"Die belgische Beschäftigungsrate hinkt mehr denn je hinterher", titelt De Tijd. Hier geht es ja um die Zahl der Menschen zwischen 20 und 64 Jahren, die tatsächlich im Arbeitsleben sind. In Belgien sind das derzeit 72 Prozent. Die Föderalregierung hatte aber eine Beschäftigungsrate von 80 Prozent als Ziel ausgegeben. Belgien gehört damit nach wie vor zu den schlechtesten Schülern innerhalb der EU. Auch die Zuwachsrate liegen unter dem Durchschnitt. Die Beschäftigungsrate ist von tragender Bedeutung mit Blick auf die Finanzierbarkeit der Renten.
"Die FGTB facht erneut die Debatte über eine Reichensteuer an", notiert derweil Le Soir auf Seite eins. Der sozialistische Gewerkschaftsbund schlägt damit in dieselbe Kerbe wie die PS und Ecolo. Laut Berechnungen der FGTB könnte der Staat durch eine effiziente Besteuerung der Bessergestellten seine Einnahmen um bis zu 20 Milliarden Euro steigern.
Reichensteuer zum 1. Mai
"Da ist sie also wieder, die Reichensteuer", konstatiert Le Soir in seinem Leitartikel. Nach PS, PTB und Ecolo schlägt nun also auch die FGTB auf diesen Nagel. Klar! Nicht vergessen! Morgen ist der 1. Mai, also der Tag der Arbeit. Wie eine Reichensteuer konkret aussehen soll, darüber haben die verschiedenen Parteien oder Gewerkschaften unterschiedliche Visionen. Nichtsdestotrotz wird dieses Thema nach dem 9. Juni wohl auf den Tisch kommen müssen. Denn eine Steuerreform ist nach wie vor überfällig, auch, besser gesagt erst recht nach dem Scheitern des Anlaufs, den die Vivaldi-Koalition unternommen hatte.
Mehr denn je brauchen wir ein gerechteres und effizienteres Steuersystem. Wer wirklich die gut Betuchten stärker zur Kasse bitten will, der wäre aber gut beraten, einen möglichst durchdachten und bezifferten Vorschlag zu unterbreiten. Wenn die wallonische Linke wirklich ihr Wunschprojekt durchbringen will, dann muss es wesentlich mehr sein als eine bloße Parole; dann muss man professionell und mit Realitätssinn zu Werke gehen.
Auch L'Avenir blickt auf den morgigen 1. Mai. Der Tag der Arbeit, das ist eigentlich das Fest der Arbeiter. Aber ist das wirklich noch so? Die jüngsten Entwicklungen lassen da Zweifel aufkeimen. Bei den Sozialkonflikten der letzten Zeit konnte man häufig feststellen, dass das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in eine Schieflage geraten war. Die Arbeitnehmervertretungen bissen auf Granit. Das Maiglöckchen ist das Symbol des 1. Mai, aber auch der Erneuerung. Genau das wünscht man sich auch für künftige Sozialverhandlungen.
Die flämischen Leitartikler beschäftigen sich ihrerseits mit den Wahlprogrammen der Parteien. Allesamt können sie nur feststellen, dass die Zentrumsparteien ihre Standpunkte im Bereich der Migrationspolitik angespitzt haben.
Das Kind nicht mit dem Badewasser ausschütten
Wohl vor dem Hintergrund des Höhenflugs des rechtsextremen Vlaams Belang haben sogar CD&V und Vooruit einen Rechtsruck vollzogen, analysiert Het Belang van Limburg. Beide wollen die "Einwanderung unter Kontrolle bringen, schnellere Asylprozeduren, eine konsequentere Abschiebepolitik und eine schnellere Integration". Bei alledem muss man aber aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Badewasser ausschüttet. Wie es schon der OpenVLD-Justizminister Paul van Tigchelt formulierte: Ein Migrationsstopp ist nicht nötig und auch nicht wünschenswert. Ohne Einwanderer würde die Wirtschaft in den meisten westlichen Staaten schlichtweg zusammenbrechen.
Nichtsdestotrotz brauchen wir eine vernünftige Debatte zu dem Thema. Denn ansonsten überlässt man es allein dem Vlaams Belang, der dann tut, was er am besten kann: Auf die Sorgen und Ängste der Menschen mit Science-Fiction-Erzählungen antworten.
Kein Zweifel: Die Christdemokraten und Sozialisten haben ihre Positionen angeschärft, meint auch De Morgen. Und, man muss die Dinge beim Namen nennen: Es ist offensichtlich, dass das unter dem Eindruck des drohenden Wahlsieges des rechtsextremen Vlaams Belang erfolgt. Doch muss man die Kurskorrektur von CD&V und Vooruit dafür nicht gleich als eine Kapitulation vor den Rechtsradikalen betrachten. Wer das tut, der sagt mit anderen Worten, dass sich nur der Vlaams Belang zur Migration äußern darf. Die Asyl- und Migrationspolitik steht erwiesenermaßen ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler. Entsprechend müssen alle Parteien darauf eingehen. Der Punkt ist: Man muss dann auch erwachsen und besonnen darüber diskutieren können, ohne sein Gegenüber gleich zum Neonazi zu stempeln.
Gemeinsam den Rechtsextremen den Wind aus den Segeln nehmen
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Wenn laut Umfragen rund ein Viertel der Flamen den Vlaams Belang am 9. Juni ihre Stimme geben wollen, dann wäre es zu einfach, diese Menschen pauschal als Rassisten oder Protestwähler abzutun. Viele von ihnen wollen vielleicht einfach nur eine andere Einwanderungspolitik oder schlicht Veränderung. Das scheinen inzwischen auch die flämischen Zentrumsparteien so zu sehen. Insbesondere für die flämischen Grünen ist das eine schlechte Neuigkeit. Auf flämischer Seite stehen sie ziemlich alleine da. Unterstützung bekommen sie nur noch auf frankophoner Seite, natürlich von Ecolo und dann auch von der PS.
Doch auch die frankophonen Parteien wären gut beraten, einmal einen nüchternen Blick auf die Entwicklung in Flandern zu werfen, empfiehlt La Libre Belgique. Statt mit dem Finger auf die flämischen Kollegen zu zeigen, sollten sie die jeweiligen Schwesterparteien besser im Kampf gegen den Vlaams Belang unterstützen. Insbesondere am Beispiel der Stadt Mechelen zeigt sich, dass eine entschlossene und konsequente Integrationspolitik nicht nur Früchte tragen kann, sondern dass damit auch noch den Rechtsextremisten der Wind aus den Segeln genommen wird. Auch die frankophone Linke muss gewissen Realitäten ins Auge sehen können und sie dann auch angehen, mit Würde, Humanismus und Effizienz. Wenn das in Mechelen möglich war, sogar mit grüner Beteiligung, warum sollte das nicht auch anderswo funktionieren?
Roger Pint