"Chaos in Malmö", titelt Het Belang van Limburg. "Songfestival in der Krise", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Grand Prix vor einem Scherbenhaufen", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Auf vielen Titelseiten sieht man heute Fotos von Nemo, der am Samstag für die Schweiz den ESC gewonnen hat. Das Festival ist ja in diesem Jahr im Chaos versunken. Wütende Proteste vor der Halle, Buhrufe im Saal – das alles wegen der Teilnahme Israels. Und dann noch die Verwirrung um den Ausschluss des niederländischen Kandidaten Joost Klein. Das Festival hat in diesem Jahr nur Negativschlagzeilen produziert. "Hat die Schweiz den letzten ESC gewonnen, so wie wir den Wettbewerb bislang kannten?", fragt sich denn auch De Morgen auf seiner Titelseite.
"Die Zukunft des ESC ist ernsthaft bedroht", meint Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Und das aus drei Gründen. Erstens: Das Ergebnis ist unehrlich. Der niederländische Kandidat hatte im Halbfinale 50 Punkte mehr erzielt als der spätere Sieger Nemo. Die Disqualifizierung von Joost Klein, deren genaue Hintergründe immer noch unklar sind, hat das Ergebnis zweifelsohne verfälscht. Zweitens: Die europäische Rundfunkunion EBU hat sich aufgeführt wie das Regime in Nordkorea. Buhrufe wurden etwa schamlos weggefiltert. Und drittens: Aller gegenteiligen Bekundungen zum Trotz war der diesjährige ESC durchaus politisch. Es ist schlichtweg unbegreiflich, dass man Israel hat teilnehmen lassen. Die EBU sollte jetzt sehr schnell mal in sich gehen.
Der ESC war definitiv zu politisch, findet auch L'Avenir. Nur ein Beispiel: Die israelische Sängerin Eden Golan musste gleich dreimal den Text ihres Lieds umschreiben, weil ihn die Organisatoren als unangemessen erachtet hatten. Und dann noch die Verwirrung um Joost Klein. Von dem gewünschten Bild eines geeinten und befriedeten Europas waren wir diesmal Lichtjahre entfernt.
Führt das "Euroschwanengesangfestival" zu einem Weckruf?
Es ist wirklich zynisch, dass ein Festival der Offenheit und der Toleranz am Ende orchestriert werden musste wie eine Militärparade in einer gemeinen Diktatur, beklagt auch De Morgen. Für viele Teilnehmer war das eine regelrecht traumatische Erfahrung. Weil die EBU – koste es, was es wolle – die Politik draußen halten wollte und entsprechend einen enormen Druck aufgebaut hatte, war es quasi unmöglich geworden, das angebliche Fest wirklich zu genießen. Und ganz nebenbei hat die EBU in Zeiten, in denen jeden Tag Bomben auf unschuldige Zivilisten fallen, den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt. Man wird schnell seine Strategie ändern müssen, denn das war bestimmt nicht die letzte internationale Krise, mit der man konfrontiert war. In den nächsten Jahren wird man wohl mehr denn je dazu gezwungen sein, mitunter Farbe zu bekennen.
Wenn sich nicht schnell etwas ändert, dann droht der ESC zu einem "Euroschwanengesangfestival" zu verkommen, warnt denn auch Het Belang van Limburg. Das ganze Gedöns um die diesjährige Auflage des Eurovision Song Contest sollte aber auch für andere Veranstalter von internationalen Großereignissen ein Weckruf sein. Die großen Fußballverbände UEFA und FIFA wurden etwa in der Vergangenheit auch immer wieder kritisiert, weil sie Länder ausgeschlossen beziehungsweise eben nicht ausgeschlossen hatten. Oder weil sie Turniere in Staaten mit zweifelhaftem Ruf veranstaltet haben. Sogar das Internationale Olympische Komitee ist zu einem Eiertanz gezwungen beim Umgang mit Athleten aus Russland oder Belarus. All diese internationalen Organisationen behaupten ebenfalls, dass der Sport strikt von der Politik getrennt werden müsse. In der Praxis ist das offensichtlich unmöglich.
"Kann uns die Verfassung retten?"
"Kann uns die Verfassung retten?", fragt sich derweil De Standaard in seinem Leitartikel. Einige Parteien scheinen das zu glauben, wenn sie Verfassungsartikel zur Änderung freigeben, um für sie wichtige Grundprinzipien noch schnell im Grundgesetz zu verankern. Aus alledem spricht die Angst. Vor allem die jüngsten Entwicklungen in den USA haben auch hierzulande die Politik wachgerüttelt. Dort haben vier Jahre Donald Trump gereicht, um das Recht auf Abtreibung aufzuweichen, gar infrage zu stellen. Anders gesagt: Was viele Bürger als Grundrecht betrachten, das kann – schneller als gedacht – dem Hammer von radikalen Populisten zum Opfer fallen. Und es ist eben der Vormarsch der rechts- beziehungsweise linksextremen Parteien, der die Politik auch hierzulande nervös macht. Da gibt’s nur ein Problem: Eben diese Kräfte sind jetzt schon zu stark geworden. Um die Verfassung noch ändern zu können, müssen quasi alle anderen Parteien an einem Strang ziehen. Der Versuch, alte und neue Freiheiten in Beton zu gießen, kommt also wahrscheinlich zu spät.
Ukraine – der kleinste Beitrag zählt
Le Soir beschäftigt sich schließlich mit der Lage in der Ukraine. Russland hat ja anscheinend eine neue Offensive am Frontabschnitt um die Stadt Charkiw gestartet. Wenn man von Hilfen für die Ukraine spricht, dann denkt man natürlich zuallererst an Militärmaterial. Und klar: Ohne Munition, ohne gepanzerte Fahrzeuge, ohne Kampfflugzeuge könnte das Land dem russischen Aggressor nicht standhalten. Neben der Waffenhilfe braucht die Regierung in Kiew aber auch finanzielle Unterstützung. Um den Dienst an der Bevölkerung aufrechterhalten zu können, um die Infrastruktur in Stand zu setzen, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Und nicht zu vergessen: humanitäre Hilfe. Belgien ist auf diesem Gebiet nicht untätig: Die Föderalregierung überlässt der Ukraine die Erträge aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Und die Stadt Brüssel unterstützt jetzt zwei Krankenhäuser in Kiew. Anders gesagt: Jeder kann der Ukraine auf seine Art helfen. Der kleinste Beitrag zählt, um zu zeigen, dass Europa das Land nicht im Stich lässt.
Roger Pint