"Möglicher Durchbruch in einem 30 Jahre alten Vermisstenfall", titelt Het Nieuwsblad. "Plötzlich müssen wir von Mord ausgehen", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Vor fast genau 30 Jahren, am 12. November 1994, verschwand Annie De Poortere. Die Polizei tappte offensichtlich völlig im Dunkeln; inzwischen ist es ein klassischer "Cold Case".
Jetzt gibt es plötzlich einen Durchbruch: In der vergangenen Woche sind im ostflämischen Sint-Martens-Latem bei Grabungsarbeiten sterbliche Überreste gefunden worden. Diese stammen aller Wahrscheinlichkeit nach von Annie De Poortere. Eine Genanalyse muss noch letzte Gewissheit bringen. Was mit der damals 48-Jährigen passiert ist, das ist aber nach wie vor völlig unklar.
"Cyberangriffe – fünf belgische Volksvertreter waren im Visier von China", so derweil die Aufmachergeschichte von Le Soir. Bekannt war bereits, dass die Laptops der CD&V-Politikerin Els Van Hoof und des Ecolo-Kammerabgeordneten Samuel Cogolati gehackt worden waren. Hinzu kommen jetzt noch Altpremier Guy Verhofstadt, der Les-Engagés-Kammerabgeordnete Georges Dallemagne und die Open-VLD-Europaparlamentarierin Hilde Vautmans. Was diese Leute verbindet: Sie sind allesamt Mitglieder von Ipac, einer internationalen Organisation, die sich für die Menschenrechte in China einsetzt. Eben deswegen sind sie wohl ins Fadenkreuz der chinesischen Nachrichtendienste geraten.
Naivität und Sorglosigkeit gegenüber Peking-Regime
Die Auslandsaktivitäten des Regimes in Peking sind in diesen Tagen ein großes Thema, kann Le Soir in seinem Leitartikel nur feststellen. Neben der Bespitzelung von Abgeordneten gab es zuletzt auch Berichte über die versuchte Einflussnahme von Parlamenten. Die Vlaams-Belang-Politiker Frank Creyelman und Filip Dewinter hatten bekanntlich Verbindungen zu chinesischen Spionen. In Deutschland wurde ein Assistent des AfD-Politikers Maximilian Krah wegen Spionageverdachts festgenommen. Die chinesischen Dienste verfolgen also offensichtlich eine Doppelstrategie: die Instrumentalisierung von extremistischen Parteien zwecks Destabilisierung der politischen Systeme im Westen und daneben klassische Spionage zur Erlangung von internen Informationen. Europa und insbesondere Belgien glänzen in diesem Zusammenhang immer noch durch Naivität und Sorglosigkeit. Es wird Zeit, dass wir mit aller Entschlossenheit auf die chinesischen Umtriebe reagieren.
"Entweder wir oder die PS, das ist die Botschaft der N-VA", titelt seinerseits De Standaard. Die flämischen Nationalisten haben am Wochenende ihren großen Wahlkongress abgehalten. Parteichef Bart De Wever hat dabei den Kampf um den flämischen Wohlstand in den Mittelpunkt gerückt und in diesem Zusammenhang die frankophonen Sozialisten wieder zum Feindbild stilisiert.
Rue de la Loi-Blase und Wahlkampf-Geplänkel
"Comme d'habitude", frotzelt De Morgen in der Sprache von Molière. Wie immer! Dieser Wahlkampf folgt gleich in mehreren Belangen den inzwischen altbekannten Mustern. Die N-VA arbeitet sich wieder an den frankophonen Sozialisten ab. Die CD&V vereint ihr Schicksal mit der frankophonen MR. Hier geht es also wieder einmal nicht um Inhalte, sondern in erster Linie um mögliche Allianzen nach der Wahl. Die Tatsache, dass sich immer mehr Wähler, sowohl auf flämischer als auch auf frankophoner Seite, für extremistische Parteien entscheiden, respektive den rechtsextremen Vlaams Belang und die marxistische PTB, wird dabei ausgeblendet. Das Resultat: Nach dem zu erwartenden Wahlsieg insbesondere des Vlaams Belang, müssen die Parteien nach der Wahl auf der Asche der Erniedrigung eine Regierung zimmern. Dabei müssen sie sich dann doch wieder alle zusammenraufen. "Comme d'habitude".
Ähnlich überdrüssig blickt auch Het Nieuwsblad auf das aktuelle Wahlkampfgeschehen. All diese Manöver und Schachzüge, das Küren von Lieblingsfeinden, das Schließen von Allianzen aller Art, all das interessiert doch allenfalls die Leute, die ihr Leben in der Rue-de-la-Loi-Blase verbringen. Außerhalb davon, im realen Leben, ruft all das bestenfalls Schulterzucken hervor. Ebenso ärgerlich sind auch all die Wahlversprechen, von denen wir jetzt schon wissen, dass dafür kein Geld da ist. Okay, das ist eben das klassische Wahlkampf-Geplänkel. Todsünden sind das nicht. Das gehört einfach dazu. Für die Glaubwürdigkeit der Politik, die ohnehin schon im Keller ist, ist das Ganze allerdings Gift.
"Don't mention the war"
"Denn um die wirklich brennenden Themen geht es dabei leider nicht", bedauert De Standaard. Das Land steht vor einer immensen haushaltspolitischen Herausforderung: In den nächsten fünf Jahren müssen mindestens 30 Milliarden Euro gefunden werden, um das Budget wieder in die Spur zu bringen. Entsprechend winzig sind die Spielräume. Und dann sprechen wir noch nicht von den gestiegenen Zinsen, den Nato-Verpflichtungen und den immer akuter werdenden Auswirkungen der Vergreisung. Die nächste Regierung wird die Quadratur des Kreises lösen müssen. Aber keine einzige Partei verliert darüber viele Worte.
Apropos Schweigen, wirft Het Laatste Nieuws ein. Das Thema Migration kam am Samstag beim N-VA Kongress so gut wie gar nicht vor. Es wurde in einem Sätzchen abgefeiert. Die N-VA hat sich also offensichtlich für eine neue Strategie entschieden: Über ein Thema, mit dem man das "Original" nicht besiegen kann, schweigt man besser. "Don't mention the war". Dieses Kalkül ist nicht ohne Risiko. Laut übereinstimmenden Umfragen steht das Thema Migration ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler. Wenn De Wever auch offensichtlich eingesehen hat, dass er in dieser Materie nicht "rechter" sein kann als der Vlaams Belang, so ist es doch gefährlich, jetzt plötzlich gar nichts mehr dazu zu sagen. Die N-VA versucht jetzt, den Blick der Flamen auf ihr Portemonnaie umzulenken. Ob das funktioniert, das wird sich spätestens am 9. Juni zeigen.
Roger Pint