"Fünf Verdächtige wurden festgenommen wegen Mordes mit einem Kanalgitter", titelt Het Laatste Nieuws. "Jugendliche hatten vorher auch schon mal ein Kanalgitter auf einen LKW geworfen", schreiben Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen auf Seite eins.
Am Samstagmorgen hatten Unbekannte ein gusseisernes Kanalgitter von einer Brücke auf die Autobahn E42 geworfen. Der Schachtdeckel durchschlug die Windschutzscheibe eines LKW und tötete den rumänischen Fahrer. Gestern wurden fünf Tatverdächtige festgenommen. Dabei handelt es sich um fünf Teenager aus Andenne, zwei von ihnen sind noch minderjährig. Offenbar haben sie ihren Anschlag regelrecht geprobt, denn zwei Tage vor dem Mord an dem rumänischen LKW-Fahrer hatte es schon einen vergleichbaren Vorfall gegeben. Dabei war aber niemand verletzt worden.
"Augenmaß und größtmögliche Präzision" werden erwartet
"Die Studentenproteste weiten sich aus", notiert derweil Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Gestern haben pro-palästinensische Studierende ja auch Gebäude der Uni Löwen besetzt. Auch einige Professoren und Dozenten haben sich mit den Aktivisten solidarisch gezeigt und unterstützen deren Forderungen.
"Gerade der Lehrkörper sollte sich da aber in Nuance üben", mahnt Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Vor allem mit dem Begriff "Völkermord" sollte man vorsichtig umgehen. Mal abgesehen davon, dass man hier die Rolle der Hamas ausblendet: Wenn die Aktivisten von einem "Genozid" sprechen, dann sind sie also der Ansicht, dass Israel es nicht nur auf Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Hamas abgesehen hat, sondern auch die Palästinenser - ganz oder zum Teil - ausrotten will. Das ist - gleich, wie man es dreht - immer eine unerträgliche Diskussion, denn selbst, wenn man zu dem Schluss kommt, dass es sich nicht um Völkermord handelt, liegen da immer noch die tausenden getöteten Kinder in der Waagschale. Aber um doch nochmal auf die Frage zurückzukommen: Es gibt mit Sicherheit Politiker in Israel, die genozidale Absichten haben. So, wie es im palästinensischen Lager erwiesenermaßen Leute gibt, die Israel das Existenzrecht absprechen und alle Juden aus dem Land vertreiben wollen. Das nur, um zu sagen: Es gibt keine komplexere Debatte als die um die Palästinenser-Frage. Entsprechend wird man von Akademikern hier wohl das nötige Augenmaß und auch größtmögliche Präzision erwarten dürfen.
Der eigentliche Gewinner des ESC ist … Joost Klein
Einige Leitartikler beschäftigen sich derweil immer noch mit dem ESC. Und in Flandern sorgt nach wie vor die Disqualifikation des niederländischen Kandidaten Joost Klein für Diskussionsstoff. Und das ist bedauerlich, beklagt Het Nieuwsblad sinngemäß in seinem Leitartikel. Durch das Theater um Joost Klein wurde nämlich die Diskussion in den Schatten gestellt, um die es wirklich gehen musste, nämlich die über die Teilnahme Israels. Das eigentlich Schlimme ist: Joost Klein wird zum Helden verklärt, obgleich immer noch niemand weiß, was genau zu seinem Ausschluss geführt hat. Nicht vergessen: Joost Klein ist für seine Provokationen bekannt, er lebt bis zu einem gewissen Maß davon. Und jetzt erst recht, denn der eigentliche Gewinner des ESC, das ist Joost Klein. Das sind Zeichen der Zeit: Viel zu schnell, oft voreilig, wird sich für ein Lager entschieden. Die Tatsachen abwarten, um fundiert urteilen - manchmal dann auch verurteilen - zu können, das tun wir nicht mehr.
Selbst ein Televoting wird jetzt instrumentalisiert
De Morgen beschäftigt sich mit der Tatsache, dass Israel vom belgischen Publikum mit Abstand die meisten Punkte bekommen hat. Politiker wie Theo Francken oder auch der rechtsextreme Vlaams Belang wollen das gleich zum politischen Signal verklären: Die schweigende Mehrheit habe gesprochen und die von der Vivaldi an den Tag gelegte Solidarität mit den Palästinensern auf den Boden der Realität zurückgebracht, hört man da. Jetzt wird also auch schon ein Televoting politisch instrumentalisiert. Sehr wissenschaftlich fundiert ist das nicht. Jeder weiß, dass rechtsextreme Parteien im Übrigen in ganz Europa ihre Sympathisanten dazu aufgerufen hatten, in Scharen für Israel zu stimmen. Und auch die israelischen Botschaften hatten für Eden Golan getrommelt. Das soll nicht heißen, dass es nicht tatsächlich eine starke pro-israelische Unterströmung innerhalb der Bevölkerung gibt. Zu behaupten, dass hier neue politische Tatsachen geschaffen wurden, das ist aber auch zu hoch gegriffen.
"Steigende Geburtenzahlen stärken die Nation"
Apropos Vlaams Belang. Het Belang van Limburg befasst sich mit einem ganz besonderen Programmpunkt der flämischen Rechtsextremisten. Demnach will man die Geburtenprämie verdoppeln für alle Frauen, die vor ihrem 30. Geburtstag ein Kind zur Welt bringen. Mal ganz davon abgesehen, dass das eine klare Diskriminierung auf der Grundlage des Alters wäre: Eine solche Maßnahme entspricht eins zu eins der rechtsextremistischen Logik. Der Belang schreibt es selbst: "Steigende Geburtenzahlen stärken die Nation", heißt es da. Und das sei auch nötig, um dem größten Problem zu Leibe zu rücken, nämlich der Migration. Unterschwellig geht es hier also um die rechtsradikale Verschwörungserzählung über eine angeblich geplante "Umvolkung". Mit Frauenrechten hat dieses "Gebären für die Nation" definitiv nichts zu tun.
Deutschland wieder der kranke Mann Europas?
Le Soir schließlich wirft einen besorgten Blick auf die benachbarte Bundesrepublik. "Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas", glaubt das Blatt. Eine Zahl sagt alles: Seit 2019 liegt das deutsche Wachstum beständig unter dem belgischen. Und das Problem ist nicht konjunktureller, sondern struktureller Natur. Um mal in einem Satz zusammenzufassen: Deutschland leidet unter akutem Selbstzweifel. Das Land tut sich schwer damit, sich auf die veränderte Weltlage einzustellen: Das Verhältnis zu Russland und auch zu China hat sich radikal geändert. Hinzu kommt dann noch die Obsession für die ominöse "Schwarze Null", die öffentlichen Investitionen hemmt. Die deutsche Gesellschaft wird beweisen müssen, dass sie dazu in der Lage ist, sich neu zu erfinden. Denn wenn der Motor der deutschen Wachstumslokomotive dauerhaft streikt, dann hat das Auswirkungen auf ganz Europa, vor allem auf uns.
Roger Pint