"Beispielloser Angriff auf Israel", titelt Gazet van Antwerpen. "Der Iran greift an und der Nahe Osten wartet jetzt bang auf den israelischen Gegenschlag", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Die Welt hält den Atem an angesichts der zu erwartenden Rache von Israel", so formuliert es Het Nieuwsblad.
Der Iran hat am Samstagabend erstmals Israel direkt angegriffen. Das Regime in Teheran schickte rund 300 Flugkörper aller Art los, vor allem Drohnen und auch ballistische Raketen. Die israelische Armee konnte aber nach eigenen Angaben 99 Prozent der Projektile ausschalten, bevor sie ihre Ziele erreichten. Für das Regime in Teheran handelte es sich hier um einen Vergeltungsschlag nach einem mutmaßlich israelischen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Allgemein wird aber befürchtet, dass Israel nach dem direkten Angriff auf sein Staatsgebiet jetzt zum Gegenschlag ausholen könnte.
Kontraproduktive Nebenwirkung des iranischen Angriffs
Ein Vergeltungsangriff würde die Sicherheit Israels nicht verbessern, ist aber Gazet van Antwerpen überzeugt. Der iranische Angriff hat dafür gesorgt, dass sich die Verbündeten wieder hinter Israel geschart haben, nachdem die meisten von ihnen zuletzt scharfe Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen geäußert hatten. Buchstäblich über Nacht ist Israel nun wieder vom Täter zum tapferen Opfer geworden, was die Kritik mit einem Mal verstummen ließ. Jetzt ist der Iran plötzlich wieder der Bösewicht. Das kann sich aber sehr schnell wieder ändern. Die wichtigsten Verbündeten Israels wollen eine weitere Eskalation mit allen Mitteln verhindern. Das gilt in erster Linie für die Vereinigten Staaten. Israel hat wirklich ein Interesse daran, seine Alliierten nicht erneut vor den Kopf zu stoßen.
Für Israel ist der Angriff vom Wochenende letztlich eine Chance, glaubt auch La Libre Belgique. Das Land wurde in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit seinem schlimmsten Albtraum konfrontiert: einer Attacke an mehreren Fronten zugleich. Das hat der Welt noch einmal vor Augen geführt, wie sehr das Land tatsächlich in seiner Existenz bedroht ist. Nicht nur durch eine islamistische Terrorgruppe, sondern durch ein Land, das man als regionales Schwergewicht bezeichnen muss. Dadurch haben sich die Reihen derer, die hinter Israel stehen, mit einem Mal wieder geschlossen. Aus Sicht des Irans ist das wohl sogar eine kontraproduktive Nebenwirkung seines Vergeltungsschlags.
Wie wird Netanjahu auf den Angriff aus Teheran reagieren?
Der iranische Angriff ist für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu so etwas wie ein Blitzableiter, analysiert auch Het Laatste Nieuws. Israel war wegen seines Vorgehens im Gazastreifen zuletzt zunehmend isoliert. Selbst die USA waren auf Abstand gegangen. Der iranische Angriff kam für Netanjahu also gerade recht. Zumal jeder weiß, dass das letztlich nur ein Warnschuss war. Das Regime in Teheran war offensichtlich sehr darauf bedacht, den Bogen nicht zu überspannen. In erster Linie ging es darum, dem eigenen Volk zu signalisieren, dass man sich nicht alles gefallen lässt. Unterschätzen darf man das Ganze jedoch nicht. Es bedarf wirklich nur noch eines Streichholzes, um die Lunte des Pulverfasses definitiv zu entzünden.
L'Avenir sieht das ähnlich. Für Teheran ging es in erster Linie darum zu beweisen, dass man dazu in der Lage ist, Israel ins Visier zu nehmen. Der Angriff war aber so kalibriert, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Es war schließlich nur die Rache für den Angriff auf das Botschaftsgelände in Damaskus. Kleine Klammer dazu: Wo war eigentlich die Verurteilung des Westens für diese Attacke? Israel hat letztlich die neuerliche Eskalation selbst heraufbeschworen.
Alles steht und fällt jetzt mit der israelischen Reaktion, meint De Morgen. Netanjahu hat die Wahl: Entweder entscheidet er sich für den Weg der heillosen Rache, oder er hört zur Abwechslung mal auf die gemäßigten Stimmen innerhalb seiner Regierung. Denn auch er muss einsehen, dass eine weitere Eskalation eine Tür öffnet, von der niemand weiß, was sich dahinter befindet. Und vielleicht versteht er irgendwann auch, dass er einer Feuerpause im Gazastreifen doch mal eine Chance geben sollte.
Netanjahus ungeahnte Chance - Eskalation wahrscheinlich
Le Soir ist da skeptisch. Gerade Benjamin Netanjahu verdankt sein politisches Überleben letztlich den aktuellen Spannungen. An dem Tag, an dem die Waffen schweigen, bekommt er nämlich die Rechnung präsentiert, dann beginnt die politische Aufarbeitung der barbarischen Attacke vom 7. Oktober und den damit verbundenen verhängnisvollen Fehlern im israelischen Sicherheitsapparat. US-Präsident Joe Biden wird sehr überzeugend sein müssen, um Netanjahu von einem markigen Gegenschlag abzuhalten.
Het Nieuwsblad sieht ebenfalls diese Gefahr. Für die Falken innerhalb der israelischen Regierung birgt der Angriff vom Wochenende eine ungeahnte Chance. Nicht nur, dass man seine Verbündeten wieder hinter sich scharen konnte, ganz nebenbei wird die internationale Aufmerksamkeit vom Gaza-Krieg abgelenkt. Während die Welt den Atem anhält angesichts eines möglichen israelischen Gegenschlags, geht das Sterben im Gazastreifen weiter. Der Westen muss jetzt wirklich aufpassen, dass Israel die iranische Reaktion, die man im Übrigen selbst heraufbeschworen hat, nicht missbraucht, um im Gazastreifen noch brutaler vorgehen zu können. Das wäre wirklich der Gipfel des Zynismus', aber leider ist eine weitere Eskalation genau deswegen umso wahrscheinlicher.
Roger Pint