"Mann von Annie De Poortere gesteht nach 30 Jahren, dass er sie selbst begraben hat", titelt Het Nieuwsblad. "Ex-Mann von Annie De Poortere: 'Ich habe sie im Garten der Nachbarn begraben'", zitiert Het Laatste Nieuws aus dem Teil-Geständnis des Ex-Partners. "Ehepartner versteckte Leiche 30 Jahre lang: 'Ja, ich habe Annie im Garten begraben'", so auch Gazet van Antwerpen. "Erst nach 30 Jahren gerät der Partner von Annie De Poortere ins Visier der Justiz, wie kann das sein?", fragt De Standaard auf Seite eins.
Der Mann ist festgenommen worden, der gestanden hat, 1994 den Körper seiner Lebensgefährtin begraben zu haben, resümiert De Morgen in seinem Leitartikel. Damit scheint die Staatsanwaltschaft Ostflandern den ersten Schritt getan zu haben in einer Prozedur, die normalerweise zu einem Prozess führen sollte. Allerdings dürfte es ein sehr komplexes Puzzle werden zu klären, ob der Fall mittlerweile schon verjährt ist oder nicht. Rein zufällig ist die Entdeckung der Leiche von Annie De Poortere auch zusammengefallen mit dem Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Verjährung für bestimmte Morde abschafft. "Bestimmte Morde" umfasst laut dem damaligen Justizministers Vincent Van Quickenborne Morde, die die Bevölkerung tief erschüttert haben, oder Morde, die das Ziel haben, die Grundfesten des Landes zu erschüttern oder zu zerstören. Es darf wohl bezweifelt werden, dass der Fall Annie De Poortere in eine dieser beiden Kategorien fällt, meint De Morgen.
Echte Reformen statt Sandkastenraufereien
Die meisten Leitartikel blicken allerdings zurück auf den politischen 1. Mai: Der 1. Mai gehört schon längst nicht mehr nur den Sozialisten, unterstreicht La Dernière Heure. Sowohl die Rechten als auch die Zentrumsparteien wollen ihr Stück vom Kuchen abhaben, besonders natürlich so kurz vor wichtigen Wahlen. Deswegen sind auch alle Arten von Angriffen und Tiefschlägen erlaubt beim Kampf um den immer kleiner werdenden Keks. Aber letztlich handelt es sich doch um Sandkastenraufereien zu einer Zeit, in der das Land vor allem echte Reformen bräuchte – vor allem in den Bereichen Steuer und Arbeit. Hier nichts zu unternehmen, das spielt vor allem den extremen Parteien in die Karten und droht, den Kuchen vollends ungenießbar zu machen, warnt La Dernière Heure.
Der 1. Mai ist ein Feiertag. Und zum Feiern gehören auch Geschenke, giftet Gazet van Antwerpen. Wer Geschenke verteilen will, muss aber auch erklären, woher das Geld dafür kommen soll. Weniger als sechs Wochen vor den Wahlen scheint dieser Punkt für die meisten Parteien aber kein Problem zu sein. Die nächsten belgischen Regierungen werden sieben Jahre lang pro Jahr 3,4 Milliarden Euro einsparen müssen, um die europäischen Haushaltsregeln einzuhalten. Das ist natürlich keine Botschaft für einen 1. Mai. Aber so zu tun, als ob wir noch Spielraum hätten für zusätzliche Ausgaben, ist nichts anderes als Betrug am Wähler. Wir brauchen dringend Reformen und das muss mit wenig Geld gelingen. Das kann nur klappen, wenn die Parteien bereit sind, der Wahrheit ins Auge zu blicken, zusammenzuarbeiten und sich die Hände dreckig zu machen. Wir können nur hoffen, dass die Redenschwinger vom 1. Mai das nach den Wahlen einsehen werden, wettert Gazet van Antwerpen.
Der Ton ist gesetzt
Am 1. Mai wächst das Geld traditionell auf den Bäumen, betont Het Belang van Limburg. Aber die bittere Wirklichkeit ist, dass es nach dem 9. Juni keine Tabus mehr geben darf – auf keiner Seite des politischen Spektrums. Rechts wird eine stärkere Belastung von großen Vermögen und Konzernen akzeptieren müssen. Links wird einsehen müssen, dass die budgetäre Schieflage so extrem ist, dass immer nur neue Steuern das Problem nicht lösen können und dass auch die Soziale Sicherheit als größter Kostenpunkt des föderalen Haushalts nicht ungeschoren davonkommen kann, mahnt Het Belang van Limburg.
Wir werden sehen, was nach den Wahlen von all den vollmundigen Versprechen der Parteien übrigbleiben wird, so sinngemäß Le Soir: Die Kräfteverhältnisse nach den Wahlen, der Graben zwischen dem Norden und dem Süden, die Verhandlungen hinter den Kulissen, Koalitionen, Regierungskompromisse, Deals und Feindschaften werden alle ihre Rolle spielen. Am Ende werden die Bürger wieder feststellen, dass wenig bleibt von dem, was sie am Anfang gehört hatten, seufzt Le Soir.
Vor und am 1. Mai haben wir vor allem Parteien gesehen, die so hart wie möglich in alle Richtungen gekeilt haben, fasst L'Avenir zusammen, der Wahlkampf hat alles beherrscht. Eigentlich sollen die Menschen am 1. Mai doch zusammenkommen, um für gemeinsame Werte und Anliegen zu kämpfen. Davon war aber nichts zu sehen, im Gegenteil. Damit ist auch der Ton gesetzt, die Zeit nach dem 9. Juni kündigt sich rau an, befürchtet L'Avenir.
Einengung schwächt die Demokratie
Das GrenzEcho beschäftigt sich in seinem Kommentar mit einem anderen politischen Thema: Vor allem seit der Coronakrise macht sich eine gefährliche Entwicklung breit. Anders als in früheren Zeiten werden Mehrheitsmeinungen zunehmend moralisch aufgeladen. So werden sie zum einzig Wahren und Guten. Andere Meinungen werden abgewiesen oder diskreditiert. Das hat mit Demokratie wenig zu tun, das ist Meinungsdiktatur. Man kann sich nur wünschen, dass die demnächst neugewählten Parlamente die Chance des Neuanfangs nutzen und dem öffentlichen Diskurs wieder den Platz einräumen, der ihm gebührt. Eine Einengung des politischen Spektrums stärkt nicht die Demokratie, sie schwächt sie. Demokratie hält Streitgespräche und selbst Widerspruch aus, so das GrenzEcho.
Boris Schmidt