"Die Unruhe auf den Campussen ist zu einer politischen Herausforderung geworden", blickt La Libre Belgique auf die angespannte Situation an amerikanischen Universitäten. "Jetzt auch pro-palästinensische Studentenproteste in Flandern", titelt Het Nieuwsblad. "Die KU Löwen wird weiter mit israelischen Universitäten zusammenarbeiten", meldet La Dernière Heure. "Eine Universität, die keinen Standpunkt einnimmt zu Genozid, erfüllt ihre gesellschaftliche Rolle nicht", bringt De Standaard ein Zitat von Aktivisten.
Die Bilder aus den Vereinigten Staaten sind beeindruckend, kommentiert Le Soir. Einerseits wegen der Entschlossenheit der Gruppen, die seit Tagen Universitätsgebäude besetzen, andererseits aber auch wegen des harten Auftretens der Polizei. Die jetzigen Studentenproteste sind genauso legitim wie die früher gegen den Vietnamkrieg oder gegen die Apartheid in Südafrika. Die Hörsäle zu verlassen ist für die Studenten ein letzter Ausweg angesichts einer unwilligen oder ohnmächtigen Politik. Das Vorgehen der Studenten und die Forderungen an ihre Universitäten sind ein politischer und demokratischer Schlüsselmoment – solange sie gewaltfrei bleiben. Aber auch wenn die Bilder aus den USA für viel Entrüstung sorgen, sollte man sich dennoch in Acht nehmen, inwiefern sie die Wirklichkeit widerspiegeln und in welchem Maße sie zur Instrumentalisierung eingesetzt werden. Desinformation, Lobbys und politische Klüngeleien führen zu einer Verzerrung des Ausmaßes und der Anliegen der Proteste, warnt sinngemäß Le Soir.
Umarmen, nicht wegstoßen
Auch an belgischen Universitäten schalten die Solidaritätsaktionen mit Palästina einen Gang höher, hält De Standaard fest. Eine Gruppe Studenten aus Gent fordert von der Universitätsleitung den Abbruch der Beziehungen zu israelischen Einrichtungen. Andernfalls wollen sie Universitätsgebäude besetzen. An den Freien Universitäten Brüssel sind ebenfalls neue Aktionen geplant. Wir müssen hoffen, dass sich die hiesigen Rektoren nicht durch die Ereignisse in Amerika beeinflussen lassen, wo die Politik sich längst der Proteste bemächtigt hat. Das wäre sehr schade, denn eigentlich ist es ein entscheidender Moment für Studenten, Dozenten und Rektoren, um die Debatte über Gaza und Israel auf höchstem Niveau zu führen. Bei so historisch relevanten Ereignissen spielen Universitäten eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Die Rektoren müssen vollkommen offen sein über eventuelle Kooperationen mit israelischen Partnern, sie müssen die Sorgen ihrer Studenten ernstnehmen. Es ist ein Augenblick, um engagierte Studenten zu umarmen, nicht um sie wegzustoßen, fordert De Standaard.
Georgiens tiefe Krise
La Libre Belgique beschäftigt sich mit der Lage in Georgien: Pro-russische Kräfte haben für ein kontroverses Gesetz gestimmt gegen angebliche "ausländische Einflussnahme". Das Gesetz richtet sich gegen Nichtregierungsorganisationen, Gruppen und Oppositionsmedien, die Verbindungen zu Europa und den Vereinigten Staaten haben sollen. Mit so einem Gesetz hat schon der russische Machthaber Wladimir Putin seine Gegner zum Schweigen gebracht. Georgien befindet sich schon seit vielen Jahren in einer tiefen politischen Krise, nicht zuletzt, weil russische Truppen nach wie vor weniger als eine Stunde von der Hauptstadt Tiflis entfernt stehen. Der Ukraine-Krieg hat den schwelenden Konflikt nicht nur innerhalb der politischen Führung neu angeheizt, sondern auch zwischen der Regierung und einer mehrheitlich pro-europäischen Bevölkerung. Die Annahme des Gesetzes ist ein harter Schlag für die Bestrebungen Georgiens, irgendwann vielleicht der EU beizutreten. Aber für Europa wäre es riskant, Georgien die Tür vor der Nase zuzuschlagen, warnt La Libre Belgique.
Investitionen, klinische Studien und Burn-outs
Het Belang van Limburg greift die Meldung auf, dass die Zahl ausländischer Investitionen in Belgien sinkt: Das ist nicht wirklich überraschend angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Aussichten, notiert die Zeitung. Eine Krise geht quasi nahtlos in die nächste über. Hinzu kommen noch die Kriege in Gaza und in der Ukraine. Unter solchen Umständen muss doch jeder Unternehmenschef mögliche Investitionspläne noch einmal überprüfen und gegebenenfalls hinterfragen, meint Het Belang van Limburg.
L'Avenir befasst sich mit klinischen Studien in Belgien: Allein im letzten Jahr sind in Belgien über 400 solcher Studien genehmigt worden. Belgien steht bei den klinischen Studien pro Einwohner in Europa auf dem zweiten Platz. Manche verunglimpfen die Teilnehmer an solchen Studien als menschliche Versuchskaninchen, die ihren Körper verkaufen. Aber hierbei sollte man sich vor Augen halten, dass es ohne diese Freiwilligen zum Beispiel keinen medizinischen Fortschritt geben würde, keine Neuentwicklungen von Medikamenten gegen diese oder jene Krankheit. Und man sollte auch die gewissenhaft arbeitenden Wissenschaftler nicht vergessen, die die Testpersonen fachkundig begleiten. Und auch nicht, dass für die Studien strenge Protokolle gelten, die von Ethikausschüssen genehmigt werden müssen, erinnert L'Avenir.
La Dernière Heure kommt auf die jüngsten Zahlen des Landesamts für Kranken- und Invalidenversicherung zur Arbeitsunfähigkeit durch Burn-outs und Depressionen zurück: Innerhalb von fünf Jahren hat es eine schwindelerregende Zunahme dieser Erkrankungen gegeben um 43 Prozent. Das ist eine menschliche und gesellschaftliche Katastrophe, gegen die die Regierung machtlos scheint. Man muss sich das wirklich klarmachen: Es gibt in Belgien mehr Menschen, die wegen Langzeiterkrankungen arbeitsunfähig sind, als Arbeitslose. Unter diesen Umständen ist es nur schwer vorstellbar, dass die nächste Regierung dieses Thema nicht zu einer Priorität machen wird, so La Dernière Heure.
Boris Schmidt