anderen Wahlen in Belgien abgeschafft werden sollte? Erste Antworten am Abend des 13. Oktober, vertröstet La Dernière Heure.
Ohne Verbrenner geht es (noch) nicht
Gazet van Antwerpen bemerkt: Während gut drei Monate nach den Wahlen die flämische und föderale Regierung immer noch nicht stehen, weil unter anderem die Gemeinderatswahlen fleißig vorbereitet werden, dreht sich die Welt außerhalb Belgiens weiter. Verbessert hat sich die Lage dort nicht. In Nahost droht eine weitere Eskalation des Kriegs, Russland erobert mehr und mehr Gebiete von der Ukraine, Europa könnte bald zur wichtigsten Stütze der Ukraine werden, weil die USA mit ihrem Wahlkampf beschäftigt sind und überdies die Augen eher gen China richten. Kurz: Es sieht nicht gut aus. Da ist es fast schon verständlich, dass unsere Politiker gerne noch ein bisschen weiter verhandeln wollen. Denn sie wissen sehr wohl: Einmal begonnen mit dem Regieren, wird es schwer werden, ätzt Gazet van Antwerpen.
L'Avenir widmet sich dem Auto. Für viele Menschen in der Wallonie, schreibt die Zeitung, bleibt das Auto unerlässlich. Und es ist wichtig zu verstehen, dass diese Menschen keine Klimaskeptiker oder Egoisten sind, wenn sie mit ihren Verbrennerfahrzeugen durch die Gegend fahren. Sie sind schlicht und ergreifend auf diese Autos angewiesen, um ihren Alltag zu bewältigen. Das wird sich erst dann ändern, wenn die Alternativen besser werden: E-Autos zu erschwinglichen Preisen, gute Systeme zum Carsharing, bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr. Für die Politik ist das keine einfache Aufgabe. Sie muss einen Ausgleich finden zwischen der Förderung solcher Alternativen, ohne aber die Nutzer der Verbrennerautos durch Abgaben und Fahrverbote zu diskriminieren, fordert L'Avenir.
Kay Wagner