"De Wever auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht", titelt L'Echo. "De Wever hat noch Zeit bis Anfang Dezember", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Der König hat Bart De Wever gestern wieder zum Regierungsbildner ernannt. Die Krise, die durch den Streit über die geplante Steuerreform verursacht wurde, ist also erstmal beigelegt. Ursprünglich war der 20. September die Deadline. Bis dahin will die EU-Kommission nämlich eigentlich die Haushaltsfahrpläne der Defizitsünder sehen. "Belgien kann diese Frist für den Sanierungsplan nicht einhalten", notiert aber De Tijd auf Seite eins. Jetzt wurde um einen Aufschub gebeten. Diese neue Deadline läuft Anfang Dezember aus.
"Der Regierungsbildner ist tot, lang lebe der Regierungsbildner", so bringt Het Laatste Nieuws die jüngsten Entwicklungen in seinem Leitartikel auf den Punkt. De Wever ist also wieder da, doch ändert das nichts daran, dass sich die Regierungsbildung gerade in einem Fegefeuer befindet. Denn der Streit über die "Supernote" und insbesondere die Steuerreform war durchaus ein Zeichen an der Wand. Bart De Wever wurde zwar von seinen Kollegen freundlichst darum gebeten, eine neue "Supernote" auszubrüten. Die dürfte sich allerdings nicht wesentlich von dem Entwurf unterscheiden, der vor knapp zwei Wochen zum Clash geführt hat. Es gibt schlicht und einfach nicht so furchtbar viele Möglichkeiten, das Land tiefgreifenden Reformen zu unterziehen und dabei auch noch 27 Milliarden Euro zu finden. Jetzt will man zwar erstmal über nicht ganz so heikle Themen verhandeln. Doch früher oder später muss es wieder ans Eingemachte gehen.
Heilsame Krise?
Die neue "Supernote" wird wohl ziemlich genauso aussehen wie die alte, glaubt auch Het Belang van Limburg. Reformen, die diesen Namen verdienen, die müssen eben wehtun. Und sie sind dringend nötig, weil unser Steuersystem, unsere Pensionen und unser Arbeitsmarkt Webfehler enthalten, die wir schon seit einer halben Ewigkeit mitschleppen. Es mag verständlich sein, dass man diese Mammutaufgabe erst nach den Kommunalwahlen angehen will. Einfach den Kopf in den Sand zu stecken, wie es die Vorgängerregierungen gemacht haben, das ist jetzt aber keine Option mehr.
Ein Scheitern ist jetzt jedenfalls nicht mehr erlaubt, ist Gazet van Antwerpen überzeugt. De Wevers zweiter Versuch muss jetzt gelingen, ein Rücktritt ist jetzt keine Option mehr. Vielleicht war die Krise, die MR-Chef Georges-Louis Bouchez heraufbeschworen hat, am Ende sogar heilsam. Der Clash zwischen der MR und Vooruit war gewissermaßen vorprogrammiert, da beide Parteien am weitesten voneinander entfernt sind. Dann lieber auch gleich. Die fünf Arizona-Partner haben jetzt schon einmal mit dem Rücken zur Wand gestanden und haben sich dabei noch einmal vor Augen führen können, wie wenig attraktiv die möglichen Alternativen sind. Und Bouchez dürfte jetzt gemerkt haben, wie es sich anfühlt, wenn ihm seine Winkelzüge in der Hand explodieren.
"Zu unerfahren, zu tollpatschig, zu unsichtbar"
De Tijd bescheinigt der Arizona-Koalition ihrerseits doch einen "Fehlstart". Die Krise an sich mag ja noch vergleichsweise schnell beigelegt worden sein. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass man in den nächsten Wochen dann doch eine Menge Zeit verlieren wird. Klar: Mit ein bisschen gutem Willen kann man dafür noch Verständnis aufbringen; das Timing der Kommunalwahlen ist tatsächlich unglücklich.
Das Verständnis hört aber auf, wenn man sich die erste wirkliche Entscheidung der künftigen Arizona-Koalition anschaut: Hadja Lahbib als die neue belgische EU-Kommissarin zu nominieren, das war dann doch ein erster, deutlich hörbarer Misston. Angefangen damit, dass die MR mit ihrer Entscheidung viel zu lange gewartet hat. Belgien war das letzte EU-Land, das seine Kandidatin nominiert hat. Das ist der beste Weg, um international Einfluss zu verlieren.
Aber auch die Personalie an sich sorgt nicht für Beifallsstürme. "Hadja Lahbib überzeugt längst nicht jeden", notiert auch L'Echo auf Seite eins. "Die Entscheidung für Lahbib ist erstmal merkwürdig und außerdem noch dubios", urteilt De Morgen in seinem Kommentar.
Die ehemalige Journalistin ist eine Quereinsteigerin. Erst vor zwei Jahren katapultierte sie ihr Parteichef Georges-Louis Bouchez auf den prestigeträchtigen Außenministerposten. Das war keine glückliche Geschichte: zu unerfahren, zu tollpatschig, zu unsichtbar, Hadja Lahbib war eine schwache Außenministerin. Und sie leistete sich einige peinliche Ausrutscher, man denke nur an die Visagate-Affäre. Und jetzt wird dieselbe Frau, die als Außenministerin ein Fehlgriff war, auch noch befördert, und das in die noch wichtigere EU-Kommission. Da haben wohl allein taktische Erwägungen oder persönliche Präferenzen eine Rolle gespielt. Die Entscheidung von Georges-Louis Bouchez ist ein Paradebeispiel für Partikratie.
Als Amuse-Gueule verspeist
Georges-Louis Bouchez scheint inzwischen sein Image als "Meister der Überraschungscoups" zu pflegen, meint L'Avenir. Seine Inszenierungen erinnern allerdings häufig an Sitcoms oder Soap Operas. Zuweilen wirkt das Ganze auch irrational. Im Grunde also reine Machtpolitik.
Het Nieuwsblad ist noch schärfer. Die Nominierung von Hadja Lahbib, das ist der neue Belgier-Witz, über den ganz Europa lacht. Null politische Erfahrung, null geopolitischen Durchblick, ein politisches Leichtgewicht. In der EU gibt es Politiker, die Figuren wie Hadja Lahbib auf einen Cracker legen und als Amuse-Gueule verspeisen, bevor man dann mit der eigentlichen Arbeit beginnt. Ein solches Maß an Parteiklüngel haben wir schon Jahre nicht mehr gesehen. Der belgische Einfluss auf EU-Entscheidung wird damit regelrecht demoliert.
Aber noch ist nicht alles verloren. Lahbib muss noch vor den EU-Abgeordneten ihre "Aufnahmeprüfung" ablegen. Dann kann Bouchez ihr nicht mehr helfen. Wenn sie im Parlament patzt, dann wäre das im Interesse des Landes.
Roger Pint