"1.100 Entlassungen, und das ist noch das beste Szenario", titelt Het Nieuwsblad. "20 Tage, um 45 Millionen zu finden", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. Het Laatste Nieuws formuliert es etwas anders: "20 Tage, um 1.400 Jobs zu retten".
Beim flämischen Nutzfahrzeughersteller Van Hool droht ein soziales Blutbad. Die Direktion will große Teile der Produktion nach Nordmazedonien verlagern. Am belgischen Hauptsitz sollen deswegen 1.100 Arbeitsplätze abgebaut werden. Doch das alleine reicht nicht. Das Traditionsunternehmen braucht bis Ende des Monats mindestens 45 Millionen Euro, ansonsten droht das definitive Aus. Und dann wären die noch verbleibenden 1.400 Jobs auch verloren.
"Flandern wirft Van Hool bislang noch keinen Rettungsring zu", bemerkt aber De Morgen auf Seite eins. Die flämische Regierung lehnt eine Rettung des Busbauers zwar nicht grundsätzlich ab, stellt aber strenge Bedingungen.
Ein politisches Geschenk für Vlaams Belang und die PTB
Die Probleme bei Van Hool sind eine politische Bombe für Flandern, analysiert Le Soir in seinem Leitartikel. Das Ganze kommt jedenfalls zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt; schließlich stehen wir drei Monate vor einer doch entscheidenden Wahl. Allen voran für den rechtsextremen Vlaams Belang und auch die marxistische PTB ist das drohende Aus für den einstigen flämischen Vorzeigebetrieb jedenfalls ein politisches Geschenk. Beide Parteien können die Tragödie genüsslich der aktuellen flämischen Regierung ankreiden. Und vor allem auch den strengen Normen, die im Norden des Landes gelten. Van Hool retten oder nicht? Die flämische Regierung steht vor einem Dilemma.
Es gibt hier jedenfalls keine einfachen Lösungen, ist Het Laatste Nieuws überzeugt. Und da können die Kommunisten noch so oft das Gegenteil erzählen. Beispiel: Die marxistische PTB behauptet, dass man Van Hool hätte retten können, wenn das Unternehmen den Zuschlag bekommen hätte für die Lieferung neuer Busse an die flämische Nahverkehrsgesellschaft De Lijn. Das stimmt nicht! Denn tatsächlich war Van Hool an dem Auftrag gar nicht wirklich interessiert. Und eine Übernahme des Unternehmens durch den Staat ist ebenfalls keine Lösung. Warum sollte der flämischen Regierung das gelingen, was das Management nicht hinbekommen hat? Es ist denn auch mehr als richtig, dass Flandern strenge Bedingungen stellt, bevor man einen Rettungsring auswirft.
Eine zynische Zahlenlogik
De Standaard sieht das ähnlich. Angesichts der dramatischen Schieflage bei Van Hool ist die Gefahr groß, dass die flämische Regierung in ein Fass ohne Boden investieren würde. So darf man doch eigentlich nicht mit Steuergeldern umgehen. Das gilt erst recht, wenn man sich den Kontext anschaut. Die Region, in der Van Hool angesiedelt ist, ist keine ökonomische Wüste. Im Gegenteil: In der Umgebung von Lier gibt es 7.000 offene Stellen; und da werden viele Profile gesucht, die den Leuten entsprechen, die bislang noch bei Van Hool beschäftigt waren. Es wäre also vielleicht vernünftiger, die Betroffenen zu begleiten, um diese offenen Stellen zu besetzen.
Het Nieuwsblad kann seinerseits dieser Argumentation nichts abgewinnen. Sind besagte 7.000 offene Stellen wirklich eine Perspektive für die Van Hool-Mitarbeiter? Es mag vielleicht so aussehen, aber zuallererst handelt es sich hier um reine Zahlenspielchen, eine allenfalls theoretische Möglichkeit. Was noch schlimmer ist: Diese zynische Zahlenlogik blendet die gelebte Tragödie der Mitarbeiter völlig aus. Sie haben mitunter ein Leben lang ihr Herzblut in den Betrieb gesteckt, sie kennen die Arbeitsabläufe, die Betriebskultur, die Kollegen. Für sie ist das Ganze in erster Linie ein Drama, selbst wenn viele von ihnen vielleicht tatsächlich einen neuen Job finden. Wer in einer solchen Situation einzig von scheinbaren Perspektiven spricht, der vergisst die menschliche Ebene. Für die Betroffenen ist das ein Hohn.
Einige Leitartikler versuchen auch, die tieferen Ursachen für den Absturz von Van Hool zu ergründen. Zuallererst kann man nur feststellen, dass offensichtlich niemand das Drama hat kommen sehen, meint De Tijd. Noch vor zwei Jahren hieß es, dass das Unternehmen nach den schwierigen Corona-Jahren wieder auf einem guten Weg sei. Und auch in der Folgezeit gingen nirgendwo Warnleuchten an, offensichtlich auch nicht bei den Banken. Die Frage aller Fragen ist aber, warum es so lange gedauert hat, bis das Management den Ernst der Lage erkannt hat. Die Erklärung liegt wohl in der Unternehmensstruktur: Van Hool war immer noch ein Familienbetrieb, was nicht nur Vorteile hat. Das größte Problem ist da oft, dass es nicht ausreichend kritische Stimmen gibt. Auch mangelt es häufig an Professionalität. Die Mitarbeiter bezahlen jetzt den Preis dafür.
Ungleiche Waffen
Es stimmt, Van Hool wurde mit Sicherheit auch das Opfer von Managementfehlern, ist auch L'Avenir überzeugt. Insbesondere hat das Unternehmen die Wende zur Elektromobilität verpasst. Da gibt es aber noch einen Aspekt: Die Tatsache etwa, dass ein chinesisches Unternehmen den Zuschlag für die Lieferung neuer Busse an die flämische Nahverkehrsgesellschaft De Lijn bekommen hat, spricht Bände. Die europäischen Unternehmen sind immer häufiger der Konkurrenz aus Ländern ausgesetzt, in denen soziale Standards oder Umweltschutznormen Fremdwörter sind. Hier wird mit ungleichen Waffen gekämpft.
Het Belang van Limburg sieht das genauso. Eben die Episode bei De Lijn ist ein Alarmsignal für ganz Europa. Der chinesische Hersteller BYD hatte das mit Abstand günstigste Angebot vorgelegt, wesentlich billiger als alle anderen europäischen Busbauer. Die EU kann hier nicht länger tatenlos zusehen.
Das mag stimmen, doch sollte man hier nicht die falschen Schlüsse ziehen, mahnt De Morgen. Die chinesische Dominanz erklärt sich auch dadurch, dass die europäischen Hersteller die E-Mobilität weitgehend verschlafen haben. Hier herrschte viel zu lang die pure Selbstzufriedenheit. Und immer noch stehen große Autobauer hier auf der Bremse. Das Allerdümmste, was die EU machen kann, das wäre, den Zauderern jetzt auch noch Recht zu geben. Wenn sich die fossilen Kräfte durchsetzen, dann war Van Hool am Ende vielleicht nur der Kanarienvogel in der Kohlenmine für die europäische Autoindustrie.
Roger Pint