"Mario Draghi präsentiert Wirtschaftsplan für die EU – Von Pharma bis Raumfahrt: die zehn Sektoren, die dringend wieder auf die Schienen müssen", titelt De Morgen auf Seite eins. "Mario Draghi ruft Europa auf, 800 Milliarden pro Jahr zu investieren", schreibt L'Echo. "Mario Draghi predigt radikale Veränderung: 800 Milliarden pro Jahr, um Europa relevant zu halten", so De Tijd. "800 Milliarden an Investitionen – eine Frage des Überlebens", liest man bei Le Soir.
Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Ex-Präsident der Europäischen Zentralbank nimmt kein Blatt vor den Mund, resümiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Europas ist eine existenzielle Frage, betont Draghi. Falls es Europa nicht gelingt, seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, dann wird Europa nicht mehr den Wohlstand seiner Bürger garantieren können, den sozialen Zusammenhalt, den Frieden und eine nachhaltige Umwelt. Kurz: Europa wird seine Existenzberechtigung verlieren. Draghi formuliert in seinem schonungslosen Bericht auch eine ganze Reihe von Empfehlungen. Aber das politische Klima in Europa ist ihm nicht gesonnen, sowohl Scholz als auch Macron sind sehr geschwächt, in Italien, den Niederlanden und Ungarn regieren die Rechtsextremen. Die Lust auf gemeinsame Projekte ist also extrem gedämpft. Es ist auch nachvollziehbar, dass kein Politiker die nationale Politik ausblenden kann. Aber kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union wird diese Probleme alleine lösen können. Der Zustand der europäischen Wirtschaft zwingt zum gemeinsamen Nachdenken und Handeln. Wenn der Kurs nicht korrigiert wird, werden wir an die Wand fahren – und die Lage wird verzweifelt werden, warnt La Libre Belgique.
Ehrgeizig, aber nicht unmöglich
Europa steht mit dem Rücken zur Wand, unterstreicht L'Echo. Und Draghi hat Recht mit seinen Empfehlungen: Das Geld muss in die Hand genommen werden – nicht nur von der Privatwirtschaft, sondern auch von den Institutionen. Öffentliche Investitionen sind der beste Weg, um einen positiven Kreislauf in Gang zu setzen. Europa ist ein mächtiges Werkzeug – die Mitgliedsstaaten und damit die Bürger müssen aber auch willens sein, es einzusetzen, um sich wieder aufzurappeln, mahnt L'Echo.
Mehr Europa: So lassen sich Draghis Empfehlungen zusammenfassen, kommentiert De Tijd. Aber mehr Europa muss nicht mehr Regeln bedeuten. Im Gegenteil: Draghi fordert den Abbau von Bürokratie, die die wirtschaftliche Entwicklung bremsen kann. Wirtschaftlich betrachtet macht die Strategie, die Draghi vorschlägt, Sinn. Aber sie kollidiert mit der politischen Realität: In einer ganzen Reihe von EU-Staaten regieren nationalistische Reflexe. Aber wenn es Europa gelingen sollte, neue wirtschaftliche Impulse zu setzen, dann könnte das das Ansehen der Union in der Bevölkerung steigern. Es ist ehrgeizig, was Draghi vorschlägt – aber nicht unmöglich, urteilt De Tijd.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten – auf heute umgerechnet – etwa 200 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas, merkt Het Belang van Limburg an. Draghis Plan umfasst jährliche Investitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro. Vier Mal so viel wie damals im Marshallplan also. Wo soll dieses Geld herkommen? Eine Möglichkeit ist die Aufnahme gemeinsamer europäischer Schulden. Aber der deutsche Finanzminister hat seine Antwort schon bereitliegen: Und die lautet "Nein". Reiche Länder werden eine andere Position einnehmen als arme Länder so wie Belgien. Diese interne Spaltung ist die größte Schwäche Europas. Solange wir daran nichts ändern, werden uns die Vereinigten Staaten und China immer übertrumpfen, ist Het Belang van Limburg überzeugt.
Deutscher Panikfußball
Het Nieuwsblad blickt aus anderen Gründen nach Deutschland: Unsere Nachbarn werden wieder Grenzkontrollen einführen. Dadurch wollen sie illegale Einwanderung und Terrorismus bekämpfen. Berlin hat allerdings vergessen zu erwähnen, dass diese Entscheidung vor allem eine Wahlkampftaktik ist, eine Reaktion auf den Vormarsch der rechtsextremen AfD bei den Landtagswahlen. Was die Deutschen da jetzt betreiben, das ist nichts anderes als Panikfußball. Und Berlin droht sich damit selbst in den Fuß zu schießen – mit einer Kalaschnikow. Erstens wird eine Schließung der Grenzen der deutschen Wirtschaft schaden, der es ja ohnehin schon nicht gut geht. Die Gesetzgebung der Europäischen Union erlaubt Grenzkontrollen auch nur für begrenzte Zeiträume. Was die Terrorabwehr betrifft, wird das auch nichts bringen: Die Täter der jüngsten Anschläge haben sich innerhalb der EU radikalisiert. Menschenschmuggler werden ebenfalls immer einen Weg um die Kontrollen finden. Um die Grenzen wirklich dichtzumachen, fehlt Deutschland – so wie den anderen europäischen Ländern auch – einfach das notwendige Personal. Das unausweichliche Ergebnis wird sein, dass sich nichts ändern wird, trotz aller Anstrengungen. Das wird zu noch mehr Enttäuschung und Wut bei den Bürgern führen, prophezeit Het Nieuwsblad.
Wo soll das Alles noch hinführen?
Deutschland ist ja keine Ausnahme, scheint Gazet van Antwerpen einzuhaken: Schweden vermeldet Erfolge nach einer Verschärfung der Einwanderungspolitik. In den Niederlanden zimmert die Regierung, zu der auch die Partei von Geert Wilders gehört, ebenfalls an einer viel strengeren Migrationspolitik. Ungarn hat gerade wieder damit gedroht, Flüchtlinge in Busse nach Brüssel zu setzen. Und bei uns hat Theo Francken verpflichtende Staatsbürgerschaftsprüfungen gefordert und eine Anhebung der Gebühren für einen Antrag auf Einbürgerung von 150 auf 5.000 Euro. Wo soll das alles noch hinführen? Wie viel Platz werden humanitäre Grundprinzipien noch haben in so einer Migrationspolitik?, fragt sich Gazet van Antwerpen.
La Dernière Heure greift die Drohungen des ungarischen Premierministers Viktor Orbán auf: Orbán bedient sich mal wieder seiner Lieblingswaffen – der Angst vor Einwanderern und Provokationen der Europäischen Union gegenüber. Dazu zwei Sachen: Erstens muss sich Europa endlich auf eine strengere Migrationspolitik verständigen. Das bisherige Modell hat seine Grenzen erreicht. Zweitens muss sich Europa endlich um das Problem Viktor Orbán kümmern. Die bereits geschwächte EU kann einen Pyromanen wie Orbán, der die europäischen Regeln hämisch mit Füßen tritt und sich dabei gleichzeitig die Taschen füllt mit europäischem Geld, schlicht und ergreifend nicht länger aushalten, wettert La Dernière Heure.
Boris Schmidt