In diesem Zusammenhang hat der frühere königliche Vermittler Johan Vande Lanotte jetzt einen bemerkenswerten Vorschlag zur Zukunft des Landes gemacht. Einige Zeitungen schließlich befassen sich mit dem Zustand der belgischen Banken, die ja so belgisch nicht mehr sind.
"Belgien feiert den Weltrekord" titelt heute De Morgen. L'Echo spricht auf Seite 1 von der "Frittenrevolution in den Straßen". "Spalten? Nicht in unserem Namen!", zitiert Gazet van Antwerpen das Leitmotiv der jungen Demonstranten. Und Het Nieuwsblad stellt auf seiner Titelseite fest: "Die Welt staunt über die belgischen Rekordfeierlichkeiten".
Frittenrevolution
Die Zeitung Le Soir hat zwischen 15.000 und 20.000 Studenten gezählt, die gestern in den großen Universitätsstädten des Landes den wenig schmeichelhaften belgischen Weltrekord auf ihre Weise begangen haben. Hochburg war Gent, wo die Idee der Frittenrevolution ursprünglich geboren wurde. Dort haben die Studenten wirklich alle Register gezogen, wie man auf den Titelseiten einiger Zeitungen sehen kann: Einige Dutzend Studenten legten aus Protest gegen die anhaltende politische Krise auf offener Straße einen Striptease hin. Außerdem übereichte eine angeblich irakische Delegation den Belgiern den Wanderpokal der längsten Regierungsbildung.
Nicht alle finden das lustig. De Standaard zitiert den amtierenden Premier Yves Leterme auf seiner Titelseite mit den Worten: "Den unrühmlichen Weltrekord derart hochzuhängen, das ist schlecht für das Image des Landes."
Besagtes Ausland reagiert mehr oder weniger verdattert auf die Art und Weise, wie die Belgier mit ihrer Krise umgehen. CNN, BBC, ARD und ZDF und sogar Al Jazira hatten ihre Korrespondenten nach Gent und Brüssel geschickt, wie unter anderem Het Nieuwsblad bemerkt. Die meisten von ihnen kabelten ein Fazit in ihrer Zentralredaktionen, das Het Laatste Nieuws in seiner Schlagzeile auf den Punkt bringt: "So etwas geht wirklich nur in Belgien."
Typisch belgisch?! - Diagnosen
La Libre Belgique hat dazu einen Psychologen befragt. Dessen Diagnose: Für Studenten, die über Erasmus-Programme andere Kulturen kennenlernen, ist die belgische Selbstzerfleischung unerträglich.
Letztlich haben die Studenten recht, meint L'Avenir in seinem Kommentar. So ernst die Lage auch sein mag: Die Grenzen zwischen Realität und Farce verschwimmen. Und am Ende kann man über das ganze Theater wirklich nur noch lachen.
Immerhin lässt das Ganze die Studenten nicht kalt, meint auch Het Nieuwsblad. Ihr spielerischer Protest darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage ernst ist. Die Sondierungsmission von Didier Reynders steht unter einem schlechten Stern. Neuwahlen sind vielleicht noch nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich.
Das glaubt auch das Grenz-Echo. Und aus diesen Wahlen würde dann die N-VA wohl noch gestärkt hervorgehen. Und dann könnte auch niemand mehr behaupten, der Durchschnittsflame denke nicht so radikal wie die N-VA. Fühlt sich die N-VA einmal wirklich legitimiert, dann ist alles möglich, auch eine flämische Unabhängigkeit.
Vande Lanotte und sein Belgien zu viert
In der Zwischenzeit hat sich Johan Vande Lanotte zurückgemeldet. Der SP.A Politiker hatte ja bis Mitte Januar während 99 Tagen versucht, die Verhandlungen über eine neue Staatsreform wieder anzustoßen. Gestern hatte er seinen ersten Auftritt nach seinem Ausscheiden, einen Gastvortrag an der Uni Gent. Dabei formulierte er seine Vision eines künftigen belgischen Staates. Le Soir fasst die Botschaft auf seiner Titelseite zusammen: eine belgische Union mit vier Teilstaaten, Flandern, die Wallonie, Brüssel und die DG.
Die Reaktionen sind gespalten. L'Avenir zitiert den renommierten Politologen, Pierre Vercauteren, der die Vande Lanotte-These für extrem konföderalistisch hält: Die besagte "belgische Union" wäre nichts anderes als eine leere Hülle.
Einige flämische Leitartikler halten das dagegen für eine gute Idee. Das Resultat wäre ein deutlich transparenteres Staatsgefüge, meint etwa De Morgen. Ob das Ganze aber letztlich auch effizienter würde, ist fraglich. Na ja, wenn wir damit endlich aus der gemeinschaftspolitischen Misere herauskämen: Warum nicht?
Bleibt nur eine Frage, die sich im übrige auch Gazet van Antwerpen stellt: Warum kommt Vande Lanotte erst jetzt mit seiner Idee und nicht, als er noch Vermittler war?
Ganz einfach, meint De Standaard, es gab den Vermittler Vande Lanotte - und es gibt den Professor. Vande Lanotte hat das fein säuberlich getrennt. Sein "Belgien zu viert" ist jedenfalls ein durchaus kreativer Denkrahmen. Brüssel und die DG müssten aber gegebenenfalls ein etwas anderes Statut bekommen als die beiden anderen. In jedem Fall muss man wissen: Die Vande Lanotte-These ist nichts für morgen, es ist eine langfristige Vision.
Banken mit astronomischem Gewinn
In diesen Tagen legen unterdessen die großen Banken ihre Jahresbilanz 2010 vor. Und die fällt für die in Belgien aktive Geldhäuser jeweils recht positiv aus. BNP Paribas etwa verbuchte einen Gewinn von 7,8 Milliarden Euro, wie etwa La Libre Belgique hervorhebt. Nicht unerheblich dazu beigetragen hat die belgische Filiale, die einstige Fortis, wie La Libre Belgique und auch Le Soir in ihren Leitartikeln unterstreichen. Hier muss man aufpassen, dass die Belgier am Ende nicht zweimal die Zeche zahlen, warnt Le Soir: einmal für die Bankenrettung und einmal, indirekt, wegen der niedrigen Zinsen auf Sparguthaben. Hier ist der Staat gefragt, um die Interessen seiner Bürger zu schützen.
Die ehemalige Fortis ist ja nur der sichtbarste Teil des Eisbergs, notiert auch L'Echo. Fast alle großen Banken und Versicherungen verfügen in Belgien über äußerst gewinnbringende Filialen. Meist sind es Traditionshäuser wie die BBL oder Royal Belge, die irgendwann ins Ausland verkauft wurden. Darüber zu weinen macht keinen Sinn, die Zeit zurückdrehen kann man nicht. Hauptsache, die Fortis oder die BBL haben jetzt ihren Frieden gefunden.
Bild: Nicolas Maeterlinck