"Putin erwähnt den IS mit keinem Wort", titelt Het Nieuwsblad zum schweren Terroranschlag auf eine Moskauer Konzerthalle, für den die islamistische Terrorgruppe IS die Verantwortung übernommen hat. "Das Sicherheitsversagen von Putin", urteilt Le Soir auf Seite eins. "'Russland will keine zweite Front, deswegen müssen es Fake News sein, dass es der IS war'", zitiert Gazet van Antwerpen einen Russlandexperten. "Wird Putin nach dem Attentat in Moskau die Eskalationskarte spielen?", fragt La Libre Belgique. "Putin nimmt die Ukraine ins Fadenkreuz", fasst La Dernière Heure das Verhalten des Kreml zusammen.
Das Blutbad von Moskau ist eine Demütigung für Putin, der nach seinem gefälschten überwältigenden Wahlsieg Oberwasser hatte, kommentiert La Dernière Heure. Und wenn Putin gedemütigt ist, ist er noch gefährlicher als sonst. Das gilt für ihn und für seine Sicherheitsdienste, die vor allem amerikanische Warnungen vor einem Anschlag ignoriert haben. Seine Selbstdarstellung als Herr der inneren Sicherheit bröckelt. Jetzt ist dem Tyrannen im Kreml jedes Mittel recht, um der Ukraine die Schuld zuzuschieben und so seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland zu rechtfertigen, hält La Dernière Heure fest.
Eine Erklärung, die dem Kreml nicht schmeckt
Es gibt viele Parallelen zwischen dem Anschlag auf die Pariser Konzerthalle Bataclan und dem Massaker in der Konzerthalle Crocus in Moskau, resümiert L'Avenir. Eine vergleichbare Zahl von Opfern, ein ähnliches Vorgehen und nicht zuletzt die gleiche Terrorgruppe, die die Verantwortung übernommen hat. Aber im Fall Russlands ist der Horror sehr schnell durch einen leider sehr vorhersehbaren Zynismus ersetzt worden. Russland hat dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad massiv bei der blutigen Unterdrückung seines Volkes geholfen, was Moskau zu einem privilegierten Ziel für den IS gemacht hat.
Aber diese logische und rationale Erklärung schmeckt dem Kreml nicht. Stattdessen beschuldigt Russland allen Beweisen zum Trotz die Ukraine. Das spektakuläre Attentat wird auch einen Vorwand liefern, um innenpolitisch die Repression noch weiter zu verstärken. Militärisch fühlt man sich unweigerlich an die Attentatsserie erinnert, mit der Putin 1999 seinen Krieg gegen Tschetschenien gerechtfertigt hat, hebt L'Avenir hervor.
Die Wirklichkeit ist nur eine ärgerliche Nebensache
Der Kreml hat beschlossen, dass die Ukraine schuld ist am Anschlag, ganz egal, ob der IS die Verantwortung beansprucht oder nicht, schreibt Het Nieuwsblad. Putin und seine Geheimdienste haben alle Warnungen aus dem Ausland vor einem bevorstehenden Terroranschlag ignoriert. Die russischen Sicherheitsbehörden sind auch vor allem darauf spezialisiert, gnadenlos Dissidenten zu jagen und jegliche politische Opposition zu unterdrücken. Wer mal eine echte Regime-Presse bei der Arbeit sehen will, hat nun die Gelegenheit dazu in Russland: Kein Wort der Kritik an den Behörden, keine Erwähnung des IS. Dafür geschwollene Rhetorik über "liberale westliche Regime", die die Ukraine verändert und zu einem "internationalen Terrorzentrum" gemacht hätten.
Das zeigt, wie existenziell der Krieg in der Ukraine für Putin geworden ist, alles muss getan werden, um die durchschnittlichen Russen von der schlechten wirtschaftlichen Lage und der Korruption abzulenken. Das verheißt wenig Gutes für die Ukrainer. Das Einzige, was zählt, ist der Glanz Putins, was sich wirklich zugetragen hat, ist da nur eine ärgerliche Nebensache, giftet Het Nieuwsblad.
Wladimir Putin kennt keine Grenzen
Es gibt keinen einzigen Beweis für eine Beteiligung der Ukraine, unterstreicht De Morgen. Es sieht vielmehr danach aus, dass Putin vom Versagen seines Sicherheitsapparates ablenken will. Deswegen erwähnt der russische Machthaber auch mit keinem Wort die diplomatischen und öffentlichen Warnungen aus den Vereinigten Staaten vor einem bevorstehenden Anschlag in Moskau.
Kurzfristig wird Putin den Anschlag missbrauchen, um die Unterdrückung in seinem eigenen Land noch weiter zu verschärfen. Schon jetzt ist die Rede von einer Wiedereinführung der Todesstrafe für Terroristen. Das wäre auch für russische Bürgerrechtsaktivisten dramatisch, denn für die russische Justiz sind auch LGBTQ+-Aktivisten Extremisten und Terroristen. Es besteht auch die Chance, dass Putin das Moskauer Blutbad als Vorwand nutzen wird, um eine neue Mobilisierung anzukündigen. Dieses Mal unter den bisher weitgehend verschont gebliebenen Stadtbewohnern Moskaus beispielsweise.
Langfristig werden sich aber viele Russen trotzdem die Frage stellen, wie die Sicherheitskräfte so versagen konnten. Putins Bluthunde sind sehr gut darin, massenhaft Bürger zu erfassen, die gegen den Krieg in der Ukraine sind oder die zum Begräbnis des oppositionellen Nawalny gekommen sind. Aber sie schaffen es nicht einmal, trotz Vorwarnungen einen Konzertsaal zu bewachen. Wie schon bei der Prigoschin-Meuterei macht Russland innenpolitisch wieder einmal den Eindruck eines wankenden Riesen auf tönernen Füßen, meint De Morgen.
Verstärkung der Angriffe auf die Ukraine, Gerüchte über weitere Mobilisierungen, das Eindringen einer russischen Rakete in den polnischen Luftraum – Putin hat nicht gezögert, die Karte der Staatslüge auszuspielen, fasst La Libre Belgique zusammen. Zynisch nutzt er das Attentat für seine Ziele aus, Russland wieder zu einem imperialistischen Reich ohne Grenzen zu machen. Bei aller gebotenen Empathie für das russische Volk dürfen der Rest der Welt und insbesondere die Europäer davor nicht die Augen verschließen. Das russische Regime bestätigt täglich seinen Status als gnaden- und gesetzloser Aggressor, der auch die Sicherheit Europas direkt bedroht. Deswegen muss Europa alles tun, um die Ukraine gegen Russland zu unterstützen. Wladimir Putin hat gerade wieder bewiesen, dass er keine Grenzen kennt, betont La Libre Belgique.
Boris Schmidt