"Erstes Gespräch an einem geheimen Ort", titelt Het Laatste Nieuws. Zu sehen sind der flämische N-VA-Regierungsbildner Matthias Diependaele, die Vooruit-Vorsitzende Melissa Depraetere und der CD&V-Präsident Sammy Mahdi. Die drei führen ja Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen flämischen Regierung. Auf der föderalen Ebene ist man noch nicht so weit, da muss Informator Bart De Wever die Parteien noch an einen Tisch bringen.
Het Laatste Nieuws appelliert aber an die drei Parteien, diesmal deutlichere Prioritäten zu setzen. "Muss ein flämisches Regierungsabkommen zwingend 200 Seiten umfassen?", fragt sich das Blatt. Die scheidende Regierung hatte bei ihren Koalitionsverhandlungen vor fünf Jahren alles, wirklich alles aufgedröselt. Es war ein endlos langer Katalog an Maßnahmen für jeden einzelnen Sektor, jede noch so kleine Interessengruppe, jedes Mikroproblem in der Gesellschaft. Zwar ist es grundsätzlich nicht falsch, die Dinge möglichst im Vorfeld auszudiskutieren, um zukünftige Streitigkeiten im Keim zu ersticken. Dennoch stimuliert ein derart detailliertes Regierungsabkommen letztlich Mittelmaß, denn wenn alles zur Priorität wird, dann ist nichts mehr prioritär, dann ertrinken dringend nötigere Reformen in der minutiösen Ausformulierung ihrer Teilaspekte. Um es mal so auszudrücken: Man sollte besser Steine verlegen an großen Bauwerken, statt drei Kiesel in jede Gasse.
Bürgermeister schlagen Alarm
La Libre Belgique scheint da irgendwie das entgegengesetzte Plädoyer zu halten. Man sollte sich vor den Fallen hüten, in die die Vivaldi-Koalition seinerzeit getappt ist. Weil es schnell gehen musste, waren einzelne Kapitel des Regierungsabkommens allzu vage formuliert. Im Zusammenhang mit den großen Reformen, die man anstreben wollte, gab es oft zu großen Interpretationsspielraum. Und das hat letztlich dazu geführt, dass die Vorhaben im Sande verlaufen sind, dass auf zu vielen Baustellen zu wenig passiert ist. Deswegen sollten sich die Verhandlungsführer Zeit nehmen, genauer gesagt: so viel Zeit wie nötig. Nur so kann man künftige Zerwürfnisse vermeiden. Und wenn dafür die Regierung erst ein paar Wochen später eingesetzt werden kann, dann ist das eben so. Der Preis ist es wert.
Apropos Regierungsbildungen: Le Soir plädiert mit Nachdruck dafür, dass man die Gemeinden nicht vergisst. Oft genug werden die Kosten an die Kommunen quasi durchgereicht, führen Entscheidungen auf übergeordneten Ebenen zu erheblichen Mehrbelastungen. Und das ist erst der Anfang, man denke nur an die astronomischen Beträge, die für die Pensionen der kommunalen Beamten fällig werden. Viele Bürgermeister ziehen schon seit Jahren an der Alarmglocke. Kurz gesagt: Die Zukunft der Gemeinden entscheidet sich nicht ausschließlich am kommenden 13. Oktober. Viel wird auch von den Plänen und Ambitionen der regionalen und föderalen Regierungsmehrheiten abhängen, die wirklich aufpassen müssen, dass sie die Kommunen nicht überfordern.
EU als Sündenbock par excellence
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass auf allen Ebenen gespart werden muss, mahnt La Dernière Heure. Vor allem die öffentlichen Ausgaben müssen heruntergeschraubt werden, das Mammut muss abspecken. Zumindest muss das Ganze effizienter werden. Und das ist keine bloße Selbstverpflichtung, vielmehr werden wir von der EU dazu verdonnert. Die Kommission hat ja gerade ein Strafverfahren gegen Belgien eingeleitet wegen der zu hohen Neuverschuldung. Und machen wir uns nichts weis: Auf diesem Altar werden wohl die meisten Wahlversprechen geopfert werden müssen, insbesondere die der MR, denn die waren laut Planbüro die teuersten.
Eine schlechte kann aber auch eine gute Neuigkeit sein, meint sinngemäß De Standaard. Klar, dass Belgien jetzt auf der Strafbank der EU-Kommission gelandet ist, das ist erstmal beschämend. Das hat aber zugleich einen großen Vorteil: Jede Regierung kann sich immer genau darauf berufen. Mit anderen Worten: Immer, wenn die Sparmaßnahmen wehtun, kann man die EU zum Sündenbock stempeln. Das hat schon 1993 funktioniert, als die damalige Regierung Dehaene dem Land ihren Globalplan aufs Auge drückte. Damals war die Haushaltssanierung nötig, um sich die Eintrittskarte für den Euro zu sichern. Zugegeben, das waren andere Zeiten mit weniger Parteien, weniger populistischem Druck, mit mehr Hinterzimmer-Vereinbarungen und mehr politischem Mut. Dennoch wird das in jedem Fall dafür sorgen, dass sich die künftige Regierung auf das Wesentliche konzentriert.
Privatsphäre schmilzt wie ein Gletscher
De Morgen beschäftigt sich seinerseits mit den Aktivitäten der noch amtierenden Regierung. Bis zum Ende des Monats hat Belgien ja noch die EU-Ratspräsidentschaft inne. Und manchmal ist die beste Entscheidung diejenige, die nicht zustande gekommen ist, meint das Blatt. Gestern wurde nämlich auf Diplomatenebene ein Vorschlag vom Tisch gefegt, der auf die Kontrolle von digitaler Kommunikation abzielte. Konkret: Bilder, die über Dienste wie WhatsApp oder Snapchat ausgetauscht werden, sollten systematisch überprüft werden. Auf diese Weise wollte man die Verbreitung insbesondere von Kindesmissbrauchsdarstellungen verhindert werden. Dieses unter dem Schlagwort "chat control" bekannte Vorhaben ist ein demokratischer Skandal und eine große Bedrohung für den Schutz des Privatlebens. An diesen Plänen ist alles falsch. Die Ziele mögen lauter sein. Aber wie heißt es so schön: Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Und es ist unbegreiflich, dass ausgerechnet das liberale Belgien mit seinem liberalen Noch-Premier versucht hat, ein solches Vorhaben auf der EU-Ebene durchzubringen. Die Privatsphäre ist wie ein Gletscher: Sie schmilzt jeden Tag ein bisschen ab, ohne dass es den Menschen auffällt. Bis irgendwann alles weg ist.
Roger Pint