"MR ist die frankophone Nummer eins, Ecolo im freien Fall", titelt Le Soir. "Zwei Wochen vor den Wahlen: So sieht es zurzeit aus", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Die beiden Zeitungen veröffentlichen heute ihr neuestes Politbarometer. In ihren Leitartikeln werten sie die Ergebnisse mit Blick auf die Wahlen am 9. Juni aus.
Le Soir weist darauf hin: 30 Prozent der Wähler geben an, noch nicht zu wissen, wen sie wählen werden. Für die Europawahlen sind es sogar 35 Prozent. Vor diesem Hintergrund werden alle Vorhersagen zu einem möglichen Wahlausgang sehr unsicher. Wird es wirklich so kommen, wie die Umfrage es heute zeigt? Demnach würde es in Flandern auf einen Sieg der Rechtsextremen hinauslaufen. Die Rückkehr von Conner Rousseau scheint den Sozialisten nochmal einen Schub zu verleihen. Die guten Werte der PVDA zeigen, dass es auch in Flandern bekennende Linke gibt. Im frankophonen Landesteil könnte die MR stärkste Partei in der Wallonie und in Brüssel werden. Les Engagés würden triumphieren, die PTB würde sich behaupten, Ecolo einbrechen. Aber bei all dem gilt - wie gesagt: Noch ist längst nichts entschieden, unterstreicht Le Soir.
Von Sprüngen und Träumen
Het Laatste Nieuws stellt fest: Die Wallonie ist weniger links, als wir dachten. Die Mitte-Rechtsparteien kommen in der aktuellen Umfrage auf 40 Prozent. Die MR ist in der Wallonie auf gleicher Höhe mit der PS und in Brüssel ist die MR klar die Nummer eins. Erstaunlich ist aber auch der Aufschwung der ehemaligen CDH, die sich heute "Les Engagés" nennt. Von 10,7 Prozent der vergangenen Wahlen sind sie jetzt auf 18,1 Prozent gesprungen. Ein Wert, von dem die flämische Schwesterpartei CD&V nur träumen kann. Und allgemein gilt die Feststellung: Während die Mitte-Rechtsparteien in der Wallonie Erfolge verbuchen, kommt Mitte-Rechts in Flandern nicht aus seinem Tief heraus, vergleicht Het Laatste Nieuws.
La Dernière Heure notiert: Der Vlaams Belang wird also stärkste Kraft in Flandern werden und sein Rekordergebnis einfahren. Aber auch, wenn die braune Flut steigt - noch halten die Dämme. Der Vlaams Belang wird nicht regieren. Weder auf föderalem Niveau noch in Flandern. Dort hat N-VA-Chef Bart De Wever jetzt endlich die Tür für Tom Van Grieken geschlossen. Mit Blick auf das Programm des Vlaams Belang kann man sich darüber nur freuen. Aber man darf auch nicht die rund eine Million Menschen vergessen, die den Vlaams Belang wählen. Nicht alle kann man pauschal als Faschisten bezeichnen. Viele wählen den Vlaams Belang auch aus Wut oder Angst. Diese Menschen hängen nicht auf ewig an den Rechtsextremen. Um diese Menschen sollten sich die anderen Parteien kümmern, rät La Dernière Heure.
Ideologischer Hardliner
Auch De Standaard atmet auf: Endlich hat Bart De Wever jetzt für Klarheit gesorgt. Seine N-VA wird nicht mit dem Vlaams Belang zusammenarbeiten. Der Sieg, der dem Vlaams Belang bei den Wahlen vorausgesagt wird, wird gleichzeitig auch eine Niederlage sein. Und das ist gut. Denn hinter dem Vlaams Belang steht mit Tom Vandendriessche ein ideologischer Hardliner, mit dem nicht zu spaßen ist, weiß De Standaard.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd kommentiert zur Warnung von 400 Unternehmern vor einer neuen Reichensteuer, die von mehreren Parteien in ihren Wahlprogrammen gefordert wird: Die Politik sollte die Warnung dieser Unternehmer ernst nehmen. Diese scheinbar einfachste Möglichkeit, um schnell an Geld zu kommen, ist auch die gefährlichste. Denn damit riskiert man, dass die Reichen Belgien verlassen. Ihr Geld wird dann nicht mehr hier für das kreative Wachsen der Wirtschaft und private Initiativen eingesetzt, von denen nicht selten auch die breite Öffentlichkeit profitiert. In den meisten Ländern Europas, wo eine Reichensteuer eingeführt wurde, ist sie inzwischen wieder zurückgenommen worden, weil sie unerwartete, negative Nebeneffekte ausgelöst hat. Außerdem gibt es in Belgien bereits allerlei Formen der Kapitalbesteuerung. Eine Reichensteuer ist eine falsche gute Idee, urteilt De Tijd.
Gewaltspirale durchbrechen
Das GrenzEcho kommentiert zur Aufforderung des Internationalen Gerichtshofs an Israel, seine Militäraktionen gegen die Stadt Rafah im Gazastreifen sofort zu beenden: Der Ton zwischen der Weltgemeinschaft und der israelischen Regierung wird rauer. Aber man muss sich auch nichts vormachen. Die aktuellen Entwicklungen sind - zugegeben starke - symbolische Maßnahmen, die den Druck hauptsächlich auf Israels Schutzmächte, zuvorderst die USA und Deutschland, erhöhen. Das vorrangige Minimalziel weiter Teile der Weltgemeinschaft ist es, die Gewaltspirale zu durchbrechen und das tagtägliche Blutvergießen auf absehbare Zeit zu stoppen. Dafür bedarf es massiven Drucks auf beide Seiten, kluger Symbolpolitik und des Mutes, Unrecht als solches zu benennen – ohne Denkverbote, betont das GrenzEcho.
L’Avenir erinnert: Israel ist nicht dazu verpflichtet, den Aufruf nach einem sofortigen Stopp der Militäraktion auch nachzukommen. Aber politisch wäre es selbstmörderisch, wenn die Regierung Netanjahu das Urteil des UN-Gerichts nicht beachten würde, glaubt L’Avenir.