"Die MR ist mit Abstand die stärkste Partei in Brüssel", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Und der Vlaams Belang ist der große Gewinner in Flandern", fügt La Dernière Heure hinzu.
Die Zeitungen der Pressegruppe IPM und die RTBF veröffentlichen heute eine neue Umfrage. 44 Tage vor der Wahl zieht die Erhebung alle Blicke auf sich. In Flandern steht der rechtsextreme Vlaams Belang demnach mit 26 Prozent einsam an der Spitze. Die liberale MR lässt in Brüssel die anderen Parteien weit hinter sich. In der Wallonie verteidigt die PS derweil ihre Führungsposition. Darüber hinaus gibt es aber noch einige Hingucker: In Flandern erzielt die marxistische PTB laut der Umfrage erstmals den dritten Platz. Die traditionellen Parteien erreichen nur noch knapp vier von zehn Wählern. In der Wallonie sind Les Engagés im Aufwind; die frühere CDH war eigentlich schon totgesagt worden.
Die Umfrage liefert außerdem Aufschlüsse darüber, was die Belgier bewegt, bemerkt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Demnach wird die Unsicherheit mehr und mehr zu einem Thema für die Bürger. Dies wohl vor dem Hintergrund der jüngsten Berichterstattung über die Situation rund um den Brüsseler Südbahnhof und die sich häufenden Schießereien unter Drogenbanden. In den Augen vieler Menschen scheint in der Hauptstadt etwas eingerissen zu sein, und das macht sich in der Meinungsumfrage bemerkbar. Sichtbarster Hinweis darauf ist der Absturz der PS und insbesondere des Brüsseler Ministerpräsidenten Rudi Vervoort.
Das Thema innere Sicherheit kann den Wahlkampf noch gehörig vergiften. Bislang sind die Parteien der Problematik gerne ausgewichen; das wird jetzt nicht mehr möglich sein. Die verschiedenen Positionen dürften sich in den nächsten Wochen wohl noch deutlich verhärten.
Trollarmeen, Bespitzlung und Instrumentalisierung
Einige Leitartikler beschäftigen sich mit den jüngsten Spionagevorwürfen gegen China. Gestern wurde bekannt, dass die Laptops von mindestens zwei belgischen Kammerabgeordneten gehackt wurden. Die Auftraggeber sitzen aller Wahrscheinlichkeit nach in China. Es war die amerikanische Bundespolizei FBI, die die Cyber-Spionage ans Licht brachte.
"Wo waren da eigentlich unsere Sicherheitsdienste?" fragt sich De Morgen. Zu allem Überfluss hatte die belgische Sûreté schon 2021 einen Verdacht und hatte auch die Laptops und Handys von besagten Abgeordneten untersucht. Man hatte aber nichts gefunden. Das mag ein weiteres Indiz dafür sein, dass wir in Belgien die chinesische Spionage nach wie vor nicht wirklich ernst nehmen. Das ist umso verwunderlicher, als doch gerade erst zwei Vlaams-Belang-Politiker wegen ihrer China-Connections ins Zwielicht geraten sind. Die Lage ist jedenfalls ernster als befürchtet. Ausländische Nachrichtendienste beschränken sich nicht mehr darauf, in sozialen Netzwerken mithilfe ihrer Trollarmeen Stimmung zu machen, sie haben längst damit begonnen, Volksvertreter zu bespitzeln oder im schlimmsten Fall zu instrumentalisieren.
"Wir reagieren nach wie vor nicht entschlossen genug", ist auch Gazet van Antwerpen überzeugt. Der Vlaams-Belang-Politiker Frank Creyelman wurde noch wegen seiner Kontakte zu einem chinesischen Spion ausgebootet. Sein Parteikollege Filip Dewinter, der erwiesenermaßen ebenfalls dubiose Kontakte mit China unterhielt, blieb demgegenüber unangetastet. Konsequent ist das nicht. Entsprechend lässt man den Chinesen eigentlich weiter freien Lauf. Zumal wir uns ja auch noch wirtschaftlich vollkommen abhängig gemacht haben von der chinesischen Industrie. Die Europäische Union braucht dringend eine wirkliche Chinapolitik, die der veränderten geopolitischen Lage Rechnung trägt.
Wallonisches Kuhdorf mit Vorrang vor Nato-Gebäude?
Dazu passt die Aufmachergeschichte von L'Echo: "Chinesische Hersteller sind in belgischen Telekomnetzen nach wie vor sehr präsent", schreibt das Blatt auf Seite eins. Chinesische Technologieunternehmen stehen ja im Verdacht, im Zweifel für das Regime in Peking zu arbeiten und ihre Bauteile mit versteckten Hintertüren zu versehen. Deswegen wurde beschlossen, chinesische Elektronik aus strategischen Kommunikationsnetzen zu verbannen. Dieser Prozess geht aber nur schleppend voran.
Belgien geht nach wie vor allzu unbekümmert mit der Problematik um, konstatiert L'Echo in seinem Leitartikel. Chinesische Techbetriebe gelten schon seit einiger Zeit als Hochrisikolieferanten. Und doch nimmt man sich bei der Umrüstung auf europäische Anbieter Zeit. Schlimmer noch: Hier findet keine Priorisierung statt. Konkret: Prinzipiell ist es möglich, dass in einem Handymast in einem wallonischen Kuhdorf die chinesischen Bauteile schneller entfernt werden als an einer Antenne in unmittelbarer Nähe des Nato-Gebäudes. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, die Bedrohung ist doch nicht so real, wie sie immer dargestellt wurde, oder, man nimmt die Gefahr nicht ernst.
Ganz anderes Thema auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Der Steuerdruck ist nirgendwo höher als in Belgien", so die Schlagzeile. "Belgien ist Weltmeister bei der Besteuerung von Arbeit", schreibt auch De Tijd auf Seite eins. Das geht aus den neusten Zahlen der OECD hervor. Belgien ist demnach das einzige Land, in dem mehr als die Hälfte des Bruttoeinkommens an den Staat geht.
Den Staat Palästina anerkennen!
Für Bestürzung sorgt schließlich noch der Tod eines Mitarbeiters der belgischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit Enabel. Der 33-jährige Palästinenser und sein siebenjähriger Sohn sind bei einem israelischen Bombenangriff im Gazastreifen ums Leben gekommen.
Der Tod von Abdallah ist nur eins von so vielen Dramen, meint nachdenklich Het Belang van Limburg. Die israelische Vergeltung nach dem barbarischen Terrorangriff vom 7. Oktober hat nun schon mehr als 34.000 Todesopfer gefordert. Insbesondere der Westen wirkt da einfach nur machtlos.
Selbst über die Anerkennung des Staates Palästina herrscht innerhalb der Föderalregierung Uneinigkeit. Dabei liegt das doch eigentlich auf der Hand. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, jetzt muss die Anerkennung erfolgen, damit die Palästinenser mit Israel auf Augenhöhe verhandeln können und Abdallah nicht umsonst gestorben ist.
Roger Pint