"Hochschuldekret – Les Engagés und die MR wollen ein Gutachten des Staatsrates", titelt Le Soir. In der Französischen Gemeinschaft erreichen die Spannungen innerhalb der Regierungskoalition heute wohl ihren vorläufigen Höhepunkt. Es ist das umstrittene Hochschuldekret, das die Mehrheit auseinandergerissen hat.
Grob gerafft: PS und Ecolo wollten Korrekturen an der Reform durchführen; die MR war dagegen. Sozialisten und Grüne wandten sich daraufhin der oppositionellen PTB zu und verabschiedeten ihre abgeschwächte Version mithilfe einer so genannten Wechselmehrheit. Das war in der vergangenen Woche im zuständigen Ausschuss. Heute steht die Abstimmung im Plenum an.
MR-Chef Georges-Louis Bouchez feuert nach wie vor aus allen Rohren auf die Noch-Koalitionspartner: "Ecolo ist zu einer kleinen Zweigstelle der PS geworden", giftet Bouchez auf Seite eins von La Libre Belgique.
Ein bisschen mehr Professionalität!
"So ein bisschen überall regiert der Dilettantismus", beklagt Le Soir in seinem Leitartikel. Der Knatsch in der Französischen Gemeinschaft ist da nur ein Beispiel von vielen. Am Autobahnkreuz Léonard etwa herrscht das nackte Chaos und bei Bpost wollen die frankophonen Gewerkschaften die Zustellung der Zeitungen blockieren.
Hier gibt es immer ein und denselben roten Faden: Hochschuldekret, Autobahnkreuz Léonard, Bpost – Schuld sind immer die zuständigen Politiker, die sich, wenn überhaupt, dann erst immer in allerletzter Sekunde auf die Marschrichtung einigen können. Und weil eben alles auf dem letzten Drücker passiert, sorgt das auf dem Terrain für akute Krisen, weil es schlichtweg unmöglich ist, die neuen Vorgaben kurzfristig umzusetzen. Das Ergebnis ist desaströs, nicht nur wegen der konkreten Auswirkungen, sondern auch für das Image der Politik. Mit ein bisschen mehr Professionalität hätte all das verhindert werden können.
"Dekretentwurf muss korrigiert werden"
Auch La Libre Belgique widmet sich dem frankophonen Unterrichtswesen, hat dabei aber noch eine andere Baustelle im Blick. Auf dem Tisch liegt nämlich auch noch ein Dekretentwurf, bei dem es um die Verteilung von Finanzmitteln zur Instandsetzung von Schulgebäuden geht. "Hier wird das Freie Unterrichtswesen ganz eindeutig benachteiligt", wettert das Blatt.
Insgesamt sollen 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, 250 Millionen sollen aber allein ins WBE-Netz fließen, das nur von 15 Prozent der Schüler besucht wird. Das widerspricht allen geltenden Vereinbarungen. Die Rechte der Schüler, der Lehrkräfte und der Eltern, die sich für das freie Unterrichtswesen entschieden haben, allen voran das katholische, werden hier mit Füßen getreten. Auch wenn sich die Mehrheit aus PS, MR und Ecolo inzwischen im Wachkoma befindet, dieses Dekret muss korrigiert werden, fordert La Libre Belgique.
Perfektes Rezept für Politikverdrossenheit
De Tijd beschäftigt sich ihrerseits mit dem laufenden Wahlkampf. Man kann nur feststellen, dass die Parteien sich im Wesentlichen darauf beschränken, den Menschen das Blaue vom Himmel zu versprechen, meint das Blatt nachdenklich. Dabei gibt es für die nächste Regierung im Grunde nur eine Priorität: sparen, sparen, sparen! Die Polykrisen der letzten Jahre haben die Kriegskasse geleert. Die Maßnahmen zur Abfederung etwa der Corona- und der Energiekrise haben einen Packen Geld gekostet. Resultat: In den nächsten fünf Jahren werden mindestens 30 Milliarden Euro gefunden werden müssen, um den Haushalt wieder in die Spur zu bekommen.
Das Problem: Keine Partei sagt in ihrem Wahlprogramm, wo das Geld herkommen soll. Das mag verständlich sein; mit der grausamen Wahrheit gewinnt man keine Wahl. Dennoch: Wenn das so bleibt, dann wird die nächste Regierung schmerzhafte Maßnahmen beschließen, über die man nie mit den Wählern gesprochen hat. Das ist das perfekte Rezept für neue Politikverdrossenheit nach dem 9. Juni.
Decathlon – kein fairer Umgang mit dem Personal
De Morgen blickt mit Sorge auf die Situation beim Sportartikelhändler Decathlon. Das Unternehmen hat eine drastische Umstrukturierung in seinem Logistikzentrum in Willebroek angekündigt; mittelfristig droht wohl die endgültige Schließung. Decathlon verhält sich dem Personal gegenüber ziemlich respektlos, konstatiert das Blatt.
Das sind die Mitarbeiter aber bis zu einem gewissen Maß auch selbst schuld. Eine Eigenheit des belgischen Arbeitsmarktes ist nämlich die zu geringe Arbeitskräftemobilität: Die Menschen wechseln nur ungern ihren Job. Im Grunde war es Irrsinn, sich diese Behandlung anzutun. Erst recht heute, bei all den offenen Stellen. Die Decathlon-Mitarbeiter hätten den Betrieb längst aus freien Stücken verlassen müssen; so hätte man das Unternehmen zu einem faireren Umgang mit seinem Personal gezwungen.
Regierungssender VRT und Olympische Spiele für Gutbetuchte
Für Diskussionsstoff sorgt auch die Situation beim flämischen öffentlich-rechtlichen Medienhaus VRT. Der Sender sägt an seiner Glaubwürdigkeit, sind sich De Standaard und Het Nieuwsblad einig. Zuletzt ist immer mal wieder der Verdacht entstanden, dass die VRT Inhalte auf politische Bestellung produziert. Jüngstes Beispiel ist eine Dokuserie, deren Titel wohl nicht zufällig ein Zitat des N-VA-Ministerpräsidenten Jan Jambon ist.
Schuld sind wohl die wiederholten Sparrunden bei der VRT. Der Sender wurde finanziell regelrecht trockengelegt. Um an zusätzliche Mittel zu kommen, klopft man dann bei der Politik an. Und dann ist die Versuchung groß, am Ende ein Programm zu machen, das der Politik gefällt. So wird eine Institution wie die VRT zunehmend in die erniedrigende Position eines Regierungssenders getrieben, sind sich De Standaard und Het Nieuwsblad einig.
La Dernière Heure schließlich wirft einen betrübten Blick auf die anstehenden Olympischen Spiele in Paris. Wir haben es ausgerechnet, meint das Blatt: Wenn eine vierköpfige Familie fünf Tage lang dem Ereignis beiwohnen will, dann kostet sie das 7.500 Euro. Wenn auch nicht so ausgeprägt, sieht man diesen Trend auch bei anderen Großveranstaltungen, die also zunehmend den Gutbetuchten vorbehalten sind. Pierre de Coubertin, der Vater der modernen Olympischen Spiele, dürfte sich jedenfalls im Grab umdrehen.
Roger Pint