Frankreich unter Schock nach Befreiungsaktion 'La Mouche'", titelt De Standaard. "Zwei Gefängniswärter erschossen, um einen Gefangenen zu befreien", heißt es gleichlautend bei Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad auf Seite eins. Bei einem bewaffneten Überfall auf einen Gefangenentransport hatten gestern Unbekannte in Nordfrankreich einen verurteilten Drogenhändler befreit. Dabei wurden zwei Gefängniswärter erschossen, drei weitere schwer verletzt. In den Leitartikeln der Zeitungen geht es allerdings um andere Themen.
Le Soir kommentiert neue Erkenntnisse zum Leben von Drogenhändlern in Dubai, die in Belgien juristisch verfolgt werden. Dass diese Drogenbarone in Dubai ein ruhiges Leben führen können, war uns bekannt, führt die Zeitung aus. Dass sie dort aber auch aktiv im Immobilienhandel tätig sind und damit viel Geld erwirtschaften, das ist ein neues Detail. Ein Detail, das noch einmal die Dringlichkeit vor Augen führt, mit den Regierungen von Ländern wie Dubai, aber auch Marokko oder der Türkei noch enger zusammenzuarbeiten, um die Auslieferung solcher Drogenhändler zu erwirken. Diese Bemühungen dürfen wegen der Wahlen in Belgien nicht vernachlässigt werden. Denn während sich unsere Politiker im Wahlkampfmodus befinden, läuft der Drogenhandel in Belgien weiter. Fast täglich bekommen wir das durch neue Gewalttaten in Antwerpen und Brüssel zu spüren, beklagt Le Soir.
"Schweizer Messer" mit zu wenig Funktionen
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schreibt zur digitalen Brieftasche, die seit gestern per Applikation zur Verfügung steht: Diese digitale Brieftasche sollte das digitale Schweizer Messer der belgischen Bürger werden. Leider ist die Ausstattung dieses Schweizer Messers noch ziemlich beschränkt. Es gibt zu wenig Möglichkeiten, das Messer zu benutzen, weil man bislang nur wenige Dokumente auf der App speichern kann. Dadurch wird man die Massen nicht begeistern. Das ist zum einen enttäuschend, weil das Produkt seiner Zeit voraus ist. Belgien ist eins der ersten europäischen Länder, das seinen Bürgern eine kostenlose digitale Brieftasche zur Verfügung stellt. Zum anderen ist das enttäuschend, weil es einen Schatten auf unsere Fähigkeit wirft, neue technologische Hilfsmittel auf der Höhe ihrer Zeit für alle zu entwickeln. Denn darin ist Belgien im Grunde exzellent, weiß L'Echo.
Gazet van Antwerpen erinnert: Vor zehn Jahren ist Jean-Luc Dehaene gestorben. Er war der letzte Premierminister unseres Landes, der den Bürgern noch wehtun durfte. Er setzte harte Reformen durch, unter anderem weitreichende Steuererhöhungen – und das sogar zusammen mit den Sozialisten. Heute suchen wir vergeblich nach einem Politiker vom Kaliber eines Dehaene. Aber würde Dehaene heute die Lösung sein? Wir werden es nie wissen. Und man muss auch bedenken: Die Zeiten haben sich geändert. Das Belgien der 1990er Jahre ist nicht mehr das Belgien der Gegenwart, resümiert Gazet van Antwerpen.
Funke vom ESC zündet nicht überall
Zu den anstehenden Europawahlen beobachtet Het Laatste Nieuws: Es ist schon bemerkenswert, wie wenig bei uns über diese Europawahl gesprochen wird und wie gleichzeitig ein Ereignis wie der Eurovision Song Contest so viele Emotionen freisetzt und Diskussionen auslöst. Das zeigt, dass Europa und damit Anliegen aus dem Ausland eigentlich viel Potential hätten, damit wir uns damit beschäftigen. Von der Ukraine über den Israel-Gaza-Konflikt bis hin zur besseren Kontrolle der Einwanderung: Die Themen sind da. Aber unser Interesse an der Europapolitik ist dadurch nicht gestiegen, wundert sich Het Laatste Nieuws.
De Morgen berichtet von einem Gastbeitrag des flämischen Ministerpräsidenten Jan Jambon auf der Nachrichtenplattform Politico und fasst zusammen: Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ruft Jambon zur Unterstützung der Ukraine auf. Dort gehe es darum, die "europäische Kultur und Identität zu verteidigen". Was genau er damit meint, verdeutlicht er nicht. Und das ist zu bedauern. Denn Hilfe und Unterstützung bekommt die Ukraine bereits seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Zurzeit muss die Diskussion doch darum gehen, wie diese Hilfe konkret verstärkt werden kann! Länder wie Estland fordern ein direktes Eingreifen in den Konflikt. Auch wenn das natürlich sehr gefährlich ist, sollten solche oder ähnliche Diskussionen jetzt geführt werden. Leere Worthülsen à la Jambon helfen der Ukraine dagegen nicht, meint De Morgen.
Sieben Jahre danach…
La Libre Belgique bemerkt zur Eröffnung des internationalen Filmfestivals in Cannes: Im Vorfeld der Eröffnung hat die Debatte um #MeToo Frankreich und damit die Filmwelt wieder in ihren Griff bekommen. Sieben Jahre nach der Affäre Weinstein in den USA sorgt #MeToo immer noch für Wirbel in Frankreich und Belgien. Und das, obwohl viele Frauen – aber auch Männer – mittlerweile über Missbrauch von Machtpositionen in ihrer Branche berichtet haben. Das zeigt, wie tief das Übel sitzt. Patentlösungen dagegen gibt es nicht. Aber klar ist, dass sich die Welt dank #MeToo geändert hat und die Kinowelt zum Glück nie mehr das sein wird, was sie einmal war, hält La Libre Belgique fest.
Kay Wagner