"Die Russen wählen bis Sonntag, Putin wird wiedergewählt", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Putins Präsidentenwahl hat begonnen", notiert das GrenzEcho. In Russland sind die Menschen dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Die Zeitungen machen sich aber keine Illusionen. Jeder weiß, dass es eine Wahl ohne Auswahl ist. Le Soir bringt ein Porträt des russischen Diktators: "Putin, ein radikalisierter Präsident mit Zarallüren", titelt das Blatt leicht augenzwinkernd. De Morgen rekonstruiert, "wie Putin sein Land geradewegs in einen Würgegriff nahm".
Wladimir Putin hat alles getan, um bis zu seinem Lebensende an der Macht zu bleiben, konstatiert L'Avenir in seinem Leitartikel. Als 2020 eine entsprechende Verfassungsänderung zur Debatte stand, da sprach man in der Duma, also im russischen Parlament, allen Ernstes von einer "Stärkung der Demokratie". Und man darf davon ausgehen, dass der Angriff auf die Ukraine schon damals geplant war. Putin dekretiert seinem Volk also jetzt seine Wiederwahl. Und damit auch die Fortsetzung seines Krieges. Denn das ist es, was ihn auf seinem Thron hält. Ganz offensichtlich akzeptiert eine große Mehrheit der Russen diese erdrückende Macht. Trotz der Zehntausenden toten Soldaten und der drastischen Einschränkung der Freiheit. Denn Putin ist ja da, jener große Schutzpatron der Nation. Bis 2036. Wenn nicht sogar länger.
Dem Putinismus den Kampf ansagen!
Putin lässt sich jetzt also im Rahmen einer Scheinwahl für weitere sechs Jahre in seinem Amt bestätigen, stellt auch De Morgen nüchtern fest. So ganz geräuschlos wird das Schauspiel vielleicht doch nicht vonstattengehen, da die demokratische Opposition für diesen Sonntag zu einer subtilen Protestaktion aufgerufen hat. Der Tod des Kremlkritikers Alexei Nawalny ist ja noch frisch in den Köpfen. Europa und der Rest der demokratischen Welt sollte diese mutigen Menschen entschlossener unterstützen. Und es gibt da durchaus Mittel und Wege, man braucht dafür nicht notwendigerweise Granaten. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, Putin künftig nicht mehr als den legitimen Präsidenten Russlands anzuerkennen. Stattdessen würde man sich glaubwürdige Gesprächspartner unter den Exilrussen suchen. Das wäre ein wichtiges Signal unserer Regierungen, auch und vor allem für die russische Opposition. Den Kampf gegen den Putinismus muss man nicht allein mit Waffen an der Front in der Ukraine ausfechten, sondern auch mit unserem höchstem Gut: dem freien Wort.
De Standaard fragt sich seinerseits, ob Belgien auf einen russischen Angriff vorbereitet wäre. Die Antwort ist beunruhigend. Die Zeitung formuliert es so: "In Belgien wimmelt es von Zielen für Putin, aber wir haben keine Luftabwehr. Null, nichts."
Ein wichtiges Signal
Umso wichtiger ist es, wenn sich Europa geschlossen zeigt, ist Le Soir überzeugt. Wir müssen in diesen Tagen nicht nach Moskau blicken. Der Ausgang der Wahl steht ohnehin schon fest. Nein, das wichtige Ereignis hat gestern in Berlin stattgefunden. Dort kamen nämlich die Vertreter des sogenannten "Weimarer Dreiecks" zusammen, also der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der polnische Regierungschef Donald Tusk. Zwar konnten die drei nicht alle Meinungsverschiedenheiten ausräumen. Und doch war das ein wichtiges Signal. Europa hat inzwischen ein vitales Interesse daran, sich angesichts der imperialen Gelüste des Kremls entschlossen zu zeigen. Klar: Dieses Weimarer Dreieck ist nicht ganz Europa. Man darf diese drei Länder aber als Kernachse einer europäischen Verteidigungsstrategie betrachten. Dem "Putin über alles" müssen wir eine europäische Front entgegenstellen.
Einige Blätter beschäftigen sich auf ihren Titelseiten auch mit der Reaktion der Europäischen Union auf die Bauernproteste. "Die EU-Kommission will die Umweltschutznormen senken", schreibt nüchtern La Libre Belgique auf Seite eins. Andere Zeitungen sind direkter: "Die EU-Kommission säbelt in den Umweltschutznormen", so die Schlagzeile von Le Soir. Das Fazit von L'Echo: "Die europäische Landwirtschaft wird künftig weniger grün sein."
N-VA-Pirouetten
Einige flämische Leitartikler beleuchten die Beziehungen zwischen der nationalistischen N-VA und dem rechtsextremen Vlaams Belang. Anlass ist ein Interview mit dem flämischen N-VA-Ministerpräsidenten Jan Jambon. Auch der will sich nicht klar zu der Frage äußern, ob die N-VA prinzipiell dazu bereit ist, eine Koalition mit dem Vlaams Belang zu bilden. "Das sehen wir nach der Wahl", zitiert ihn Het Nieuwsblad.
Es hat Zeiten gegeben, da sprach der N-VA-Vorsitzende Bart De Wever von einer Chinesischen Mauer, die seine Partei vom Vlaams Belang abgrenze, bemerkt Gazet van Antwerpen in ihrem Kommentar. Von dieser Chinesischen Mauer ist längst keine Rede mehr, spätestens seit De Wever 2019 allen Ernstes mit dem Vlaams Belang über die Bildung einer neuen flämischen Regierung verhandelt hat. Seither hat De Wever die Tür zum Vlaams Belang immer mal wieder mit Krawumm zugeschlagen, um sie dann gleich wieder einen Spalt weit zu öffnen. Und es ist einfach nur unbegreiflich, dass die N-VA derart widersprüchliche Signale in einer so wichtigen Frage aussendet. Vielleicht lohnt sich da ein Blick in die Niederlande. Kurz vor der Wahl hatte die Vorsitzende der Liberalen VVD erklärt, dass sie gegebenenfalls zu Verhandlungen mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders bereit sei. Resultat: Viele Wähler wandten sich daraufhin Wilders zu, der damit sein Wahlergebnis mal eben verdoppeln konnte. Was lernen wir daraus? Als rechtsliberale Partei öffnet man besser keine Hintertür für Rechtsextremisten, denn das nützt nur ihnen.
Die vielbeschworene Chinesische Mauer ist zu einer porösen Gipswand verkommen, analysiert auch Het Nieuwsblad. N-VA-Spitzenvertreter führen derzeit die tollsten Pirouetten auf, um die Frage nach einer möglichen Koalition mit dem rechtsextremen Vlaams Belang möglichst offen zu lassen. Das geht inzwischen quer durch das gesamte semantische Spektrum, von "Nein, es sei denn ..." bis "Ja, aber ...". Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die N-VA selbst in dieser Frage tief gespalten ist. Man darf davon ausgehen, dass die Entscheidung am Ende opportunistisch und nicht moralisch motiviert sein wird. Eine poröse Gipswand eben, die man nach Gusto versetzen kann.
Roger Pint